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Würzburg
Würzburgs Oberbürgermeister zu den Gewalt-Vorwürfen im Wickenmayerschen Kinderheim: "Ich glaube den Opfern"
Peter, heute 70, erlitt als Kind in der Einrichtung körperliche und sexuelle Gewalt. Wie die Stadt Würzburg und die Erlöserschwestern ihn unterstützen wollen.
Die Wickenmayersche katholische Kinderpflege in Würzburg wurde bis 1996 von den Erlöserschwestern betrieben. Heute ist dort eine Einrichtung der Diakonie untergebracht.
Foto: Thomas Obermeier | Die Wickenmayersche katholische Kinderpflege in Würzburg wurde bis 1996 von den Erlöserschwestern betrieben. Heute ist dort eine Einrichtung der Diakonie untergebracht.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 05.11.2023 02:37 Uhr

Peter hat im Wickenmayerschen Kinderheim in Würzburg Demütigungen, Schläge und sexuellen Missbrauch erlitten. Das war vor rund 60 Jahren. Peter ist nicht sein richtiger Name; er möchte anonym bleiben. Seine Geschichte hat diese Redaktion vor kurzem veröffentlicht.

Peter schilderte nicht nur von seinen traumatischen Erfahrungen. Er erwähnte auch, dass ihm zum einen Hilfe zugesagt wurde von Seiten der Erlöserschwestern. Sie betreuten bis 1996 die Kinder, die vom Jugendamt in diese Einrichtung überwiesen worden sind.

Oberbürgermeister Christian Schuchardt führte Gespräch mit Peter und seinem Bruder

Die Stadt Würzburg habe ihm ebenfalls Unterstützung angeboten. Denn die Wickenmayersche katholische Kinderpflege war damals eine städtische Stiftung. Heute ist sie eine selbstständige örtliche Stiftung des öffentlichen Rechts.

Auf Nachfrage bestätigt das Büro des Oberbürgermeisters, dass Christian Schuchardt im Juni 2023 ein Gespräch mit Peter und seinem ebenfalls betroffenen Bruder geführt hat. Für Schuchardt seien die Schilderungen der traumatischen Erlebnisse der Brüder sehr eindringlich und berührend gewesen; sie würden ihn heute noch bewegen.

Der Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt sagt: 'Die Stadt Würzburg trägt die moralische Verantwortung gegenüber den Betroffenen und erkennt ihr seelisches und körperliches Leid an.'
Foto: Thomas Obermeier | Der Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt sagt: "Die Stadt Würzburg trägt die moralische Verantwortung gegenüber den Betroffenen und erkennt ihr seelisches und körperliches Leid an."

"Ich glaube den Opfern. Die Erlebnisse, die Peter und sein Bruder geschildert haben, sind schrecklich", so der Oberbürgermeister. Oberste Aufgabe des Jugendamts sei Kinderschutz. "Wenn Kinder aus ihren Familien genommen werden müssen und zu ihrem eigenen Schutz in Pflegefamilien oder in Kinderheimen unterkommen und dann dort Gewalterfahrungen machen müssen, ist dies eine Tragödie."

"Diese Kinder waren der Stadt Würzburg anvertraut."
Oberbürgermeister Christian Schuchardt

Schuchardt fügt hinzu: "Diese Kinder waren der Stadt Würzburg anvertraut. Die Vergangenheit ist nicht wiedergutzumachen. Die Stadt Würzburg trägt aber die moralische Verantwortung gegenüber den Betroffenen und erkennt ihr seelisches und körperliches Leid an."

Stadt Würzburg will Peter beistehen und Beratungsangebote vermitteln

Peter, der in einem Würzburger Stadtteil lebt, möchte näher im Zentrum wohnen. Dieser Wunsch könnte bald in Erfüllung gehen. Das Jugendamt habe für den 70-Jährigen einen Antrag auf einen Wohnberechtigungsschein gestellt und diesen priorisiert an die Stadtbau, das kommunale Wohnungsunternehmen, weitergegeben, informiert Claudia Lother, Pressesprecherin der Stadt Würzburg.

Die Stadt will Peter außerdem Beratungsangebote vermitteln, "die auch heute noch positiven Effekt haben können", heißt es weiter aus dem Oberbürgermeisterbüro.

Auch die Erlöserschwestern haben Hilfe zugesagt

Schwester Monika Edinger, die Generaloberin der Erlöserschwestern, bestätigt, dass es auch von ihrer Seite Unterstützung für Peter in seiner aktuellen Notsituation gebe. Sie werde vom Missbrauchsbeauftragten der Diözese Würzburg, Prof. Alexander Schraml, "in Abstimmung mit uns koordiniert". Zugesagt sei Hilfe beim Umzug und bei der Möblierung.

Schwester Monika Edinger, Generaloberin der Schwestern des Erlösers, hat Peter Unterstützung zugesagt.
Foto: Kongregation der Schwestern des Erlösers | Schwester Monika Edinger, Generaloberin der Schwestern des Erlösers, hat Peter Unterstützung zugesagt.

Peter ist nicht das einzige ehemalige "Wickenmayer"-Kind, das Vorwürfe gegen die Erlöserschwestern und dort Angestellte erhebt. Bereits vor zwei Jahren hat diese Redaktion über weitere Betroffene berichtet. Peter sowie seine enge Vertrauensperson Matthias Risser, ehemaliger Redakteur beim Würzburger katholischen Sonntagsblatt, sehen auch das Verhalten des damaligen Jugendamtsleiters kritisch.

Wird die Stadt Würzburg aufarbeiten, warum damals der Kinderschutz ausblieb und niemand vom Jugendamt eingriff? Laut Aussagen von Peter hatten die Mitarbeiter Kenntnis von Schlägen und Missbrauch. Sie seien auch regelmäßig im Heim gewesen. "Verborgen geblieben ist ihnen die körperliche Gewalt und auch der sexuelle Missbrauch sicher nicht", sagt Peter.

In seinem Fall, der Missbrauch durch S., der in der Einrichtung privat Musikunterricht gab, sei der Beschuldigte zwar nicht sofort, aber nach einiger Zeit entlassen worden. "Der Grund war bekannt", sagt Peter, da S. von einer Erlöserschwester "dabei erwischt" wurde. Er habe bereits zuvor versucht, einer Schwester von seinem Missbrauch zu erzählen. Sie habe ihn geohrfeigt und gesagt: "Über so was redet man nicht."

Stadt Würzburg: Bei den Akten gibt es Lücken

Pressesprecherin Claudia Lother informiert, dass die Vorwürfe durch den Fall Peter bekannt geworden sind. "Auch hier bekennt sich die Stadt Würzburg zu ihrer moralischen Verpflichtung gegenüber den Opfern." Bei den Akten gebe es jedoch Archivlücken, "da im Jahr 2013 eine Reihe von personenbezogenen Unterlagen des Stiftungsamtes zu Heimbewohnern und -personal offenbar als nicht archivwürdig vernichtet wurden".

Zudem sei die vom Jugendamt geführte pädagogische Akte zu Peter ebenfalls vernichtet worden. Dies müsse zehn Jahre nach Hilfeende geschehen sein, also zehn Jahre nach Peters Volljährigkeit.

Oberbürgermeister Schuchardt sagt dazu: "Ich möchte aber auch hier eindeutig klarstellen, dass wir den Betroffenen glauben. Als Oberbürgermeister werde ich daher in einer der nächsten Sitzungen einen Verfahrensvorschlag einbringen."

 
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  • Kerstin Celina
    Es tut so gut, die klaren Worte des OB Schuchardt zu hören.  Genau das vermisse ich seit Jahren als Antwort auf die Fragen der Betroffenen, der Wissenschaft und auch auf meine Fragen an die Bay. Regierung! Der Schutzauftrag des Staates über die Jugendämter, wurde viel zu oft eben nicht wahrgenommen,  egal ob es um körperl. oder psych. Mißbrauch ging, um den Zwang, Medikamente zu nehmen oder darum, ohne Zustimmung der Eltern als kindliches "Versuchskaninchen" für medizinische Testreihen hergenommen zu werden. Unrecht geschah auch mit staatlicher Hilfe bei jungen Müttern, die zur Adoptionsfreigabe ihrer Kinder gezwungen wurden. Sehr oft haben Behördenmitarbeiter*innen weggeschaut und mitgemacht, oft im Glauben, diese oft unehelichen und manchmal "schwierigen" Kinder seien weniger schutzbedürftig als andere. Die Lösung kann nur sein: aufklären, wo immer es noch geht, anerkennen und handeln, im Zweifel immer für die Betroffenen. Danke an den OB für den notwendigen, mutigen Richtungswechsel
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  • Johannes Fasel
    So richtig passt das Bild der lachenden Generaloberin nicht zum schlimmen Thema und zum augenscheinlichen Sündenfall der Erlöserschwestern. Aber das ist wohl das Geringste, was hier nicht passt – bei Aufarbeitung, Schuldeingeständnis, grundsätzlichen Gedanken hinsichtlich der vermeintlichen „Erlösung“.
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