zurück
Würzburg
Würzburg entschädigt als erste Stadt in Bayern Heimkinder, die Opfer von Gewalt wurden - Was ein Betroffener erlitten hat
Neun Männer und Frauen machten Ansprüche geltend. Sie erfuhren massive Gewalt in Jugendeinrichtungen in den 1960er und 1970er-Jahren. Einer der Betroffenen ist Peter.
Eingang zur Wickenmayerschen katholische Kinderpflege (Archivfoto). Bis 1996 wurden dort Kinder und Jugendliche von den Schwestern der Kongregation des Erlösers betreut. Heute ist es eine Einrichtung der Diakonie.
Foto: Hans Heer | Eingang zur Wickenmayerschen katholische Kinderpflege (Archivfoto). Bis 1996 wurden dort Kinder und Jugendliche von den Schwestern der Kongregation des Erlösers betreut. Heute ist es eine Einrichtung der Diakonie.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 19.11.2024 02:42 Uhr

Die Stadt Würzburg zahlt noch in diesem Jahr neun Betroffenen von Gewalterfahrungen freiwillige finanzielle Anerkennungsleistungen. Das hat am Donnerstag der Stadtrat einstimmig beschlossen. Es sind Menschen, die in Jugendeinrichtungen in den 1960er und 1970er Jahren psychische, körperliche und sexualisierte Gewalt erleiden mussten, teilt die Stadt mit.

Berichte über "bestialische Strafen"

Ein Betroffener, der hier Peter heißen soll, war ab seinem vierten Lebensjahr in der Wickenmayerschen katholischen Kinderpflege in Würzburg-Grombühl untergebracht. Von 1907 bis 1996 wurden die Kinder dort von den Erlöserschwestern betreut.

Bald feiert Peter seinen 71. Geburtstag. Seine Erfahrungen belasten ihn noch heute. Vor über einem Jahr berichtete er im Gespräch mit dieser Redaktion von "bestialischen" Strafen. "Mit fünf Jahren wurde ich so geschlagen, dass ich eine Platzwunde am Kopf und eine Gehirnerschütterung hatte." Einmal habe er stundenlang barfuß und mit erhobenen Händen auf einem kalten Steinboden stehen müssen. Seither habe er eine Nierenschwäche.

Damalige Jugendamtsleitung verletzte Fürsorgepflicht

Mit der Zahlung von freiwilligen Anerkennungsleistungen übernehme die Stadt Würzburg die moralische Verantwortung für das Handeln des damaligen städtischen Jugendamtes, das in dieser Zeit Kinder in Einrichtungen der Jugendhilfe freier Träger unterbrachte, in denen sie körperlich oder psychisch misshandelt oder sexuell missbraucht wurden. Die damalige Jugendamtsleitung habe bekanntgewordene Vorfälle nicht ernst genommen und damit das Kindeswohl nicht beachtet und die Fürsorgepflicht verletzt.

"Würzburg ist die erste bayerische Stadt, die tatsächlich finanzielle Leitungen an Betroffene zahlt."
Oberbürgermeister Christian Schuchardt

"Als zweite Stadt in Bayern nach der Landeshauptstadt München setzt sich Würzburg damit aktiv mit dem Thema Verantwortung für ehemalige Heimkinder auseinander und ist zugleich die erste bayerische Stadt, die tatsächliche finanzielle Leistungen an Betroffene zahlt, um das erfahrene seelische und körperliche Leid anzuerkennen und Betroffenen, wenn auch erst sehr spät, ein Stück Anteilnahme, Gerechtigkeit und Unterstützung zuteilwerden zu lassen", wird Oberbürgermeister Christian Schuchardt in einer Mitteilung zitiert.

Peter sucht noch immer eine Wohnung im Stadtzentrum

Bereits vor einem Jahr hieß es auf Nachfrage der Redaktion: Der Oberbürgermeister habe bereits im Juni 2023 ein Gespräch mit Peter geführt. Vereinbart wurde, dass Peter eine Wohnung erhalten soll. Er lebt in einem Würzburger Stadtteil, möchte jedoch näher ins Zentrum.

Eine Wohnung, die er besichtigt hat, befindet sich in Grombühl ganz in der Nähe des 'Wickenmayer'-Heims und in der Kirche St. Josef, wo er sieben Jahre lang von einem Musiklehrer sexuell missbraucht wurde. Deswegen hat er auch beim Bistum Würzburg einen Antrag auf Anerkennungsleistung gestellt, der noch offen sei, so Peter. "Ich kann in Grombühl nicht leben", sagt er.

Auch drei Geschwister von Peter stellten Antrag

Laut Peter wird sich die finanzielle Anerkennung der Stadt im fünfstelligen Bereich bewegen. Auch drei weitere Geschwister, zwei Brüder und eine Schwester von Peter, hätten einen Antrag gestellt.

Von Seiten der Stadt heißt es: Zu den bereits bekannten fünf Personen hätten sich noch weitere vier beim Fachbereich Jugend und Familie gemeldet. "Diese Personen führten glaubhaft ihre Gewalterfahrungen in Würzburger Jugendeinrichtungen an, in denen sie das damalige städtische Jugendamt untergebracht hatte", erklärt Sozialreferentin Hülya Düber.

Weitere Betroffene können sich an den Leiter des städtischen Fachbereichs Jugend und Familie Gunther Kunze (gunther.kunze@stadt.wuerzburg.de, Tel. 09 31/37-23 44) wenden.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Christine Jeske
Bistum Würzburg
Christian Schuchardt
Heimkinder
Hülya Düber
Jugendorganisationen und Jugendeinrichtungen
Jugendämter
Stadt Würzburg
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Herbert Stapff
    Der Träger der "Wickenmayerschen katholischen Kinderpflege" war seinerzeit die Stadt. Dass sie heute die moralische Verantwortung für das Wegsehen des Jugendamtes übernimmt, ist sehr anerkennenswert und auch die finanzielle Unterstützung in Ordnung. Sie ist nur symbolhaft, denn eine wirkliche Entschädigung oder Wiedergutmachung kann und wird es nie geben können.

    Aber wer hat denn vor Ort die Kinder misshandelt? Die Mitarbeiter des Jugendamtes? Oder waren es die Aufsichtspersonen und Betreuerinnen (Zuchtmeisterinnen), die die Kinder misshandelt, gequält, gefoltert haben? Welche Wiedergutmachung leisten diese Personen der "Erlöserschwestern"? Wurden sie jemals angeklagt und verurteilt? Übernimmt deren heutige Führungsriege Verantwortung?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten