Was früher für viele Rentner die Ausnahme war, wird zur Regel: Immer mehr Senioren zahlen Einkommensteuern. Die landläufige Meinung, dass nur Senioren mit hohen Renten Steuern zahlen würden, stimmt schon lange nicht mehr. Dies belegen die jüngsten Daten zur Rentenbesteuerung: Von den rund 21 Millionen Bürgern, die eine gesetzliche Rente beziehen, zahlten 2018 knapp 4,4 Millionen Einkommensteuer – das ist bereits jeder fünfte Rentner! In diesem Jahr wird die Zahl voraussichtlich auf fünf Millionen steigen, prognostiziert der Bund der Steuerzahler. Die anstehende Rentenerhöhung zum 1. Juli 2019 wird nach Angaben des Bundesfinanzministeriums dazu führen, dass zusätzlich 48 000 Rentner Einkommensteuern zahlen müssen. Dadurch werden Steuermehreinnahmen von 410 Millionen Euro erwartet.
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Ob und wie viel Rente versteuert werden muss, hängt von der Höhe des Gesamteinkommens und vom Jahr des Renteneintritts ab. Der Gesetzgeber hat ab dem Jahr 2005 die Besteuerung der gesetzlichen Rente durch das Alterseinkünftegesetz neu geregelt. Seitdem ist ein festgelegter Anteil der Rente zu versteuern, der Rest bleibt (noch) steuerfrei. Erst ab einem Rentenbeginn im Jahr 2040 müssen Neurentner 100 Prozent der Rente versteuern. Der Bundesfinanzhof (BFH) hält die Besteuerung von gesetzlichen Altersrenten für verfassungskonform. In mehreren Urteilen kamen die obersten Richter zu dem Schluss, dass durch die Rentenbesteuerung grundsätzlich keine verfassungswidrige Doppelbesteuerung vorliegt. Doch wann muss ich als Rentner überhaupt eine Steuererklärung abgeben? Welche Steuersätze gelten für Rentner? Nicole Gerner, Beratungsstellenleiterin beim Lohn- und Einkommensteuer Hilfe-Ring in Würzburg, beantwortet die wichtigsten Fragen zu diesem Thema.
Wann muss ich als Rentner eine Steuererklärung machen?
Nicole Gerner: Allein die Rentenerhöhung im Juli 2019 führt vermutlich dazu, dass viel Rentner steuerpflichtig werden. Die Zahl der steuerpflichtigen Rentner steigt kontinuierlich. Das liegt daran, dass für jeden neuen Rentnerjahrgang ein immer höherer Anteil der gesetzlichen Rente zu versteuern ist. Wer dieses Jahr in Rente geht, muss 78 Prozent seiner Rente versteuern. Wer nächstes Jahr in Rente geht, für den sind es 80 Prozent. Das gilt aber nur für den ursprünglichen Rentenbetrag. Der steuerfreie Anteil wird quasi für das restlichen Leben festgeschrieben. Künftige Rentenerhöhungen (ab dem zweiten Jahr nach Rentenbeginn) sind zu 100 Prozent steuerpflichtig.
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Und dieser Besteuerungsanteil wird im Alterseinkünftegesetz neu geregelt?
Gerner: Wer 2005 oder früher in Rente ging, bei dem bleiben 50 Prozent der Rente steuerfrei. Wer erst seit 2018 eine Rente bezieht, bei dem sind es nur noch 24 Prozent der Rente, die steuerfrei bleiben.
Warum werden Renten überhaupt besteuert?
Gerner: Renten zählen zu den steuerpflichtigen Einkünften – so wie alle anderen Einkünfte, die man beispielsweise aus Arbeit oder Vermietung hat. Ob auf die Rente tatsächlich eine Steuer zu zahlen ist, hängt aber vom Einzelfall ab.
Was ist für den Einzelfall wichtig?
Gerner: Es ist zunächst wichtig, seit wann die Rente gezahlt wird. Dieser Zeitpunkt bestimmt jenen Rentenanteil, der steuerpflichtig ist – den sogenannten Besteuerungsanteil.
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Wie wird die Mütterrente, die seit 1. Juli 2014 gezahlt und im März 2019 angehoben wurde, versteuert?
Gerner: Für die Mütterrente gilt der gleiche Besteuerungsanteil wie für die Altersrente.
Also bestimmt nur der Besteuerungsanteil die zu zahlende Steuer?
Gerner: Noch nicht ganz. Man zieht von den steuerpflichtigen Renteneinnahmen die Vorsorgeaufwendungen ab, wie beispielsweise Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge. Kommt man dann unter den Grundfreibetrag, sind keine Steuern zu zahlen.
Wie hoch ist der Grundfreibetrag für Rentner?
Gerner: Er liegt 2018 bei 9000 Euro pro Jahr für Alleinstehende und 18.000 Euro für Ehepaare. Ab 2019 steigt der Grundfreibetrag für Ledige auf 9168 Euro und 18 336 für Verheiratete.
Welche Steuervorteile gibt es für Rentner?
Gerner: Genau wie Arbeitnehmer können auch Rentner ihr zu versteuerndes Einkommen senken, etwa mit Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen. Das sind unter anderem Zuzahlungen für Arztbesuche und Medikamente, Pauschbeträge für Behinderungen und Spenden. Außerdem kann für Pflegedienstleistungen, Handwerker- und andere Dienstleistungen im Haushalt eine Steuerermäßigung gewährt werden. Der Werbungskosten Pauschbetrag in Höhe von 102 Euro wird dagegen immer in voller Höhe gewährt.
Viele Senioren leben allein. Um im Notfall schnelle Hilfe zu erhalten nutzen sie den Haus-Notruf. Kann man diesen von der Steuer absetzen?
Gerner: Der Bundesfinanzhof entschied in seinem Urteil vom 3. September 2015: Sowohl die Kosten für einen Notrufdienst in der eigenen Wohnung als auch beim betreuten Wohnen wirken sich als sogenannte haushaltsnahe Dienstleistungen steuermindernd aus. Im verhandelten Fall schloss ein in einer Seniorenresidenz lebender Rentner einen Betreuungsvertrag ab, der ein 24-Stunden-Notruf-System beinhaltete. In seiner Steuererklärung machte er diese Aufwendungen als Kosten haushaltsnaher Dienstleistungen geltend und scheiterte damit beim Finanzamt. Der Bundesfinanzhof stellt sich mit dem Urteil auf die Seite des Rentners. Die Kosten sind umfassend als haushaltsnahe Dienstleistungen absetzbar.
Was passiert, wenn ein Rentner noch andere Einkünfte hat?
Gerner: Dann kann schnell eine Steuerzahlung anstehen. Das kann der Fall sein, wenn Zinsen oder Vermietungseinkünfte vorliegen. Ebenso wenn bei Ehepaaren ein Partner bereits Rente bezieht und der andere noch arbeitet.
Was ist für Sie das Hauptproblem der Rentensteuer?
Gerner: Viele Rentner wissen überhaupt nicht, dass sie eine Steuererklärung abgeben müssen. Kommt dann Post vom Finanzamt, ist das Entsetzen oft groß.
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Wie erfährt das Finanzamt davon, dass ich eine Steuererklärung abgeben muss?
Gerner: Die Finanzämter erhalten seit 2009 jährlich alle Daten über die Rentenzahlungen. Mit diesen Informationen können die Finanzämter prüfen, ob die Rentner eine Steuererklärung abgeben müssen. Rentner, die keine Steuererklärung eingereicht haben, obwohl sie dazu verpflichtet waren, werden vom Finanzamt angeschrieben.
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Was passiert, wenn trotz Abgabepflicht keine Steuererklärung eingereicht wird?
Gerner: Dann kann das Finanzamt zu Steuernachzahlungen auffordern und schätzen. Und es werden – je nach Höhe der Nachzahlungen – eventuell Zwangsgelder und Verspätungszuschläge verhängt. Steuernachzahlungen werden mit sechs Prozent jährlich verzinst.
Welche Steuersätze gelten für Rentner?
Gerner: In Deutschland wird die Einkommensteuer nach dem progressiven Steuersatz berechnet. Für Rentner wie für Arbeitnehmer heißt das: Je höher das Einkommen, desto höher ist der Steuersatz.
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Gibt es auch Renten, die steuerfrei sind?
Gerner: Die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung werden nie besteuert – es spielt dabei keine Rolle, ob es sich zum Beispiel um einmalige Auszahlungen, um monatliche Rentenzahlungen oder um Ausgleichszahlungen für verminderten Lohn aufgrund einer Berufskrankheit handelt. Die Steuerfreiheit liegt ebenfalls vor, wenn ein Hinterbliebener die Zahlung erhält, beispielsweise als Halbwaisenrente. Achtung: Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind die Berufsgenossenschaften. Die entsprechenden Rentenbescheide und -anpassungen ähneln optisch den Unterlagen der gesetzlichen Rentenversicherung – und werden daher oft irrtümlich in die Steuererklärung mitaufgenommen.
Was raten Sie den Senioren?
Gerner: Ist ein Rentner unsicher, ob ihn die neue Regelung betrifft, sollte er sich beraten lassen.
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