zurück
Würzburg
"Wir vertreten die Haltung der Nulltoleranz": Wildwasser-Beraterinnen zum Fall Stefan Lurz und zu sexualisierter Gewalt
In der aktuellen Debatte um sexualisierte Gewalt im Sport wirft der Verein "Wildwasser" dem SV Würzburg 05 Versäumnisse vor. Was zwei Expertinnen allen Betroffenen raten.
Susanne Porzelt (links) und Elisabeth Kirchner von der Fachberatungsstelle des Würzburger Vereins 'Wildwasser' engagieren sich für Betroffene sexualisierter Gewalt.
Foto: Daniel Peter | Susanne Porzelt (links) und Elisabeth Kirchner von der Fachberatungsstelle des Würzburger Vereins "Wildwasser" engagieren sich für Betroffene sexualisierter Gewalt.
Carolin Münzel
 |  aktualisiert: 10.02.2024 12:29 Uhr

Susanne Porzelt und Elisabeth Kirchner wissen nur allzu gut, mit welchen Dämonen Mädchen und Frauen kämpfen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben. Die Sozialpädagogin und die psychologische Psychotherapeutin arbeiten für die Fachberatungsstelle des gemeinnützigen Würzburger Vereins "Wildwasser", der sich gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen engagiert. Im Zug der aktuellen Diskussion um sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport, die durch eine ARD-Dokumentation entfacht worden ist und die auch den SV Würzburg 05 betrifft, mahnen Porzelt und Kirchner, den Blick vor allem auf die Betroffenen zu lenken.

Kritisch blicken die beiden Expertinnen auf den Würzburger Schwimmverein und das Verhalten der Verantwortlichen. Durch den ARD-Beitrag war öffentlich geworden, dass der als Sexualstraftäter verurteilte ehemalige Trainer Stefan Lurz seit Februar als kaufmännischer Mitarbeiter weiter beim SVW 05 angestellt war. Mit seinen Bewährungsauflagen war das rechtlich vereinbar. Doch stellt sich die Frage nach der Moral und einem angemessenen Opferschutz.

Stefan Lurz hat seine Stelle inzwischen gekündigt und ist aus dem Verein ausgetreten. Der Vorstand des SV Würzburg 05 äußerte sich Ende vergangener Woche zu dem Fall und der Aufarbeitung. Damit aber ist es nicht getan, meinen Porzelt und Kirchner. Im Interview erklären sie warum und beleuchten die Auswirkungen sexualisierter Gewalt auf die Betroffene - ob im Sport oder in anderen Bereichen.

Frage: Sie haben sich vom SV Würzburg 05 im Fall Stefan Lurz ein deutliches Signal des Respekts für die Opfer sexueller Gewalt gewünscht. Und die Aufarbeitung der Geschehnisse und das Übernehmen von Verantwortung, um sexualisierte Gewalt in Zukunft zu verhindern. Reicht Ihnen, was der Verein jetzt in seiner Stellungnahme dazu sagt?

Elisabeth Kirchner: Für die Betroffenen wäre es sicherlich wichtig, wenn die Vereinsleitung Verantwortung übernimmt für eigene Versäumnisse, fehlendes Hinschauen und Fürsorge für die Schwimmer und Schwimmerinnen in den vergangenen Jahren. Aufgrund der Vorkommnisse und Meldungen empfehlen wir nicht nur die angekündigte interne, sondern eine Aufarbeitung mit professioneller Unterstützung von außen. Gut ist jedenfalls der Verweis für möglicherweise weitere Betroffene an eine neutrale Anlaufstelle außerhalb des Vereins.

Elisabeth Kirchner ist psychologische Psychotherapeutin, begleitet betroffene Mädchen und arbeitet bei Wildwasser e.V. im Bereich Schutzkonzepte.
Foto: Daniel Peter | Elisabeth Kirchner ist psychologische Psychotherapeutin, begleitet betroffene Mädchen und arbeitet bei Wildwasser e.V. im Bereich Schutzkonzepte.
Was macht es mit einem Menschen, wenn er sexuellen Missbrauch erfährt?

Kirchner: Die Folgen sind sehr unterschiedlich. Schlimm ist es, wenn man von einer Person missbraucht wird, der man vertraut hat, die man bewundert hat, die wichtig ist im Leben. Das können Elternfiguren sein, Trainer oder andere Menschen, die mir sehr nahe stehen und denen ich mich öffne. Ein Trainer kann mir im Hochleistungssport zum Beispiel sagen, was ich essen, wie ich trainieren, wo ich über die Grenze gehen muss. Er ist jemand, der sehr viel Macht über mich ausüben kann und ich muss ihm vertrauen, dass er das im Guten tut. Ich mag vielleicht auch mal nicht die dritte Stunde schwimmen und dann mache ich es, weil es der Trainer sagt. Sollte es in einen Bereich kommen, wo er andere Dinge von mir erwartet, die ich nicht gut finde, nehme ich das vielleicht auch erst mal hin. Das ist die Dynamik von Abhängigkeit und Machtmissbrauch.

Die gerade im Sport so ausgeprägt ist? 

Kirchner: Gerade im Sport denken Betroffene oft, sie müssen schweigen, um weiter erfolgreich zu sein. Sie wissen oft nicht, wo sie hingehen könnten, würden sie ihren Verein verlassen. Sie fragen sich, ob ihnen überhaupt jemand glauben würde, wenn sie von Übergriffen erzählen. Das sind die Konflikte, in denen sich Betroffene befinden, so lange die Gewalt anhält. Die weiteren Folgen sind ganz unterschiedlich. Manche haben Angst vor bestimmten Situationen, andere spalten ihre Gefühle ab. Andere versuchen nach dem Kontrollverlust im einen Kontrolle in anderen Lebensbereichen zu gewinnen und steuern zum Beispiel ihr Essverhalten. Da gibt es viele Facetten. Es ist möglich, dass Betroffene grundsätzlich das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen verlieren.

Kann man als Außenstehende oder Außenstehender erkennen, ob jemand von sexueller Gewalt betroffen ist?

Kirchner: Was wir öfters haben im Sport oder auch im Bereich Musik ist, dass Kinder sagen, sie wollen da nicht mehr hin, ohne genau zu erklären, warum.

Susanne Porzelt: Dass Mädchen sich möglicherweise selbst verletzen, sich zurückziehen und verschließen, kann ein Hinweis darauf sein, dass es ihnen schlecht geht. Auch wenn das andere Gründe als einen Missbrauch haben kann. Es ist leider so, dass es keine eindeutigen Anzeichen oder Auffälligkeiten gibt, von denen man sagen kann, sie lassen hundertprozentig auf sexuellen Missbrauch schließen. Auch Ängste und Schlafstörungen sind häufig. Dinge, die damit zu tun haben, dass die innere Sicherheit fehlt. In der Regel müssen Betroffene das Erlebte komplett mit sich alleine ausmachen. Das führt zu einer Vereinsamung. Deswegen ist es so ein riesengroßer Schritt, wenn Mädchen - oder auch Jungen - an die Öffentlichkeit gehen und sich wehren. Oder auch, wenn sie zu uns kommen und sich Hilfe holen. Das ist der erste Schritt. Eine Person zu finden, mit der ich reden, der ich vertrauen kann.

Was macht es gerade für Athletinnen und Athleten so schwierig, Missbrauch offen anzusprechen?

Porzelt: Im Sport ist Körperkontakt oftmals notwendig und normal. Da können Grenzen leichter verwischen. Beim Reitsport zum Beispiel, wenn aufs Pferd geholfen wird. Werden sie unangemessen berührt, denken Mädchen anfangs oft, das sei ein Versehen gewesen, da sei dem Trainer nur mal die Hand verrutscht. Sie trauen ihrer Wahrnehmung nicht. Dieser Selbstzweifel macht es extrem schwer, Missbrauch anzusprechen. Das wiederum ist nicht nur im Sport so, sondern überall.

Susanne Porzelt ist Sozialpädagogin und Familientherapeutin und arbeitet bei Wildwasser nicht nur mit Betroffenen, sondern auch mit besorgten Fachkräften und Angehörigen, die einen Verdacht haben, dass sexueller Missbrauch einer Schutzbefohlenen vorliegen könnte.
Foto: Daniel Peter | Susanne Porzelt ist Sozialpädagogin und Familientherapeutin und arbeitet bei Wildwasser nicht nur mit Betroffenen, sondern auch mit besorgten Fachkräften und Angehörigen, die einen Verdacht haben, dass sexueller ...
Wie muss sich ein Verein Ihrer Meinung nach verhalten, wenn sexuelle Übergriffe bekannt oder gar juristisch verurteilt werden?

Kirchner: Ein Urteil ist bedeutsam für Betroffene, weil damit gesellschaftlich anerkannt wird, dass jemand zum Täter geworden ist. Darüber hinaus ist es wichtig, dass sich der Verein um Aufarbeitung bemüht. Dass geschaut wird, was in den letzten Jahren nicht wahrgenommen worden ist, wo man hätte hinschauen müssen.

Porzelt: Wir vertreten die Haltung der Nulltoleranz. Das bedeutet, deutlich zu sagen, dass es hier in diesem Kreis keinen Raum für sexuellen Missbrauch gibt. Das wäre ein wichtiges Signal an alle, die mit dem Verein zu tun haben.

Haben Sie einen Rat für Betroffene? Was kann jemand tun, dem sexueller Missbrauch widerfährt?

Kirchner: Auf jeden Fall kann man sich an eine Beratungsstelle wenden, auch wenn man noch nicht sicher ist, wie man einordnen soll, was passiert ist oder was es als Nächstes zu tun gilt. Wir ermutigen Betroffene dazu, sich an Eltern oder andere Vertrauenspersonen zu wenden. Die wichtigste Botschaft ist: Bleib damit nicht alleine!

Hilfe bei körperlicher und sexueller Gewalt: An diese Stellen können sich Betroffene wenden

An die Fachberatungsstelle von Wildwasser Würburg e.V. können sich Mädchen und Frauen, deren nichtmissbrauchende Angehörige und alle Berufsgruppen wenden, die mit dem Thema Gewalt an Mädchen und Frauen zu tun haben.
Wildwasser Würzburg e.V.Theresienstraße 6-8, Tel. (0931) 13 287, E-Mail: info@wildwasserwuerzburg.de
Pro familia bietet unter anderem Beratung und Therapie für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte.
Beratungsstelle Würzburg, Semmelstraße 6, Tel. (0931) 46 06 50; E-Mail: wuerzburg@profamilia.de
Beratungsstelle Schweinfurt, Bauerngasse 46, Tel. (09721) 75 99 455; E-Mail: schweinfurt@profamilia.de
SEFRA ist ein Selbsthilfe- und Beratungszentrum für Frauen in Aschaffenburg und Umgebung. An den gemeinnützige Verein können sich Betroffene bei häuslicher und sexualisierter Gewalt oder Stalking wenden.
SEFRA Aschaffenburg, Frohsinnstraße 19, Tel. (06021) 24 728, E-Mail: info@sefrev.de
Anlauf gegen Gewalt ist eine Initiative des Vereins Athleten Deutschland. Dorthin können sich Männer und Frauen wenden, die körperliche, psychische oder sexualisierte Gewalt im Spitzensport erleben oder erlebt haben.
Anlauf gegen Gewalt, Tel. 0800 90 90 444, E-Mail: kontakt@anlauf-gegen-gewalt.org
cam
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Carolin Münzel
Gewalt
Mädchen
SV Veitshöchheim
Sexualisierte Gewalt
Sportlerinnen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • katein18071402
    Großartige Arbeit liebes Wildwasserteam! Wer beschützt unsere Kinder und macht drauf aufmerksam, wenn nicht Menschen mit Herz und weitem Horizont. Der Richter, der den Täter in diesem Fall verurteilt hat, hat auch " Nulltoleranz" bewiesen, hätte so gerne aufklärende Vorträge über spät folgen angeboten, für alle die sich scheinbar nicht aktiv informieren möchten?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten