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Würzburg/Lwiw
Doppel-Interview in Würzburgs ukrainischer Partnerstadt Lwiw: "Wir haben unsere Angst verloren"
Würzburg und Lwiw haben seit vergangener Woche eine Städtepartnerschaft: Die Bürgermeister Schuchardt und Sadovyj zur jetzigen Lage und zur Zukunft der Zusammenarbeit.
Selfie mit Bürgermeistern: Andrij Sadovyj, Bürgermeister von Lwiw, zückt kurz nach der Unterzeichnung der Städtepartnerschaft das Smartphone für ein Foto mit seinem Würzburger Amtskollegen Christian Schuchardt und Schülern aus Lwiw. 
Foto: Torsten Schleicher | Selfie mit Bürgermeistern: Andrij Sadovyj, Bürgermeister von Lwiw, zückt kurz nach der Unterzeichnung der Städtepartnerschaft das Smartphone für ein Foto mit seinem Würzburger Amtskollegen Christian Schuchardt und ...
Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:33 Uhr

Es war der Vorabend des ersten Jahrestages des Kriegsbeginns in der Ukraine, als am Donnerstag der vergangenen Woche Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt und Andrij Sadovyj, Bürgermeister von Lwiw, im Rathaus der westukrainischen Stadt ihre Unterschriften unter die Urkunde zur Städtepartnerschaft setzten. Die "Partnerschaft für den Frieden", wie Schuchardt die Zusammenarbeit im Ratssaal von Lwiw nannte, zielt im Moment vor allem auf zivile Unterstützung in Zeiten des Krieges, doch sie soll sich weiterentwickeln. – Ein Gespräch über den Alltag im Krieg, die Entstehung der Städtepartnerschaft und die Pläne für Friedenszeiten. Das Interview wurde in der vergangenen Woche im Rathaus von Lwiw geführt.

Frage: Herr Sadovyj, die Ukraine befindet sich seit einem Jahr im Krieg mit Russland. Wie sehr prägt der Krieg den Alltag in Ihrer Stadt?

Andrij Sadovyj: Das Leben meines Landes und meiner Stadt hat sich sehr geändert, ebenso mein Leben. Lwiw ist zu einem humanitären Sammelpunkt geworden. Fünf Millionen Ukrainer sind seit Kriegsbeginn durch unsere Stadt gekommen, wir haben sehr viele Binnenflüchtlinge und Verletzte in Lwiw. Als Bürgermeister muss ich alle notwendigen Prozesse organisieren, zugleich muss die Stadt aktiv weiterleben, wirtschaftlich und kulturell. Unser Feind will die Angst als Waffe benutzen, aber wir haben unsere Angst verloren. Und wir haben verstanden, dass wir in einer nie dagewesenen Situation leben. Jeder konzentriert sich auf seine Pflichten. Die Stärke unserer Städte ist wichtig für ein starkes Land. Meine Aufgabe besteht auch darin, dass ich die Bürgermeister auch aus anderen Städten unterstütze. 

Wie gehen die Menschen in Ihrer Stadt mit der gegenwärtigen Situation um? 

Sadovyj: Es gibt inzwischen eine Normalität im Krieg. Jeden Tag haben wir Luftalarm, wir wissen, dass wir uns im Luftschutzkeller verstecken müssen. Unsere Luftabwehr funktioniert von Tag zu Tag besser, alle Unternehmen arbeiten, die Schulen sind geöffnet. Aber Tausende Bürger der Stadt sind jetzt an der Front.

Herr Schuchardt, wie sind Würzburg und Lwiw zueinander gekommen?

Christian Schuchardt: Es gab zwei Initialmomente: Zum einen gibt es eine schon rund zehn Jahre bestehende Partnerschaft zwischen den Universitäten beider Städte, für die sich besonders der damalige Präsident der Universität Würzburg Alfred Forchel eingesetzt hatte. Und zum anderen gab es das Momentum, als Anfang März 2022 die Brüder Klitschko bei uns in Würzburg erstmalig in einem deutschen Stadtrat per Video präsent waren. Danach beschloss unser Stadtrat, dass es eine Städtepartnerschaft mit Lwiw geben soll und dass die Stadt Würzburg bis zu einer Million Euro für zivile Hilfen in der Ukraine bereitstellt. 

Lwiw hat mehr als fünfmal so viele Einwohnerinnen und Einwohner wie Würzburg. Warum passt die Stadt dennoch so gut zu Würzburg?

Schuchardt: Lwiw ist ebenso wie Würzburg eine Stadt mit großartiger Geschichte, und sie hat eine große Bedeutung fürs Umland. Sowohl in Lwiw als auch in Würzburg gibt es eine starke Zivilgesellschaft. Das ist ein gutes Fundament für eine Städtepartnerschaft. 

Sadovyj: Die Zusammenarbeit mit deutschen Städten ist für uns außerordentlich wichtig. Die Deutschen sind Systemmenschen, sie wissen, was Ordnung und Verantwortung bedeuten. Die deutsche Regierung und deutsche Organisationen sind bei uns sehr aktiv. In diesem Raum hier waren auch schon viele deutsche Minister und Abgeordnete. Jeder dieser Besuche hatte Ergebnisse. Dass Christian gerade jetzt in Lwiw ist, ist ein wichtiger Schritt. Das zeigt, dass man auch in Deutschland keine Angst hat und dass das Handeln im Vordergrund steht.

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Herr Sadovyj, zurzeit sind etwa 150.000 Flüchtlinge in Ihrer Stadt. Wie organisieren Sie die Unterbringung und Versorgung der Menschen?

Sadovyj: Man muss da unterscheiden: Ein Teil der Menschen, 107.00 offiziell angemeldete Flüchtlinge, braucht die Unterstützung der Stadt, die anderen können sich selbst helfen. Alle wissen, dass sie hier in einer Stadt sind, wo es viel sicherer ist als in anderen Gebieten der Ukraine. 

Welche Unterstützung benötigen Sie derzeit am nötigsten?

Sadovyj: Leoparden, Patriot-Abwehrsysteme, Flugzeuge – das ist das Wichtigste. Wenn wir unser Territorium befreien können, haben wir weniger Verletzte, weniger Binnenflüchtlinge. Aber natürlich: Diejenigen, die verletzt sind oder noch verletzt werden, brauchen im Moment die meiste Hilfe. Ich hoffe, dass Christian ein großer Botschafter unseres Projektes "Unbroken" wird (Hinweis der Redaktion: "Unbroken" ist ein großes Rehabilitationszentrum in Lwiw, wo kriegsversehrte Menschen behandelt werden). Das wäre dann auch ein guter Impuls für andere deutsche Städte. Die jungen Männer und Frauen, die jetzt ihr Leben einsetzen, tun das in unserem Namen und der gesamten Welt.

Schuchardt: Diese Unterstützung leiste ich sehr gerne. Denn natürlich kann eine Stadt wie Würzburg keine Leopard-Panzer und Patriots liefern. Aber das Nächste sind die Menschen, die Wiederherstellung ihrer Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit. Dazu dient dieses beeindruckende Projekt "Unbroken". Darauf möchte ich mich persönlich konzentrieren. Daneben gibt es weitere Felder der Kooperation, von der Kultur über soziale Themen, Schulpartnerschaften und anderes. Denn die Partnerschaft zwischen Würzburg und Lwiw ist ja eine Partnerschaft für den Frieden. Bei der Unterzeichnung der Urkunde waren viele Schülerinnen und Schüler aus Lwiw dabei. Diese jungen Menschen sind die Zukunft unserer Länder und unserer Städte.

Im Rathaus von Lwiw am 23. Februar 2023: Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt (links) und der Bürgermeister von Lwiw, Andrij Sadovyj, tauschen die Urkunden über die Städtepartnerschaft aus.
Foto: Torsten Schleicher | Im Rathaus von Lwiw am 23. Februar 2023: Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt (links) und der Bürgermeister von Lwiw, Andrij Sadovyj, tauschen die Urkunden über die Städtepartnerschaft aus.
Herr Sadovyj, wenn der Krieg mal vorbei ist: Welche Themen sollten aus Ihrer Sicht in der Städtepartnerschaft eine Rolle spielen?

Sadovyj: In erster Linie sehe ich da die Zusammenarbeit der Universitäten, Partnerschaften zwischen den Schulen und geschäftliche Kontakte. Wir können viel Nützliches für unsere Bürger tun, zum Beispiel im medizinischen Bereich. Es geht darum, zusammen das Beste zu erreichen. Das bedeutet: Ich kann nicht denken wie du, du kannst nicht denken wie ich – wir müssen zusammen denken.

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Was können die Bürgerinnen und Bürger beider Städte zu einer lebendigen Partnerschaft beitragen?

Schuchardt: Ich glaube, sie tun das bereits. Ich denke da an die vielen Ukrainer, die schon vor Kriegsausbruch in Würzburg waren, die Tausende von Kriegsflüchtlingen in Würzburg untergebracht haben, die private Hilfstransporte organisiert haben. Ich glaube, es gibt eine große Begeisterung für Lwiw in Würzburg, zum Beispiel unter den Kulturschaffenden, am Theater. Auch die Vernetzung von Gesellschaftsclubs oder auch der deutschsprachigen Schulen bietet hervorragende Chancen für einen gewinnbringenden Austausch.

Sadovyj: Im Moment denke ich nur an den Sieg. Was die Partnerschaft betrifft: Die Ukrainer sind sehr kreativ. Wenn wir unsere Kreativität und die deutsche Ordnung zusammennehmen, dann kann man Wunder vollbringen. Denn jede Kreativität braucht eine Stabilisierung.

Wie lässt sich die Mentalität der Menschen in Lwiw beschreiben, Herr Sadovyj?

Sadovyj: Es gibt hier eine große Liebe zum Nächsten. Diese Liebe hat sich im vergangenen Jahr so stark gezeigt, wie selbst ich es mir nicht habe vorstellen können. Diese Kraft der Menschlichkeit steht gegen die Unmenschlichkeit der anderen Seite. Menschlichkeit ist das Wichtigste. Man kann viel Geld und eine gute Ausbildung haben, aber wenn du nicht menschlich bist, dann hast du nichts. 

Treffen in Lwiw: Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt (rechts) mit dem  Bürgermeister der ukrainischen Partnerstadt, Andrij Sadovyj.
Foto: Torsten Schleicher | Treffen in Lwiw: Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt (rechts) mit dem  Bürgermeister der ukrainischen Partnerstadt, Andrij Sadovyj.
Herr Schuchardt, was kann Würzburg in diesen Tagen von Lwiw lernen?

Schuchardt: Zunächst mal muss man staunen über die Tapferkeit der Ukraine, aber auch der Zivilgesellschaft einer Stadt wie Lwiw. Ich denke, das zeigt uns, dass man in solchen Krisen wächst. Und das gibt auch Hoffnung.

Herr Sadovyj, wenn in der souveränen Ukraine hoffentlich bald wieder Frieden herrscht, was werden Sie als erstes machen?

Sadovyj: Das Leben eines Bürgermeisters kann man schwer in ein Vorher und Nachher einteilen. Ich denke aber bereits jetzt an die Zukunft im Frieden. Im Jahr 2025 wird Lwiw europäische Jugendhauptstadt sein. Das gilt es vorzubereiten, wir erwarten Tausende junger Menschen. Sie sehen, das Leben eines Bürgermeisters ist ständige Bewegung.

 
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Kommentare
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    Nach dem faden Fasching war der Ausflug nach Lemberg mal eine schöne Abwechslung.
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  • G. B.
    Wieso darf die Stadt nun nicht mehr Lemberg heißen?
    Wie sagen dich auch Prag oder Budweis, Warschau, St. Petersburg oder Danzig.
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