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Ochsenfurt
Vom Paradebeispiel zum Sorgenkind: Kaum ehrenamtliche Unterstützung für Geflüchtete in Ochsenfurt
Bis vor wenigen Jahren gab es in Ochsenfurt einen großen Helferkreis für Geflüchtete. Heute sind nur noch wenige Ehrenamtliche übrig. Was dahinter steckt.
Dreimal die Woche kommt Barbara Clobes in die Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende in Ochsenfurt. Dann unterstützt sie Abdullahi Saki und zwei weitere Kinder bei den Hausaufgaben.
Foto: Thomas Obermeier | Dreimal die Woche kommt Barbara Clobes in die Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende in Ochsenfurt. Dann unterstützt sie Abdullahi Saki und zwei weitere Kinder bei den Hausaufgaben.
Anna-Lena Behnke
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:10 Uhr

Stimmengewirr und Alltagsgeräusche dringen im Erdgeschoss der Ochsenfurter Gemeinschaftsunterkunft dumpf aus den angrenzenden Räumen auf den Gang. Hinter der Tür mit der Nummer vier hingegen herrscht Stille. Dort sitzen Barbara Clobes und Abdullahi Saki konzentriert über Hefte, Bücher und Arbeitsblätter gebeugt an einem Tisch. "Hier stimmt etwas nicht", sagt Clobes und deutet auf ein Aufgabenblatt.

Die pensionierte Lehrerin hilft dem Fünftklässler, der mit seiner Familie vor sechs Jahren aus Somalia nach Deutschland gekommen ist, bei den Hausaufgaben. Dreimal die Woche kommt sie dafür in die Unterkunft für Asylsuchende. Heute ist Mathe an der Reihe. Nicht unbedingt sein Lieblingsfach, gibt Abdullahi zu, der die Mittelschule Ochsenfurt besucht. Allerdings stehe diese Woche ein Test an. Deshalb muss Subtrahieren heute sein.

Barbara Clobes engagiert sich seit über zehn Jahren für Geflüchtete

Dass sich die beiden zu den Schulaufgaben treffen, ist nichts Neues. Clobes unterstützt Abdullahi und seine Familie bereits seit vier Jahren. An den Wänden des schlicht möblierten Raums finden sich gemalte Bilder und Basteleien des Jungen aus sämtlichen Jahrgangsstufen. "Sein Vater ist sehr engagiert. Er hat mich damals angerufen und nach Hilfe für ihn gefragt", sagt die Tückelhäuserin. Eine Lehrerin von Abdullahi habe den Kontakt vermittelt. Clobes war damals schon jahrelang ehrenamtlich aktiv, hat Geflüchtete bei Behördengängen unterstützt, bei der Suche nach Wohnungen geholfen und Frauen zur Geburt ihrer Kinder ins Krankenhaus begleitet. Seit 2012 sei sie quasi durchgängig Ansprechperson für Geflüchtete gewesen, sagt sie.

In Tückelhausen war sie damit nicht allein. Jahrelang habe sich – genau wie in Ochsenfurt – ein Kreis von Freiwilligen ehrenamtlich um die Integration geflüchteter Menschen gekümmert. Heute ist Clobes eine der wenigen Engagierten, die noch übrig geblieben sind.

Trotz großen Bedarfs kaum Ehrenamtliche in Ochsenfurt aktiv

"In Ochsenfurt ist es ganz schwierig", sagt Yvonne Bolinski-Pfeiffer, Ehrenamtskoordinatorin des Landkreises Würzburg mit dem Schwerpunkt Integration. Ihr gehe es darum, als Ansprechpartnerin für Ehrenamtliche in diesem Bereich verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen und diesen zur Seite zu stehen. Derzeit ist sie nach eigenen Angaben – über alle Kommunen hinweg –, in Kontakt mit 118 Freiwilligen. "Wobei das meist nur die Ansprechpartner und Koordinatoren der jeweiligen Initiativen oder Helferkreise sind", so Bolinski-Pfeiffer. Sie rechne damit, dass auf jede dieser engagierten Personen im Schnitt fünf weitere Ehrenamtliche vor Ort kämen. Doch gerade in Ochsenfurt sehe es hier mau aus.

In Ochsenfurt leben derzeit 335 Geflüchtete. Ein Teil davon ist in der Gemeinschaftsunterkunft in der Tückelhäuser Straße untergebracht.
Foto: Gerhard Meißner (Archivfoto) | In Ochsenfurt leben derzeit 335 Geflüchtete. Ein Teil davon ist in der Gemeinschaftsunterkunft in der Tückelhäuser Straße untergebracht.

Dabei ist die Kommune im Landkreis Würzburg diejenige, die zuletzt die meisten Geflüchteten aufgenommen hat. Nach Zahlen des Landratsamts sind derzeit 335 Menschen in Ochsenfurt untergebracht. Der Bedarf wäre also durchaus da.

Helferkreis hat sich vor einigen Jahren aufgelöst

Landrat Thomas Eberth spricht von "Ermüdungserscheinungen". Denn tatsächlich galt Ochsenfurt noch vor wenigen Jahren als eine Art Paradebeispiel in Sachen Geflüchtetenhilfe. Anfang 2015 hatte sich dort ein Helferkreis gegründet, der zeitweise mehr als 100 Mitglieder umfasste und als äußert aktiv galt. "Das war enorm, was dort geleistet wurde", sagt Eberth.

Von einer Kleiderkammer bis hin zum Integrationscafé "Café International" organisierte die Gruppe eine Vielzahl von Unterstützungsangeboten. Doch warum gibt es diesen Helferkreis heute nicht mehr? "Es gab nicht mehr so den Bedarf", begründet Josef Grieb dessen Ende vor einigen Jahren. Grieb war jahrelang Integrationsbeauftragter in Ochsenfurt und einer der führenden Köpfe des Helferkreises. Er führe das nachgelassene Engagement in erster Linie darauf zurück, dass viele Geflüchtete mit der Zeit immer weniger auf Hilfe angewiesen waren, sagt er. "Der Helferkreis ist immer kleiner geworden. Aber auch die Arbeit wurde weniger."

Integrationslotsin will mehr Menschen für ehrenamtliche Hilfe gewinnen

Das ist spätestens seit Beginn des Ukraine-Kriegs nicht mehr der Fall. "Ich könnte hier noch fünf weitere Kinder bei den Hausaufgaben betreuen", sagt Barbara Clobes. Allerdings übersteige das ihre Kapazitäten. Denn neben der Hausaufgabenbetreuung habe sie auch ein offenes Ohr für die Probleme und Anliegen der übrigen Familienmitglieder. Außerdem unterstütze sie zusätzlich auch zwei iranische Mädchen, die mittlerweile den M-Zweig der Mittelschule besuchen und auf dem Weg zur Mittleren Reife sind.

"Wir haben so viel zu tun", bestätigt Rainer Jäckel. Man müsste deutlich mehr Menschen an Ehrenamtliche vermitteln, so die Einschätzung des Flüchtlings- und Integrationsberaters der Caritas im südlichen Landkreis Würzburg. Dieses Ziel verfolgt auch Integrationslotsin Yvonne Bolinski-Pfeiffer. Künftig soll es eine Strategie geben, um im Raum Ochsenfurt mehr Menschen, die sich engagieren wollen, zu erreichen und bei ihrem ehrenamtlichen Einsatz zu unterstützen.

"Abdullahi ist für mich wie ein vierter Enkel."
Barbara Clobes, Ehrenamtliche in der Geflüchtetenhilfe

"Für mich ist das sehr bereichernd, ich mache das gerne", sagt Barbara Clobes. Zu vielen Familien, die mittlerweile weggezogen sind, habe sie bis heute Kontakt. Und sie freue sich, wenn sie erfahre, dass ein Traum eines ehemaligen Schützlings – sei es der Busführerschein oder das Abitur –, in Erfüllung gegangen ist.

Ähnliches berichtet Friederike Ludwig. Sie greift seit einiger Zeit einer zehnköpfigen afghanischen Familie unter die Arme. "Ich habe Freude daran, zu sehen, wie die Kinder lernen", sagt sie. Ähnlich wie Clobes setzt sie sich für die Bildung der Kinder ein – übt mit ihnen Deutsch oder hilft bei der Suche nach einem Praktikumsplatz. Doch das ist nicht das einzige. "Der größte Brocken war die Wohnungssuche", berichtet Ludwig. Nur durch Zufall habe sie vergangenes Jahr ein geeignetes Haus in Ochsenfurt gefunden.

Frust und Schwierigkeiten gehören mit dazu

Ludwig und Clobes kennen die Schwierigkeiten des Ehrenamts. "Wer neu anfängt, ist schnell frustiert", sagt Clobes. Denn es gebe durchaus auch unschönen Momente. Das seien etwa Frust mit den Behörden, Benachteiligung der Geflüchteten auf dem Wohnungsmarkt oder zwischenmenschliche Konflikten. Es sei mehrmals vorgekommen, dass Geflüchtete einfach verschwunden seien, ohne sich zu verabschieden, berichtet sie. "Das ist dann natürlich nicht so schön." 

'Für mich ist das sehr bereichernd', sagt Barbara Clobes über ihr Ehrenamt. Neben der Hausaufgabenhilfe hat sie auch bei anderen Anliegen und Schwierigkeiten ein offenes Ohr für Geflüchtete.
Foto: Thomas Obermeier | "Für mich ist das sehr bereichernd", sagt Barbara Clobes über ihr Ehrenamt. Neben der Hausaufgabenhilfe hat sie auch bei anderen Anliegen und Schwierigkeiten ein offenes Ohr für Geflüchtete.

Von Anlaufstellen wie der Ehrenamtskoordination des Landratsamts hätten sie nichts gewusst, sagen Ludwig und Clobes. Darin, dass eine solche Anlaufstelle wichtig sei, sind sie sich einig. "Viele wissen nicht, wohin sie sich wenden können, wenn sie helfen wollen", meint Clobes. Dabei sei der Kontakt zwischen Einheimischen und Neuankömmlingen wichtig, findet sie. "Das muss nicht immer ganz viel Unterstützung sein. Schon allein miteinander zu sprechen und Interesse zu zeigen, hilft."

Mit Familie Saki hat Barabara Clobes mittlerweile ein freundschaftliches, wenn nicht familiäres Verhältnis, aufgebaut. "Abdullahi ist für mich wie ein vierter Enkel", sagt sie und lächelt, während sie ihm den Radiergummi zuschiebt. Nach den Mathe-Aufgaben ist noch Englisch an der Reihe. Dann geht es für Clobes nach Hause. Doch eines ist sicher, sagt sie: Solange ihre Hilfe gebraucht werde, komme sie wieder.

 
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