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Würzburg
Stress in der Kita, Streit, keine Grenzen für die Kinder: Haben Eltern das Erziehen verlernt, Herr Schneller?
Alltag zwischen Beruf und Familie ist eine Herausforderung. Wie gelingt die Erziehung, wenn die Zeit mit den Kindern knapp ist? Was ein Würzburger Psychologe Eltern rät.
'Wichtig für Kinder ist immer wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern', sagt Karl Schneller,  Diplom-Psychologe und Erziehungsberater beim Sozialdienst katholischer Frauen in Würzburg.
Foto: Silvia Gralla | "Wichtig für Kinder ist immer wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern", sagt Karl Schneller, Diplom-Psychologe und Erziehungsberater beim Sozialdienst katholischer Frauen in Würzburg.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 13.12.2024 02:36 Uhr

Lieber viele Freiheiten oder strenge Regeln und Autorität - was ist besser für Kinder? Viele Eltern hinterfragen traditionelle Erziehungsmethoden und versuchen, ihre Kinder bedürfnisorientiert zu erziehen. Gleichzeitig steigt die Zahl verhaltensauffälliger Kinder in Schulen oder Kitas. Fehlt ihnen Erziehung?

Wie gelingt es, Kinder glücklich großzuziehen? Gibt es ein Richtig oder ein Falsch in der Erziehung? Welche Fehler machen Mütter und Väter leicht? Und: Welche Grenzen brauchen Kinder? Viele Fragen, die sich nicht nur Eltern stellen. Antworten darauf hat Karl Schneller, Diplom-Psychologe und Erziehungsberater beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Würzburg.

Herr Schneller, haben Eltern von heute das Erziehen verlernt?

Karl Schneller: Das sehe ich nicht so. Wenn man Erziehung kritisieren will, muss man die Gesellschaft als Ganzes betrachten. Eltern und Kinder verbringen heute weniger Zeit zu Hause als früher. Kinder besuchen Krippen, Kitas und Ganztagsschulen, weil meist beide Eltern berufstätig sind. Die Familienzeit hat sich dadurch verringert. Wir brauchen ein gutes erzieherisches Umfeld für unsere Kinder. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft hier klare Rahmenbedingungen schafft.

Was ist Erziehung überhaupt?

Schneller: Erziehung ist die Interaktion eines Erwachsenen mit einem Kind und der Welt. Eltern, Erziehungsberechtigte und pädagogische Fachkräfte führen Kinder in die Welt ein, die aus Natur, Kultur und Gemeinschaft besteht. Sie vermitteln Werte, Fähigkeiten und soziale Normen. Der Jugendseelsorger Don Bosco sagte einmal, man brauche für Erziehung eine Wiese, eine Trommel und einen Koch. Übersetzt bedeutet das: Zeit in der Natur, einen gemeinsamen Takt und eine gute, auch emotionale Versorgung. Da ist viel Wahres dran.

Wie sieht eine gute Erziehung aus?

Schneller: Erwachsene sollten auf jeden Fall Freude daran haben, ein Kind zu erziehen. Erziehung heißt zu entscheiden, wohin ich das Kind lenken möchte und wo es selbst seine Erfahrungen machen soll. Dabei sollten Eltern idealerweise auf ihre Kinder eingehen, ihnen zuhören und ihre Bedürfnisse und Interessen ernst nehmen. Wichtig für Kinder ist immer wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern.

Was bedeutet ungeteilte Aufmerksamkeit?

Schneller: Ungeteilte Aufmerksamkeit heißt, dass Eltern sich ganz auf ihr Kind konzentrieren, ohne Ablenkungen wie das Handy. Das geht nicht den ganzen Tag, aber stillt eine Mutter und tippt dabei Nachrichten oder liest ein Vater auf dem Spielplatz am Handy, fehlt diese Aufmerksamkeit. Kinder brauchen echte Zuwendung. Ein Kind will teilhaben, mitmachen und von den Eltern lernen. 

Welche Fehler können beim Erziehen passieren?

Schneller: Es ist ein Irrtum zu glauben, es gäbe keine Konflikte. Sie entstehen in jeder Beziehung: zwischen Eltern und Kind, in Partnerschaften oder unter Geschwistern. Erziehung bedeutet, den Umgang mit Problemen zu lernen. Erwachsene, die erziehen, geraten deshalb auch in Konflikte mit Kindern. Kinder müssen lernen, sich mit Eltern und Gleichaltrigen auseinanderzusetzen. Jede Interaktion mit einem Kind gehört zur Erziehung. Fehlen diese Interaktionen, ist die Erziehung mangelhaft. Schlechte Erziehung führt etwa dazu, dass jemand isoliert bleibt und wenig Interaktionen hat. Wer jeden Konflikt meidet, trägt dazu bei.

'Erziehung ist Interaktion, wie wenn man jemandem einen Ball zuspielt', sagt Karl Schneller, Diplom-Psychologe und Erziehungsberater in Würzburg.
Foto: Silvia Gralla | "Erziehung ist Interaktion, wie wenn man jemandem einen Ball zuspielt", sagt Karl Schneller, Diplom-Psychologe und Erziehungsberater in Würzburg.
Was bringen Streit und Auseinandersetzung?

Schneller: Ein Konflikt ist erstmal nichts Negatives. Reibung erzeugt auch Wärme. Mit Kindern Konflikte konstruktiv zu lösen bedeutet, wichtige soziale und emotionale Fähigkeiten zu entwickeln. Sie gewinnen so Autonomie, denken unabhängig und treffen Entscheidungen, was ihr Selbstvertrauen stärkt. Konflikte bieten ihnen die Chance, Kommunikation, Empathie und Zusammenarbeit zu üben.

"Kinder brauchen Grenzen, Erwachsene auch."
Karl Schneller, Erziehungsberater in Würzburg
Wie sinnvoll sind Strafen?

Schneller: Positive Interaktionen sollten im Alltag überwiegen. Besteht der Alltag überwiegend aus negativen Rückmeldungen und Strafen, ist das weder sinnvoll noch wirksam. Nur auf Einsicht zu setzen, funktioniert jedoch auch nicht immer, weder bei Kindern noch bei Erwachsenen. Obwohl alle verstehen, dass es Regeln für das Parken gibt, werden täglich viele Strafzettel ausgestellt. Dies geschieht sachlich, ohne den Falschparker herabzuwürdigen. Niemand ist nachtragend. Man zahlt die Strafe und die Angelegenheit ist erledigt. Strafen können Fehlverhalten stoppen, aber nicht mehr. Respektvollen Umgang, das Eingestehen eigener Fehler und das Suchen nach gemeinsamen Lösungen und Kompromissen erreicht man nicht durch Strafen. Es lohnt sich, über den Satz nachzudenken: Was nützt die beste Erziehung, wenn die Kinder doch alles nachmachen?

Brauchen Kinder Grenzen?

Schneller: Kinder brauchen Grenzen, Erwachsene übrigens auch. Ich würde sagen, Menschen brauchen Grenzen. Eltern müssen ihre eigenen Grenzen kennen und klar kommunizieren. Kinder benötigen Freiheit, um sich zu entwickeln. Freiheit bedeutet jedoch nicht Grenzenlosigkeit. Regeln und Grenzen schützen Kinder vor Gefahren und helfen ihnen, sich in einer oft unübersichtlichen Welt zurechtzufinden.

Welchen Tipp haben Sie für Eltern?

Schneller: Unternehmen Sie etwas mit Ihrem Kind, idealerweise etwas, das auch Ihnen Freude bereitet. Beziehen Sie Ihre Kinder kindgerecht in Aktivitäten ein. Kochen Sie gemeinsam, arbeiten Sie zusammen im Garten. Es geht nicht darum, einen teuren Freizeitpark zu besuchen, sondern darum, Zeit miteinander zu verbringen, sich die Bälle zuzuspielen  – mit voller Aufmerksamkeit füreinander.

 
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  • Sten Brodkorb
    Zitat: " Eltern und Kinder verbringen heute weniger Zeit zu Hause als früher. Kinder besuchen Krippen, Kitas und Ganztagsschulen, weil meist beide Eltern berufstätig sind. Die Familienzeit hat sich dadurch verringert. " Dies würde bedeuten, dass alle Kinder in den neuen Bundesländern bzw. aus der ehem. DDR verhaltensauffällig wären. Dort waren und sind die genannte Rahmenbedingungen Standard.
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  • Lutz Saubert
    Eben, schauen Sie sich die entwurzelten Menschen und die resultierenden Wahlergebnisse an. Ich sehe da deutliche Zusammenhänge.
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  • Sten Brodkorb
    @Lutz Saubert: und wie erklären Sie dann die nahezu identischen Wahlergebnisse im westlichen Landkreis Schweinfurt?
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  • Irmgard Engert
    Welche Ergebnisse von welchen Wahlen meinen Sie da jetzt bitte konkret?
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  • Katrin Weber
    "Soziale" Medien belasten Kinder, vorallem Grundschulkinder oder Kinder in unteren Klassen von weiterführenden Schulen. Sie sehen dort - meist ungefiltert - Dinge, die keiner Kinderseele gut tun (Suizide, Pornografie, Gewalt).
    Auch Mobbing findet über soziale Medien statt, meist lange im Verborgenen. Wenn es bekannt wird, ist manchmal schon sehr viel passiert, was nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
    Das wird noch viel zu wenig in den Diskussionen über Erziehung berücksichtigt. Nicht umsonst hat Australien gerade ein Gesetz verabschiedet, das Jugendlichen unter 16 Jahren den Zugang zu sozialen Medien verbietet.
    Vielleicht ein guter Ansatz auch für uns? Darüber nachdenken könnte man.
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  • Martin Deeg
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