Zum Ende des Landtagswahlkampfs in Bayern lieferten sich zwei bundespolitische Schwergewichte ein unterfränkisches Fernduell: In Würzburg sprach am Donnerstagnachmittag Robert Habeck bei einer Veranstaltung der Grünen. Wenig später betrat CDU-Chef Friedrich Merz zuerst in Schweinfurt, dann im Landkreis Rhön-Grabfeld die Wahlkampfbühne. Zwei Politiker-Typen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten - aber in gleicher Mission: ein letzter Push vor Sonntag.
Hälfte der Stühle bei den Grünen besetzt: Gleichstand mit der CSU
Würzburg, Posthalle, kurz vor 14 Uhr. Die Halle in der Nähe des Hauptbahnhofs, in der sonst Konzerte und Partys steigen und wo am vergangenen Sonntag noch Markus Söder vor 600 Anhängern gesprochen hatte, füllt sich nur langsam. Als Habeck um Punkt zwei unter Applaus einläuft, ist gut die Hälfte der 1000 aufgestellten Stühle besetzt - ähnlich wie bei der CSU-Veranstaltung, worüber sich die Bezirksvorsitzende Simone Artz freut. "Die Halle ist voll", findet sie.
Echte Euphorie will aber bei den Grünen nicht aufkommen. Zu schwer liegt die aufgeheizte Stimmung im Wahlkampf über der Veranstaltung, auch wenn die Kandidatinnen und Kandidaten betonen, an den Infoständen in der Region werde deutlich, dass die Menschen "Söder und Aiwanger satt" hätten. Aber der Stein, der in Neu-Ulm in Richtung von Fraktionschefin Katharina Schulze flog, der Fall, bei dem ein Mann Grünen in Schweinfurt mit einer "Kugel in den Kopf" gedroht hat - das beschäftigt die Partei.
Habeck nimmt die Stimmung auf, verurteilt, dass im politischen Diskurs "Gegensätze zu Feindschaften aufgebaut" würden und versucht, Mut zu machen. "Lasst uns nicht klagen, sondern unterhaken", ruft er seinen Parteifreunden zu. "Schreckt nicht vor einem harten Wahlkampf zurück."
Dass die Grünen gerade von der CSU als Hauptgegner auserkoren worden sind, nennt Habeck ein "Ehrenprädikat". Es zeige, wie sehr man die bestehenden Machtverhältnisse in Bayern in Frage gestellt habe. "Wir rütteln am Baum der Tradition der CSU." Die Halle johlt.
Endlich Diskussion: Merz beim "Wirtschaftstalk" der CSU in Schweinfurt
Etwa zeitgleich kommt Merz in Schweinfurt beim "Wirtschaftstalk" der CSU an. Dort wiederholt er zwar nicht seine umstrittenen (und teilweise widerlegten) Thesen zur zahnärztlichen Versorgung von Asylbewerbern, erklärt aber: "Es war richtig, das mal so zu sagen." Endlich werde nun eine Diskussion über die Leistungen für Asylbewerber geführt. Von den rund 300 Zuhörerinnen und Zuhörern auf dem Gelände der Firma Maincor Rohrsysteme erhält er dafür den meisten Applaus.
Merz sagt aber auch klar und deutlich: "Deutschland ist ein Einwanderungsland, seit Jahrzehnten schon." Ein Satz, der CDU-Vorsitzenden lange Jahre nicht über die Lippen gegangen ist. Der Sauerländer fordert mehr Einwanderung in den Arbeitsmarkt, "aber keine steigende Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme".
Um hier schnell Lösungen zu finden, etwa durch mehr Grenzkontrollen und das Ersetzen von Geldzahlungen durch Sachleistungen, habe er Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Mitwirkung an dessen "Deutschland-Pakt" angeboten. Leider sei die Ampel bislang nicht auf das Angebot eingegangen, klagt der CDU-Chef. Aber vielleicht ändere sich dies nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen an diesem Sonntag.
Habeck kritisiert Söders "Wackelgedackel"
Sein Vorgehen nennt Merz "konstruktive Oppositionspolitik". Hier würde Habeck wohl widersprechen. In Würzburg unterstellt der Vizekanzler der CSU, sich "unangenehmen Debatten" und Lösungen zu verschließen. Söder ändere seine Meinung je nach der Stimmung in der Bevölkerung - "dauerndes Wackelgedackel" nennt Habeck diesen Politik-Stil. Und der spiele Rechtspopulisten in die Karten, die demokratisch gewählte Regierungen und Parlamente so dastehen lassen wollten, als könnten diese keine Probleme lösen.
Merz: "Das mit dem Klimawandel ist verdammt ernst"
Merz verzichtet indes in Schweinfurt auf Bierzelt-Rhetorik, gibt sich in seiner 45-minütigen Rede zeitweise deutlich nachdenklicher als zuletzt der CSU-Chef. "Das mit dem Klimawandel ist verdammt ernst", sagt er etwa. Es gelte, die notwendige Transformation mit wirtschaftlicher Prosperität in Einklang zu bringen. Deutschland sei vielleicht nur für zwei Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes verantwortlich, er aber habe den Anspruch, mit den "erstklassigen Unternehmen" im Lande "20 Prozent der weltweiten Lösung" zu entwickeln - und so den Wohlstand zu sichern. Ein Satz, den der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vermutlich auch unterschreiben würde.
Allein der Weg dahin ist strittig. Und da lässt der CDU-Chef kein gutes Haar an der Bundesregierung. Das Abschalten der letzten Atomkraftwerke sei ein Fehler gewesen, das Heizungsgesetz müsse komplett ausgesetzt werden. Außerdem brauche es eine Steuerreform, die den Mittelstand als Rückgrat der Wirtschaft deutlich entlaste, aber auch Arbeitnehmer. Der Einkommensteuertarif müsse "flacher verlaufen", fordert Merz, Überstunden sollten von Abgaben befreit werden.
Keine Lust auf Kanzlerkandidaten-Frage
Nur die Frage aller Fragen, die Kanzlerkandidaten-Frage nämlich, die will am Donnerstag beim Merz-Besuch niemand bei der CSU so gerne beantworten. "Wir werden diese Personalentscheidung nächstes Jahr nach den Landtagswahlen im Osten in der Union gemeinsam treffen", verkündet die Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber im besten Partei-Sprech - und lächelt dazu süffisant.
Bei den Grünen in Würzburg applaudiert man derweil für einen Lehrer aus Bad Königshofen im Landkreis Rhön-Grabfeld: Kilian Schumm ist das 2000. Mitglied der Grünen in Unterfranken. 2018, kurz vor der letzten Landtagswahl, war das 1000. Mitglied beigetreten. "Merkt ihr eigentlich, was hier los ist?", fleht Habeck geradezu. "Plus 100 Prozent in fünf Jahren!"
Auf dem Biobauernhof für Merz die Scheune ausgeräumt
Etwa zum gleichen Zeitpunkt, keine 30 Kilometer von Bad Königshofen entfernt, steigt die Spannung. In dem kleinen Weiler Querbachshof bei Bad Neustadt hat der CSU-Kreisvorsitzende und Biolandwirt Christof Herbert extra für Merz seine Scheune geräumt.
Rund 600 CSU-Anhängerinnen und Anhänger lauschen dort später dem Oppositionsführer im Bundestag, der auch hier schon über die Bundestagswahl 2025 spricht. "Wir werden in eine harte Auseinandersetzung gehen und können letztlich nur an uns selbst scheitern", sagt Merz.
Die Herausforderungen durch die Migration seien ein drängendes Problem. Seine Zahnersatz-Äußerungen mögen "vielleicht etwas drastisch ausgedrückt" gewesen sein, sagt Merz hier. Er bleibe aber dabei, dass der "Kontrollverlust" in der Migrationspolitik verhindert werden müsse. Die Wirtschaftspolitik müsse wieder mehr ins Zentrum gerückt werden, auch und gerade in Zeiten des Klimawandels. "Dies ist nicht die Zeit der Ideologen, dies ist die Zeit der Ingenieurinnen und Ingenieure", die unterschiedliche technische Lösungen zur Klimarettung bieten. Es könne nicht sein, dass eine der erfolgreichsten Wirtschaftsnationen der Welt durch dauernde Verbote in die Knie gezwungen würde.
Ein Seitenhieb gegen die Grünen zum Ende eines Tages in Unterfranken, an dem sich Habeck und Merz quasi auf gemeinsamer Tour befinden: Beide kamen von Wahlkampfterminen im Raum Nürnberg nach Unterfranken, nun geht es für beide weiter nach Hessen. Auch dort wird ja am Sonntag ein neuer Landtag gewählt.