
Sie hat erreicht, wovon manche junge Menschen träumen: Lika F. begeistert täglich hunderte Menschen live im Internet. Inzwischen verdient sie mit ihrer unterhaltsamen Art sogar ihren Lebensunterhalt: Als Streamerin auf der Plattform Twitch filmt sich die Würzburgerin im Alltag - und lässt ihre Community, ihre Gemeinschaft, daran teilhaben.
Ob im Kiliani-Festzelt, auf Reisen per Anhalter durch Spanien, beim Einkaufen – die Handykamera ist bei Lika F. überall mit dabei. Fast überall: Ihr Schlafzimmer, das Badezimmer und auch ihre Familie hält Lika F. weitgehend von der Kamera fern.
Sie habe schon öfter erlebt, dass Menschen den Kontakt im Internet falsch interpretiert hätten, sagt die 33-Jährige, die ihren Nachnamen aus Schutzgründen nicht veröffentlicht haben will. "Dadurch, dass ich viel von meinem Leben teile und mit den Leuten interagiere, baut sich schon eine Bindung auf." Aber einseitig: In parasozialen Beziehungen haben Menschen das Gefühl, eine enge Verbindung zu einer prominenten Person zu haben, obwohl diese sie andersherum gar nicht kennt.
Zwei Jahre von Stalker verfolgt - bis vors Elternhaus
Sie sei über zwei Jahre von einem Mann verfolgt worden, der immer wieder den Kontakt gesucht hätte und vor dem Haus ihrer Eltern aufgetaucht sei, sagt die Streamerin. Inzwischen sei sie vorsichtiger, was sie im Netz von sich preisgibt: "Mir ist da zum ersten Mal bewusst geworden: Das ist nicht mehr nur mein Problem, sondern auch das von Menschen, die mir wichtig sind."
Der Gedanken, dass ihrer Familie etwas passieren könne, weil sie ihren Alltag im Internet teilt, habe sie nicht mehr losgelassen. Mit Hilfe der Polizei habe sich die Sache mit dem Stalker aber vor Gericht klären können.
Von der Musicaldarstellerin zur Twitch-Influencerin
Sie entschied sich, weiter zu streamen. Auch, weil sie mit Twitch ihre Berufung gefunden habe: Nach dem Abitur war Lika F. für eine Ausbildung als Musicaldarstellerin nach München gegangen. Doch das sei nichts für sie gewesen: "Ich hatte damals sehr viele Probleme mit meinem Selbstbewusstsein, und in dieser Branche brauchst du einfach eine harte Schale."
Sie zog zurück nach Würzburg, studierte Soziale Arbeit und arbeitete nach dem Bachelor als Sozialarbeiterin. Während Corona habe sie dann das Portal Twitch entdeckt, erzählt die 33-Jährige. Aus den ersten Live-Streams und Chats sei irgendwann ein Vollzeitjob geworden.
Ihr selbst habe das Streamen sehr weitergeholfen: "Inzwischen bin ich total selbstbewusst." Für ihre Streams spreche sie heute sogar Unbekannte auf der Straße an. Und der Inhalt habe sich verändert: "Früher war es viel mehr Persönliches über mich, heute setzte ich mehr auf Unterhaltung." So habe sie schon mal bei einem Festival in Rumänien Peter Maffay angesprochen und ihm vor der Kamera Fragen gestellt.
Würzburgerin verdient mit Twitch-Streaming ihr Geld
Ihre rund 15.000 Follower würden sie vor allem als lustige, aufgeschlossene und "manchmal auch ein bisschen peinliche Person" kennen, sagt die Würzburgerin. Was, wenn sie mal einen schlechten Tag hat und ihr nicht nach Spaß zu Mute ist? "Manchmal streame ich dann trotzdem und spreche mit meiner Community darüber, was mich bewegt." Doch meist sei es Abwägungssache: Denn mit Gute-Laune-Content verdient die Würzburgerin ihr Geld.
"Ich habe keinen Bürojob, bei dem ich auch schlecht gelaunt auf die Arbeit gehen kann und dann halt mit niemandem spreche", sagt sie. "Jeden Tag, an dem ich nicht streame, verdiene ich auch nichts." Noch sei sie auf jeden Cent angewiesen, reich werde man mit ihrer Reichweite nicht.
Auf der Plattform können Zuschauerinnen und Zuschauer Kanäle von Streamern abonnieren - der Streamende bekommt dann einen Teil des Gewinns ab. "Ich kann davon leben und nähre mich langsam dem Gehalt an, das ich auch als Sozialarbeiterin verdienen würde", sagt Lika F.. Manchmal verdiene sie durch Werbung etwas dazu und könne dann für schlechtere Monate was zur Seite legen.

Doch auf viel Geld komme es ihr sowieso nicht an, meint die 33-Jährige: "Meine Mama ist vor zwei Jahren gestorben, das hat viel mit mir gemacht." Ihre Mutter habe immer alles für die Rentenzeit aufsparen wollen: "Aber im Endeffekt hat sie die Rente nie erreicht." Sie selbst versuche deshalb, im Moment zu leben - und zu tun, was ihr Spaß macht.
Lika F. will anderen Mut machen: Zeigen, wie und wer man wirklich ist
Dass sie auf Twitch viel Zuspruch bekomme, mache sie glücklich. Denn lange Zeit habe sie das Gefühl gehabt, für andere Menschen nur ertragbar zu sein, wenn sie sich und ihre Persönlichkeit stark zurücknehme: "Ich hatte nie so einen Normcharakter und habe andere mit meiner aufgedrehten Art immer genervt."
Irgendwann habe sie beschlossen, sich selbst zu akzeptieren - und mit dem, wie sie sei, etwas Positives für die Welt zu machen.
Besonders von anderen Frauen höre sie häufig, dass sie ihre laute und aufgedrehte Art mögen, sagt die 33-Jährige. Deshalb streame sie bei Twitch so gern: Sie wolle anderen Mut machen, sich nicht zurückzunehmen, um gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden: "Wir Frauen müssen nicht immer nur hübsch und lieb sein. Wir können auch mal eine große Klappe haben oder peinlich sein."
Es gibt genug ältere Menschen, die mit den Begriffen "Influenzerin oder Streamerin" nichts anzufangen wissen. Stellen Sie sich mal vor, wir würden in England einen Artikel schreiben und da kämen ein paar deutsche Worte vor, die man in England nicht kennt...".