
Anfang April ist der Winter noch einmal zurückgekehrt nach Lwiw. Es hat ein wenig geschneit, über das Marsfeld pfeift der Wind und lässt unzählige Fahnen flattern. Hier, im Osten von Würzburgs ukrainischer Partnerstadt, sind diejenigen bestattet, die seit Februar 2022 den Kampf mit dem russischen Aggressor aufgenommen und dabei ihr Leben verloren haben. Viele von ihnen waren junge Männer, manche erst Anfang 20, viele auch schon älter. Sie waren Söhne, Brüder, Väter. Auch einige Soldatinnen sind hier begraben.
An diesem Sonntag ist der Bürgermeister von Lwiw, Andrij Sadovyj (56), wie schon so oft zum Marsfeld gekommen, er erwartet Besuch aus Würzburg. Oberbürgermeister Christian Schuchardt ist mit einer 14-köpfigen Delegation in der Stadt, auch er war schon mehrere Male auf dem Marsfeld. Das Gedenken an die Gefallenen ist dennoch kein Déjà-vu, schon deswegen nicht, weil sich das Marsfeld ebenso wie die anderen Soldatenfriedhöfe in der Ukraine ständig ausdehnt. Im Februar 2023, als Schuchardt zum ersten Mal in Lwiw war und mit seinem Amtskollegen Sadovyj die Städtepartnerschaft besiegelt hatte, waren es 285 Menschen, die hier beerdigt waren. Inzwischen sind es etwa 1400.

Einer von ihnen ist Oleh Mushkevich. Auf das Holzkreuz mit seinem Namen ist wie bei allen Gräbern ein Foto montiert. Es zeigt Oleh mit Helm und in Kampfmontur. Oleh fiel bereits im Januar 2023, er wurde 21 Jahre alt. Auf seinem Grab legt Schuchardt ein Gebinde ab. "So ein junger Mensch. Das Grab habe ich stellvertretend für alle Gefallenen ausgewählt", sagt er. "Ich bin bestürzt, wie stark das Gräberfeld angewachsen ist." Gemeinsam mit Sadovyj macht Schuchardt noch Halt an anderen Gräbern. Die Brutalität des Krieges spricht auch aus der Geschichte der Toten: Der Körper eines der Gefallenen, vor dessen Grab die beiden Stadtoberhäupter verharren, konnte erst nach neun Monaten vom Schlachtfeld geborgen werden.
Beziehung Würzburg-Lwiw ist inzwischen sehr eng
Auch für Lwiws Bürgermeister Andrij Sadovyj ist der Besuch aus Würzburg alles andere als eine Routine. Seit der ersten Kontaktaufnahme ist die Beziehung sehr eng, zwischen den beiden Amtsinhabern stimmt die Chemie. "Das ist für uns eine außergewöhnliche Partnerschaft", sagt Sadovyj wenig später beim gemeinsamen Mittagessen. Schuchardt sagt, es sei und bleibe das Bemühen der Stadt Würzburg, zivile Hilfe zu leisten. Bereits seit 2023 kommt Hilfe aus Würzburg für das Rehabilitationszentrum "Unbroken", aber inzwischen gibt es Unterstützung auch für andere Einrichtungen. Während der Besuchsreise in dieser Woche sollen weitere Kooperationen vertieft werden, unter anderem eine Zusammenarbeit bei der Ausbildung von Traumatherapeutinnen und -therapeuten.

Wer als Besucher aus Deutschland durch Lwiw spaziert, hat auf den ersten Blick nicht den Eindruck, in einem Land zu sein, das sich im Krieg befindet. Die Stadt in der Westukraine gilt als weitgehend sicher, wenngleich zuletzt im September 2024 nach einem russischen Raketenangriff sieben Menschen ihr Leben verloren haben. Einzig der Alarmton der Warn-App "Air Alert" und ein Sirenengeheul in der Nacht rücken die Realität des dritten Kriegsjahres ins Bewusstsein.
Wie geht das eigentlich – ein "normales Leben" im Krieg, so etwas wie ein Alltag mit Arbeit, Kultur oder Sport? "Am Anfang ist es uns schwergefallen", sagt Katerina Kit-Sadova. Die 50-jährige Kunstkritikerin und Unternehmerin ist die Ehefrau von Bürgermeister Sadovyj. "Aber wir fühlen uns den Gefallenen gegenüber verpflichtet, unser Leben würdig zu leben, denn es wurde für uns verteidigt. Ich versuche das auch nach außen zu tragen."
Den Gästen aus Würzburg, die nach ein paar Tagen wieder nach Deutschland, also zurück in den Frieden fahren werden, redet sie ein mögliches schlechtes Gewissen aus. "Ihr bringt sehr viel Unterstützung und Mitgefühl mit. Das ist uns sehr viel wert. Eure Adresse ist vielleicht eine andere, aber ihr gehört zu uns."
