Die Stadt Würzburg zahlt noch in diesem Jahr neun Betroffenen von Gewalterfahrungen freiwillige finanzielle Anerkennungsleistungen. Das hat am Donnerstag der Stadtrat einstimmig beschlossen. Es sind Menschen, die in Jugendeinrichtungen in den 1960er und 1970er Jahren psychische, körperliche und sexualisierte Gewalt erleiden mussten, teilt die Stadt mit.
Berichte über "bestialische Strafen"
Ein Betroffener, der hier Peter heißen soll, war ab seinem vierten Lebensjahr in der Wickenmayerschen katholischen Kinderpflege in Würzburg-Grombühl untergebracht. Von 1907 bis 1996 wurden die Kinder dort von den Erlöserschwestern betreut.
Bald feiert Peter seinen 71. Geburtstag. Seine Erfahrungen belasten ihn noch heute. Vor über einem Jahr berichtete er im Gespräch mit dieser Redaktion von "bestialischen" Strafen. "Mit fünf Jahren wurde ich so geschlagen, dass ich eine Platzwunde am Kopf und eine Gehirnerschütterung hatte." Einmal habe er stundenlang barfuß und mit erhobenen Händen auf einem kalten Steinboden stehen müssen. Seither habe er eine Nierenschwäche.
Damalige Jugendamtsleitung verletzte Fürsorgepflicht
Mit der Zahlung von freiwilligen Anerkennungsleistungen übernehme die Stadt Würzburg die moralische Verantwortung für das Handeln des damaligen städtischen Jugendamtes, das in dieser Zeit Kinder in Einrichtungen der Jugendhilfe freier Träger unterbrachte, in denen sie körperlich oder psychisch misshandelt oder sexuell missbraucht wurden. Die damalige Jugendamtsleitung habe bekanntgewordene Vorfälle nicht ernst genommen und damit das Kindeswohl nicht beachtet und die Fürsorgepflicht verletzt.
"Als zweite Stadt in Bayern nach der Landeshauptstadt München setzt sich Würzburg damit aktiv mit dem Thema Verantwortung für ehemalige Heimkinder auseinander und ist zugleich die erste bayerische Stadt, die tatsächliche finanzielle Leistungen an Betroffene zahlt, um das erfahrene seelische und körperliche Leid anzuerkennen und Betroffenen, wenn auch erst sehr spät, ein Stück Anteilnahme, Gerechtigkeit und Unterstützung zuteilwerden zu lassen", wird Oberbürgermeister Christian Schuchardt in einer Mitteilung zitiert.
Peter sucht noch immer eine Wohnung im Stadtzentrum
Bereits vor einem Jahr hieß es auf Nachfrage der Redaktion: Der Oberbürgermeister habe bereits im Juni 2023 ein Gespräch mit Peter geführt. Vereinbart wurde, dass Peter eine Wohnung erhalten soll. Er lebt in einem Würzburger Stadtteil, möchte jedoch näher ins Zentrum.
Eine Wohnung, die er besichtigt hat, befindet sich in Grombühl ganz in der Nähe des 'Wickenmayer'-Heims und in der Kirche St. Josef, wo er sieben Jahre lang von einem Musiklehrer sexuell missbraucht wurde. Deswegen hat er auch beim Bistum Würzburg einen Antrag auf Anerkennungsleistung gestellt, der noch offen sei, so Peter. "Ich kann in Grombühl nicht leben", sagt er.
Auch drei Geschwister von Peter stellten Antrag
Laut Peter wird sich die finanzielle Anerkennung der Stadt im fünfstelligen Bereich bewegen. Auch drei weitere Geschwister, zwei Brüder und eine Schwester von Peter, hätten einen Antrag gestellt.
Von Seiten der Stadt heißt es: Zu den bereits bekannten fünf Personen hätten sich noch weitere vier beim Fachbereich Jugend und Familie gemeldet. "Diese Personen führten glaubhaft ihre Gewalterfahrungen in Würzburger Jugendeinrichtungen an, in denen sie das damalige städtische Jugendamt untergebracht hatte", erklärt Sozialreferentin Hülya Düber.
Weitere Betroffene können sich an den Leiter des städtischen Fachbereichs Jugend und Familie Gunther Kunze (gunther.kunze@stadt.wuerzburg.de, Tel. 09 31/37-23 44) wenden.
Aber wer hat denn vor Ort die Kinder misshandelt? Die Mitarbeiter des Jugendamtes? Oder waren es die Aufsichtspersonen und Betreuerinnen (Zuchtmeisterinnen), die die Kinder misshandelt, gequält, gefoltert haben? Welche Wiedergutmachung leisten diese Personen der "Erlöserschwestern"? Wurden sie jemals angeklagt und verurteilt? Übernimmt deren heutige Führungsriege Verantwortung?