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Würzburg
Was ist bedürfnisorientierte Erziehung und warum sind Eltern heute oft überfordert mit den Kindern, Frau Mierau?
Strafen können Kinder verunsichern, häufig schaden sie sogar sehr. Pädagogin Susanne Mierau erklärt, warum Verständnis wichtig für die Erziehung ist - und Orientierung auch.
Die Bestsellerautorin Susanne Mierau liest in Würzburg aus ihrem Buch 'Frei und unverbogen' im Generationen-Zentrum Matthias Ehrenfried.
Foto: Caspar C. Mierau. | Die Bestsellerautorin Susanne Mierau liest in Würzburg aus ihrem Buch "Frei und unverbogen" im Generationen-Zentrum Matthias Ehrenfried.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 11.04.2025 02:41 Uhr

Was brauchen Kinder, um glücklich aufzuwachsen? Wie kann eine gute und zeitgemäße Erziehung aussehen? Die Pädagogin Susanne Mierau tritt für bedürfnisorientierte Erziehung ein und hat vor über zehn Jahren ihren Blog "Geborgen wachsen" begonnen. Gerade hat die Autorin, die mit ihrer Familie in Brandenburg lebt, ihr neuestes Buch vorgestellt: "Emotional Load: Wie Mütter frei von emotionaler Belastung werden".

In Würzburg wird die 45-jährige Pädagogin und Familienbegleiterin jetzt aus ihrem 2021 erschienenen Band "Frei und unverbogen. Kinder ohne Druck begleiten und bedingungslos annehmen" lesen. Im Interview spricht Susanne Mierau über gute Erziehung, Bindung - und Familienarbeit.

Frau Mierau, sind Eltern heute zunehmend unsicher in Sachen Erziehung? 

Susanne Mierau: Derzeit herrscht bei vielen Eltern Unsicherheit, unter anderem wegen der Lage im Bildungs- und Betreuungsbereich. Sie erhalten zahlreiche, oft widersprüchliche Informationen, etwa zum Kita-Start. Die Meinungen gehen auseinander, ob der Kita-Besuch ab einem Jahr schädlich oder unbedenklich ist. Die aktuelle Kitakrise verschärft die Lage noch: Es fehlt an Personal oder es wechselt häufig, was Eltern weiter verunsichert. Dabei wollen alle Eltern vor allem, dass ihr Kind sicher und gut aufwächst.

Es wird ja auch immer wieder behauptet, Eltern haben das Erziehen verlernt. Ist da etwas dran?

Mierau: Früher sprach man oft vom Mutterinstinkt. Aktuelle Forschung zeigt jedoch, dass es keinen angeborenen Mutterinstinkt gibt. Vieles von unserem Verhalten gegenüber Kindern ist erlernt. Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, wie Kinder erzogen werden sollten. Oft kritisiert die ältere Generation die Methoden der Jüngeren. Diese Veränderungen sind jedoch notwendig, da sich die Welt ständig wandelt. Erziehung muss sich anpassen, um Kinder auf ihre aktuelle Umwelt vorzubereiten.

Stichwort Wandel - was reizt Sie selbst am Thema Erziehung und veränderte Familienarbeit?

Mierau: Viele Eltern möchten heute anders erziehen, als sie selbst erzogen wurden. Die ältere Generation setzte oft auf Bestrafung und Rückzug, was bei vielen Menschen zu Verletzungen führte, die auch mit späteren psychischen Erkrankungen in Verbindung stehen können. Diese Eltern wollen es besser machen, wissen aber oft nicht, wie. Hier setze ich an und helfe ihnen, neue Wege in der Erziehung zu finden.

Wie sieht eine liebevolle, gute und zeitgemäße Erziehung heute aus?

Mierau: Seien Sie einfach nett zum Kind. Behandeln Sie es freundlich, respektvoll und wie einen Menschen. Das ist die kurze Antwort darauf.

Und wie erklären Sie das Konzept bedürfnisorientierte Erziehung?

Mierau: Es basiert wesentlich auf der Wahrnehmung und angemessenen Antwort von Bedürfnissen. Das sind einmal die Grundbedürfnisse, aber eben auch die psychischen Grundbedürfnisse nach Bindung, Orientierung und Kontrolle, Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz, Lustgewinn und Unlustvermeidung. Die Bedürfnisse sollten in gesunder Balance sein – bei Kindern, aber auch bei den Eltern und eigentlich allen Erwachsenen.

"Seien Sie einfach nett zum Kind."
Pädagogin Susanne Mierau über gute Erziehung
Was ist mit Kontrolle gemeint?

Mierau: Ich muss mein Umfeld mitgestalten können. Besonders in der Autonomiephase wird das deutlich. Kinder möchten handeln und spüren, dass sie die Welt beeinflussen können. Gleichzeitig brauchen sie Orientierung. Wir alle wollen handeln und etwas bewirken, doch wir suchen auch Halt. Manchmal fällt es Eltern schwer, diese Orientierung zu geben.

Bedeutet das, Grenzen zu setzen?

Mierau: Es bedeutet, den Kindern die Regeln unseres Zusammenlebens zu erklären, damit sie sich gut im Miteinander und der Gesellschaft zurechtfinden. Damit sichert also Orientierung auch Bindung: Ich lerne, wie ich gute Beziehungen eingehen und halten kann, weil mir die Bezugspersonen erklären, wie diese Regeln sind. Dazu gehört auch, zu wissen, was eben an Verhalten nicht geht. Das bringt man Kindern vor allem durch das Vorbildverhalten bei, aber eben auch durch Erklärung – immer und immer wieder.

Welche großen Fehler können denn Mütter und Väter beim Erziehen machen?

Mierau: Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Psychische und körperliche Gewalt beeinträchtigen die kindliche Entwicklung erheblich. Diese Erkenntnis führte zur gesetzlichen Verankerung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung. Gewalt verursacht nicht nur unmittelbares Leid, sondern hat auch langfristige negative Auswirkungen auf das Kind. Daher ist es wichtig, dass Eltern und Erziehungsberechtigte dieses Recht respektieren und umsetzen.

Was bringen Strafen?

Mierau: Kinder lernen nicht durch Strafen. Kinder müssen verstehen, warum bestimmte Verhaltensweisen nicht akzeptabel sind. Ein Beispiel: Kinder essen am Anfang oft mit den Fingern, das ist aber hierzulande weniger akzeptiert. Eigentlich ist es sinnvoll, denn Kinder wollen Nahrung mit allen Sinnen wahrnehmen und das beginnt von mit dem Anfassen und Riechen. Dem Kind jetzt einfach das Essen wegzunehmen, ist nicht sinnvoll. So lernt es ja auch nichts. Besser ist es, Vorbild zu sein und immer wieder Besteck anzubieten und spielerisch ausprobieren zu lassen. 

Wie kann man Väter mehr in die Erziehung einbeziehen?

Mierau: Väter sollten von sich aus Verantwortung für ihre Kinder übernehmen. Oft diskutiert man jedoch, wie Frauen Männer zur Verantwortung drängen können. Dies belastet Frauen zusätzlich, da sie nicht nur das Kind betreuen, sondern auch den Mann zur Erfüllung seiner Pflichten anhalten müssen. Väter können Erziehung ebenso gut lernen. Sie müssen Zeit mit ihren Kindern verbringen, um deren Denken und Verhalten zu verstehen. 

Termin-Tipp: Susanne Mierau liest am Mittwoch, 9. April, in Würzburg aus ihrem Buch "Frei und unverbogen". Veranstaltungsort ist das Generationen-Zentrum Matthias Ehrenfried, Bahnhofstraße 4-6, Beginn ist um 17.30 Uhr. Kosten: 11 Euro. Anmeldung unter  info@generationen-zentrum.com.

 
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  • André Fella
    Also grundsätzlich teile ich ja viele der Ansichten. Aber oft bieten sie keine Lösungen und zerschellen an der Realität. Das haben wir gelernt. Und gerade dann lassen einen die modernen Ratgeber im Regen stehen, weil alle voraussetzen dass Verständnis und erklären stets wirkt.

    Beispiel: "Dem Kind jetzt einfach das Essen wegzunehmen, ist nicht sinnvoll. ... Besser ist es, Vorbild zu sein und immer wieder Besteck anzubieten ..." Sicher. Was aber, wenn es einfach Spaß macht nur zu matschen und nicht zu essen? Erklären und erklären, oder doch Teller weg?

    Oder: Kind reißt anderem Kind ständig Sachen aus der Hand, trotz erklären. Für das andere Kind ist das schlimm und es muss aufhören, sofort. Ohne Strafe wird es nicht gehen.

    Oder: Kind rennt auf die Straße. Erklären und erklären oder doch besser an die Hand nehmen?

    Leider wird diese Realität heute ausgeblendet und nur die Geschichte von der Harmonie verkauft. Das erfüllt nicht die Bedürfnisse junger Eltern.
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  • Stefan Krug
    mit dem Wissen von heute
    würde ich keine Kinder mehr
    in "diese" Welt setzen...
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  • Hans-Martin Hoffmann
    Weiß nicht recht

    irgendwie scheint es bei Kindern und Jugendlichen immer weniger anzukommen, dass auch ihre Mitmenschen ein Anrecht auf Gewaltfreiheit haben (s. https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2024/Polizeiliche_Kriminalstatistik_2024/Polizeiliche_Kriminalstatistik_2024_node.html).

    Sind "wir" wirklich nicht nett genug zu unseren Kindern, oder sind die am Ende zu dem Schluss gekommen, mit Gewalt erreicht man mehr, wenn die anderen sich nicht wehren, sondern nur bei Mami und Papi petzen gehen? So wie Putin mit der Ukraine und Europa bei den USA, die sich da aber nicht (mehr) einmischen wollen?

    Und wo hört Gewaltfreiheit in der Erziehung auf? Beim Zwangs-Zimmer-Aufräumen? Beim Handy-Entzug? Beim Hausarrest? Oder-oder-oder?

    Fragen über Fragen...
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  • Martin Deeg
    Quelle, Gewalt vor allem durch Stiefeltern:

    „Kindesmisshandlung ist ein allgegenwärtiges globales Problem. Schätzungen zufolge werden Millionen von Kindern zu Hause, in der Schule oder in der Gemeinschaft misshandelt. Untersuchungen deuten darauf hin, dass Kinder, die in Stieffamilien leben, besonders gewaltgefährdet sind, da der Aufbau starker emotionaler Bindungen zu nicht biologischen Familienmitgliedern eine Herausforderung darstellt.“…

    https://www.humanium.org/de/das-thema-der-gewalt-gegen-kinder-durch-ihre-stiefeltern-in-angriff-nehmen/
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  • Martin Deeg
    Keine seriöse Quelle.
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  • Paula Werthmann
    ist ja alles gut und schön... ABER... wie soll das alles denn in unserer Zeit möglich sein, wenn beide Elternteile, Vater UND Mutter arbeiten müssen, um das Geld für die Familie zu verdienen?? Da bleibt wenig Raum, um "nett zu den Kindern" zu sein. Und wie können Eltern ihre Kinder wahrnehmen, wenn sie müde und gestresst von der Arbeit kommen und eigentlich ihre Ruhe haben möchten? Es ist ein großes Problem, Job und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen.
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  • Martin Deeg
    Bitte führen Sie eine Quelle für Ihre Aussage, dass Trennungen, Ausgrenzung und Bindungsverluste meistens von der Mutter ausgehen, an.
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  • Martin Deeg
    ...."Gewalt verursacht nicht nur unmittelbares Leid, sondern hat auch langfristige negative Auswirkungen auf das Kind."....

    Das ist richtig. Und all das, was meine Generation als Kind an dumpfer Gewalt, gerade in sog. konservativen und "christlichen" Kreisen erleiden musste, wurde nie aufgearbeitet geschweige denn hatte es für die Täterinnen und Täter irgendwelche Konsequenzen.

    Was allerdings komplett ausgeblendet wird: es sind oftmals nicht die leiblichen und ihre Kinder vorbehaltlos liebenden und durch Trennung "entsorgten" Väter sondern die diese - nach dem Willen der Mutter - "ersetzenden" Stiefväter, die durch Härte, kindeswohlverletzende "Erziehung" und auch Gewalt gegen Kinder auffallen, die ja nicht "ihre" sind sondern letztlich die unvermeidbare Zugabe zur Partnerin, die es eben nur mit Kind gibt...

    Das ist statistisch belegt, Gewalt durch Stiefeltern ist ein ernstes Problem (ganz abgesehen davon, dass Pädokriminelle sich gerne Alleinerziehende mit kleinen Kindern suchen).
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  • Martin Dobat
    "Seien Sie einfach nett zum Kind."
    Das scheint mir ein wenig zu "billig - einfach"!
    Das Wort liebevolle Konsequenz vermisse ich.
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