Die Sigismundkapelle bei Oberwittighausen unweit der bayerischen Landesgrenze gilt als einer der ältesten noch erhaltenen Sakralbauten der Region. Bis in die Zeit der Kreuzzüge reicht die Geschichte des heutigen Kirchenbaus zurück. Historiker vermuten sogar, dass die Kapelle auf einem heidnischen Quellheiligtum errichtet wurde und so zu den Zeugnissen der hiesigen Christianisierung zählt. Umso interessanter ist der Zufallsfund, den Kreisheimatpflegerin Claudia Wieland im Heimatmuseum von Tauberbischofsheim gemacht hat. Ein Foliant aus dem 17. Jahrhundert, den die Museumsleitung bislang nicht einzuordnen wusste, entpuppte sich als das seit Generationen verschollene Kapellenbuch, das der Forschung um die Kapelle nun neuen Auftrieb gibt.
Ungewöhnlich ist der achteckige Grundriss des kleinen Gotteshauses. Er erinnert an die Pfalzkapelle, die Karl der Große um das Jahr 800 in Aachen errichten ließ, ist aber vermutlich 400 Jahre jünger. Heimgekehrte Kreuzritter aus dem Landadel sollen es gewesen sein, die um das Jahr 1200 insgesamt vier dieser sogenannten Oktogonkirchen in der Region errichtet haben. Neben der Sigismundkapelle in Oberwittighausen blieben die Ulrichskapelle in Standorf und die Achatiuskapelle in Grünsfeldhausen erhalten. Die Michaelskapelle in Gaurettersheim wurde Mitte des 19. Jahrhunderts zu Gunsten einer neuen, größeren Kirche abgebrochen.
Wurde das Grabtuch von Turin einst in der Sigismundkapelle aufbewahrt?
Forschern gibt die Sigismundkapelle bis heute Rätsel auf. Am Portal sind ein kopfloser Bischof, ein Pilger, ein Löwe mit Menschenkopf und sogar ein Krokodil zu erkennen. Eine Legende berichtet, dass das Grabtuch von Turin einige Zeit dort aufbewahrt wurde, nachdem Stauferkaiser Friedrich II. die Reliquie während der Kreuzzugs von 1228 in Jerusalem erbeutet hatte. Auf einer Grabplatte, die im Inneren der Kapelle zu finden ist, wollen Anhänger dieser Legende den Tempelritter André de Joinville erkennen, der vom Kaiser zum Hüter des Tuchs bestimmt wurde und sein Leben als Eremit an der Sigismundkapelle vollendet haben soll. Auch in der Ulrichskapelle in Standorf soll das Grabtuch zeitweise aufbewahrt worden sein.
Das Buch, das Kreisheimatpflegerin Claudia Wieland im Heimatmuseum von Tauberbischofsheim entdeckt hat, fällt auf durch seinen kunstvoll dekorierten und mit Leder bezogenen Holzeinband. Sehr schnell konnte sie es als das verschollene Kapellenbuch aus Oberwittighausen identifizieren. Von Hobbyforscher Karl Endres, der sich der Sigismundkapelle verschrieben hat, wusste sie, dass es ein solches Buch gab.
Das Kapellenbuch wird künftig im bischöflichen Archiv in Eberbach aufbewahrt
Das Heimatmuseum gab das Buch in die Obhut von Claudia Wieland, mit der Bitte, es an das zuständige bischöfliche Archiv in Eberbach weiter zugeben. Von dort erhielt sie die Erlaubnis, den ganzen Band zu kopieren, um den Inhalt Interessenten zur Einsicht zeigen zu können. Ein Glücksfall für Karl Endres, der nun einen Abdruck erhielt und mit hoher Erwartung daran ging, die teilweise in Latein geschriebenen und oft sehr schwer lesbaren Seiten zu übersetzen.
Nach monatelanger Arbeit und mit tatkräftiger Hilfe von Claudia Wieland gelang es Endres, die 1694 beginnenden und 1828 endenden Einträge im Kapellenbuch vollständig zu entziffern. Jahr für Jahr sind darin Einnahmen, Ausgaben, Anschaffungen und Ergänzungen von gottesdienstlichem Bedarf und Reparaturen an und in der Kapelle aufgezeichnet.
Zwischen den Zeilen gelesen, erfährt man vom Wallfahrtsgeschehen an der Sigismundkapelle. Sie war bis zum Verbot der Wallfahrt im Jahr 1827 wohl der beliebteste Pilgerort im fränkischen Gaugebiet. Wie schon in einer Ablassurkunde von 1285 bestimmt, waren die Feste der Gottesmutter und der Apostel das Wallfahrtsziel der bäuerlich-ländlich geprägten Bevölkerung.
Die Wallfahrt sicherte der Sigismundkapelle regelmäßige Einnahmen
Wissenswert ist die Feststellung, dass die Filiale Oberwittighausen über Jahrhunderte völlig autark wirtschaftete und nicht von Zuschüssen der Mutterpfarrei Poppenhausen oder anderer übergeordneter Stellen abhängig war. Einzig mit den Spenden und Opfer der Wallfahrer wurden die laufenden Ausgaben beglichen. Es gelang sogar, in einem Kapellenfond Rücklagen für unvorhersehbare Ereignisse zu bilden.
Interessant sind die Berichte über das Wirken bedeutender Pfarrer von Poppenhausen an der Sigismundkapelle. Ludwig Weinschrod wirkte von 1741 bis 1787 in der Pfarrei. Seiner Tatkraft ist es zu verdanken, dass das Sigmundi-Fest zum Hauptfest in der Kapelle wurde. An diesem Tag waren oft drei Beichtväter und bis zu fünf Priester im Dienst, die er selbst bewirtete.
Ämter forderten den Abbruch der Sigismundkapelle
Pfarrer Anton Steinam, aus einem angesehenem Patriziergeschlecht in Tauberbischofsheim stammend, war von 1801 bis 1841 in Poppenhausen als Seelsorger tätig. In der schweren Zeit der Aufklärung versuchte er leidenschaftlich, aber letztendlich vergeblich, das drohende Ende der Filialzugehörigkeit zur Pfarrei Poppenhausen zu verhindern. Selbst als das Verbot der Wallfahrt zur Kapelle zu befürchten war und der Abbruch der Kapelle amtlicherseits intensiv gefordert wurde, erneuerte er mit hohem Aufwand aus dem Kapellenfond und aus der eigenen Tasche das Dach, ergänzte Kultgegenstände und kaufte neue Glocken.
Aufmerksam gelesen, bieten die Eintragungen im Kapellenbuch Einblicke auf das politische Zeitgeschehen, in das religiöse Leben und das bäuerliche Brauchtum in den Dörfern des Gaus. Sie zeugen aber auch von den Sorgen der Bauern, etwa durch grassierende Viehseuchen, aber auch vom wachsenden Wohlstand auf den Bauernhöfen, der sich vor allem ab Mitte des 18. Jahrhunderts am steigenden Spendenaufkommen bemerkbar machte.
Karl Endres hat aus seinen Erkenntnissen einen Vortrag über den Inhalt des Kapellenbuchs erarbeitet, den er gemeinsam mit Kreisheimatpflegerin Claudia Wieland gerne vorstellt. Gelegenheit dazu besteht an Mariä Himmelfahrt, 15. August, um 20 Uhr im Dorfgemeinschaftshaus Oberwittighausen. Zur Einstimmung feiert die Pfarrgemeinde um 18.30 Uhr eine Messe in der Sigismundkapelle mit der zum Mariä Himmelfahrt traditionellen Kräuterweihe.
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