Die drei Oktogonkapellen im Main-Tauber-Kreis sind immer einen Ausflug wert – nicht nur an Ostern. Dann freilich ziehen sie gerade auch jene Besucher an, die sich dort auf die Spuren einer besonderen Ikone mit Bezug zu Tod und Auferstehung Jesu Christi begeben. Dem Gerücht nach soll nämlich zumindest in zwei der Oktogonkapellen das Leinentuch aufbewahrt worden sein, das sich heute in der Kathedrale von Turin befindet und als Grabtuch Christi verehrt wird. Die abenteuerliche Geschichte hat vor Jahren einen evangelischen Pfarrer sehr zornig werden lassen, andere sahen und sehen es weit gelassener.
Die Kapellen befinden sich in Oberwittighausen, Grünsfeld-Hausen und in Standorf bei Creglingen. Sie thronen auf einer Anhöhe mit Rundumweitblick, liegen tief in der Senke und stehen hoch oben und gleichzeitig nah am steilen Abhang. Und alle sind mit dem Element Wasser verbunden.
Da ist die Quelle versiegt, dort sprudelt eine Quelle - und fließt ein Bach
Am Standort der Sigismundkapelle in Oberwittighausen soll sich einst ein keltisches Quellheiligtum befunden haben. Die Quelle ist versiegt. Die Achatiuskapelle in Grünsfeldhausen steht in unmittelbarer Nähe zum Grünbach. Sedimentablagerungen hatten den Bau einst begraben, so dass nur noch die obere Hälfte herausragte. Und in Standorf führen einige Spitzkehren hoch hinauf zur Ulrichskapelle. Unterhalb sprudelt die Ulrichsquelle, die unter anderem gegen Augenleiden helfen soll. Eine weitere Achteckkapelle gab es einst noch in Gaurettersheim östlich von Wittighausen im Landkreis Würzburg, sie wurde im 19. Jahrhundert abgerissen.
Heimgekehrte Kreuzritter aus dem Landadel gelten als Erbauer der Kapellen
Die Oktogone haben, wie der Name sagt, kein längsrechteckiges Kirchenschiff, sondern einen achteckigen Zentralraum. Das bekannteste Oktogon in Deutschland ist die Pfalzkapelle in Aachen. Sie wurde unter Karl dem Großen um 800 errichtet. Die drei Kapellen im Main-Tauber-Kreis stehen weitab jeglichen Herrschaftszentrums. Sie sind schlichter, aber nicht minder beeindruckend. Und sie sind später errichtet worden: um 1200. Es sind geheimnisvoll glitzernde Juwelen romanischer Baukunst.
Kreuzritter aus dem Landadel gelten als Bauherren. Als Dank dafür, dass sie unversehrt vom Heiligen Land in ihre Heimat zurückgekehrt waren, sollen sie Oktogone errichtet haben, heißt es. Oder als Erinnerung für Familienmitglieder, die den Kreuzzug nicht überlebt hatten. Als Vorbild wird die Grabeskirche in Jerusalem angesehen. Möglich, dass die Zahl Acht eine Rolle spielte: Sie gilt als heilig und ist ein Symbol für die Wiedergeburt, Erneuerung oder Herrschaft sowie für die Taufe - und damit für das ewige Leben und Vollkommenheit.
Wenn Riesen ihren Hammer werfen ...
Gemeinsam ist den beiden Kapellen in Oberwittighausen und in Grünsfeld-Hausen die Hammerwurf-Legende, von der es verschiedene Erzählweisen gibt. Im Zentrum steht jedoch, dass ein Riese seinen Hammer in die Luft schleuderte – wo er aufschlug, wurden die Kapellen errichtet. Am Grünbach scheint der Hammer zwei Mal gelandet zu sein: Die Achatiuskapelle ist ein Doppel-Oktogon.
Auch sie soll wie die Sigismundkapelle auf einem Quellheiligtum stehen. Als Indiz dafür gilt der keltische Opferstein, ein sogenannter Näpfchenstein an der Außenmauer. Sicher ist, dass Wasser dem Achteckbau zusetzte: Durch An- und Überschwemmungen versank er langsam im Schlamm. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Kapelle befreit – mit dem Effekt, dass sie heute in einem fast vier Meter tiefen Kessel steht. Wer sie umrundet, der entdeckt nahe des Näpfchensteins noch ein Tatzenkreuz. Ein Hinweis darauf, dass Tempelritter für den Bau verantwortlich sind?
Rätselhaftes Portal der Sigismundkapelle
Rätselhaft ist auch die Sigismundkapelle, nicht nur, weil dort ebenfalls ein Tempelritter Erwähnung findet. Sie gilt als das älteste Oktogon in der Region und soll um 1150 erbaut worden sein. Blickfang ist das plastisch verzierte Portal. Zu sehen sind unter anderem ein kopfloser Bischof, ein Pilger, ein Löwe mit Menschenkopf, ein Krokodil und der Teufel, dazu Sterne, Wellen, Linien und andere Ornamente. Das Auge erkennt keine Ordnung, keinen Plan. Kein Wunder. Nachdem die Kapelle im Lauf der Jahrhunderte Schäden erlitt, baufällig wurde und vor sich hin bröckelte, soll beim Wiederaufbau einiges durcheinander geraten sein.
"Was sehen Sie?" - Das fragt Gisela Schaub Besucher, wenn sie vor dem Portal stehen. Was sie dann hört, "das ist oft sehr witzig", sagt die "Kapellenpflegerin", die seit gut einem Jahr Führungen anbietet. Interpretationen gibt viele, der Heimatforscher Karl Endres hat die "Forscherberichte" in seinem kürzlich erschienenen Buch über die Sigismundkapelle aufgelistet.
Doch was hat die Sigismundkapelle mit dem Turiner Grabtuch zu tun? Die Mär rankt sich um die Grabplatte, die heute im Inneren steht. Sie lehnt an der Wand und zeigt die Umrisse eines Mannes mit Kutte und bodenlanger Kapuze – eine sogenannte Gugel. Den Anhängern der Grabtuchlegende nach nach soll es der Tempelritter André de Joinville sein. Er hatte angeblich zusammen mit Konrad von Hohenlohe-Brauneck das Turiner Grabtuch aus dem Heiligen Land nach Franken gebracht - in die Sigismundkapelle. Der Stauferkaiser Friedrich II. soll ihnen dazu den Auftrag gegeben haben. Der Tempelritter habe in einer Eremitenzelle neben der Kapelle den Rest seines Lebens verbracht - und das Grabtuch gehütet.
Ist diese Zelle vielleicht der Bau, dessen Fundament sich auf einer Luftaufnahme deutlich im Gras abzeichnet? Ein Foto davon ist im Buch von Karl Endres zu sehen.
Wegen esoterischer Umtriebe war die Ulrichskapelle einst geschlossen
Fassbarer ist der Kreuzritter Konrad von Hohenlohe-Brauneck, der mit seinem Bruder am Kreuzzug Friedrichs II. von 1228 bis 1229 teilgenommen hatte. Er gilt als Erbauer der Ulrichskapelle in Standorf, sein Stammsitz ist die Burg Brauneck bei Creglingen-Niedersteinbach.
Das Oktogon der Ulrichskapelle stützt ein uralter, nach oben eckig zugeschnittener Eichenstamm. Nach einem dendrochronologischen Gutachten ist er rund 800 Jahre alt. Die Säule sei älter, über 1000 Jahre nämlich, hieß es vor rund zehn Jahren. Und sie sei eine germanische Irminsul, ein Objekt heidnischer Kulte, aus der Zeit bevor dort die Kapelle gebaut wurde. Zudem seien Wünschelrutengänger in der und rund um die Kirche gesichtet und obskure Versammlungen abgehalten worden, hieß es.
Die Aufregung war groß, auch über den einstigen Kirchenpfleger, der das unterstützte. Der damalige Pfarrer indes war sehr erbost und die Ulrichskapelle wegen esoterischer Umtriebe für Besucher zeitweise geschlossen. Richard Preininger erzählt heute Besuchern das wenige, was historisch belegt ist. Und winkt ab: "Wir haben damals gar nicht gewusst, was die Irminsul ist."
Im Inneren gibt es mehr als eine alte mächtige Säule zu sehen. Es ist der Choranbau mit schmalem Kreuzgratgewölbe und einem geheimnisvollen Kapitell mit Gesicht. Am Boden ist eine Steinplatte eingelassen mit einem Scheibenkreuz, das auf einem Halbrund steht. Drunter soll sich ein Grab befinden, in dem niemand bestattet worden ist. Und an dieser Stelle taucht dann wieder die Geschichte vom Grabtuch Christi auf. Im Hohlraum soll es eine Zeitlang aufbewahrt worden sein.
Die Kunigundenkapelle: nicht achteckig, aber auch mit dem Grabtuch verbunden
Zuvor soll das berühmte Leinentuch in einer anderen Kapelle versteckt worden sein: in der Kunigundenkapelle in Burgerroth bei Aub im Landkreis Würzburg. Sie gehört der katholischen Kirchenstiftung von Buch, einem Ortsteil von Bieberehren. Erbauer ist ebenfalls ein Familienmitglied derer von Hohenlohe: Heinrich, der Vater von Konrad.
Sie fällt, was die Legende betrifft, aus der Reihe: Sie ist nicht achteckig. Aber die Grabtuch-Erzählung treibt hier die tollsten Blüten. Das umlaufende Sockelgesims liefere den Hinweis, vor allem der verschlungene steinerne Knoten an der Nordseite, erzählt Kirchenpfleger Manfred Deppisch seit vielen Jahren gerne den Besuchern. Schriftliche Quellen dazu gibt es nicht. "Aber es hätte sein können", sagt Deppisch.
Keine Legende ist jedoch folgende Geschichte: Als die Achatiuskapelle in Grünsfeld-Hausen vom Schlamm befreit wurde, kam eine achteckige Steinsäule zum Vorschein. Sie sorgte für Unmut. Weg mit dem seltsamen Ding, dachten sich wohl einige Männer aus dem Ort. In der Nacht zum Karfreitag 1919 entfernten sie die Säule in aus der Kirche, die sie irrtümlicherweise als Teil eines Heidenaltars vermuteten. Sie war jedoch - wie in Standorf - ein tragendes Teil der Kapelle und stand wie dort in der Mitte des achteckigen Zentralraums. Heute hat sie ihren Platz außerhalb der Achatiuskapelle - allerdings nicht in voller Größe. Auf ihr steht eine Marienfigur und grüßt mit dem Jesukind auf dem Arm die Besucher.