Sie habe eine solche Situation noch nicht erlebt, sagt Marion Schowalter. Die Psychologische Psychotherapeutin leitet die Trauma-Ambulanz im Zentrum für Psychische Gesundheit am Würzburger Universitätsklinikum. Die Expertin für die Behandlung von Akut-Traumata hat dort und im evangelischen Bildungszentrum Rudolf-Alexander-Schröder-Haus vor kurzem 15 Kolleginnen und Kollegen aus Würzburgs ukrainischer Partnerstadt Lwiw trainiert.
Trainerin Marion Schowalter war beeindruckt von Mut und Motivation der Ukrainer
Diese waren zum Teil selbst Opfer des Krieges. "Ich hatte noch nie eine so traumatisierte Gruppe von Teilnehmern", sagt Schowalter, die neben der Trauma-Ambulanz in Würzburg auch das Institut für Trauma- und Psychotherapie (ITP) leitet. Gleichzeitig sei es beeindruckend gewesen, "wie mutig und motiviert diese Therapeuten sind". Denn sie hatten sich auf den weiten Weg gemacht, um demnächst vom Krieg traumatisierten Menschen in ihrer Heimat zu helfen. Sie arbeiten im Reha-Zentrum "Unbroken" in Lwiw. Es ist nach Kriegsbeginn 2022 entstanden und bietet neben medizinischer und orthopädischer Versorgung auch psychosoziale Unterstützung an.
Mitgearbeitet hat auch die ukrainischstämmige Therapeutin Julia Furman. Sie habe durch ihre Sprachkenntnisse immer wieder individuell auf die situationsbedingten Bedürfnisse eingehen können. "Teilnehmer und Trainer haben sich aber während der Schulung oft auch ohne Worte verstanden", sagt Schowalter.
Ein Drittel der angereisten ukrainischen Therapeutinnen und Therapeuten hätten die Kriterien einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erfüllt. Alle anderen zeigten laut Schowalter ebenfalls eine sehr hohe Ausprägung an Traumasymptomen.
Eine der Teilnehmerinnen sei als Schwangere ein halbes Jahr in russischer Gefangenschaft gewesen, erzählt Schowalter. "Belastend sei vor allem, dass Menschen durch den Krieg keinen sicheren Ort mehr haben, der als innerer Ruhepol und für die psychische Gesundheit gebraucht wird. Eigentlich benötigten fast alle Therapeuten selbst eine Therapie", ist Schowalter überzeugt.
Pausen während des Trainings seien wichtig gewesen. Schowalter erzählt, "wir haben zwischendurch ukrainische Musik gehört und getanzt, auch Blödsinn gemacht und gelacht und die Fenster geöffnet, um die Schwere aus dem Raum zu bringen". Ein Blumenstrauß aus Pfingstrosen habe das Schöne in der Welt symbolisiert und sei ein Zeichen für Veränderung gewesen: Die Blüten wechselten in den Tagen der Schulung von rot zu gelb. "Das haben alle beobachtet und sich darüber gefreut."
Allerdings hätten in den Unterbrechungen alle immer auch auf ihrem Handy nachgeschaut, wo in ihrem Heimatland gerade Raketenbeschuss war. Der Krieg war in diesen Momenten sehr nah.
Das Projekt "Lions TraumaAid" wurde initiiert von Mitgliedern des Lions Clubs Würzburg-Löwenbrücke und Marion Schowalter. Die Psychotherapeutin hatte bereits kurz nach dem Würzburger Messerangriff von Juni 2021 für Augenzeugen eine Akut-Traumatherapie mit EMDR organisiert. Mit Erfolg. Deshalb wollte die Schowalter diese Methode auch für andere traumatisierte Menschen anbieten.
EMDR steht für die englische Bezeichnung "Eye Movement Desensitization and Reprocessing" – also für eine Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen. Die wissenschaftlich anerkannte Methode ist, so Schowalter, "das Mittel der Wahl bei einer Akut-Therapie". Also auch für Menschen, die – wie in der Ukraine - einer ständigen Bedrohung durch einen Angriffskrieg ausgesetzt sind.
Über die Bewegung der Augen beziehungsweise der Pupillen von rechts nach links versuche das Gehirn das erlebte Trauma zu verarbeiten, erläutert Schowalter. Es suche nach einer Möglichkeit, um die schrecklichen Gefühle aufzulösen. Diese Bewegungen der Augen werden vom Therapeuten angeleitet – mit dem Finger oder durch einen Stab mit einem Lichtsignal.
EMDR-Schulung wird im Oktober wiederholt
Weil zeitnahe Hilfe dringend nötig sei, habe es von der Idee bis zur Umsetzung der Schulung nur wenige Monate gedauert. Unterstützer für dieses Projekt mussten gefunden werden. Dazu gehören laut Schowalter Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt. Weitere Partner sind Mitglieder des Lions Clubs Würzburg-Löwenbrücke in Kooperation mit der ukrainischen Lions Foundation (Kiew), vertreten durch Serhii Denisenko, sowie die Uniklinik Würzburg. Das Training wurde finanziert von der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) mit Sitz in Würzburg.
Mittlerweile sind alle Teilnehmer in die Ukraine zurückgekehrt. Die EMDR-Schulung ist jedoch nicht zu Ende. "Wir haben vor allem die Theorie vermittelt, jetzt geht es mit der praktischen Anwendung weiter, diese wird online geschult", sagt Schowalter. Im Oktober wird das Training für weitere ukrainische Therapeuten wiederholt.