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Reichenberg
Unwetter: Wie sich Reichenberg gegen die Fluten wappnen will
Zum Schutz vor künftigen Überschwemmungen machen Reichenberg und Würzburg gemeinsame Sache. Warum interkommunale Zusammenarbeit beim Hochwasserschutz so wichtig ist.
Am Bahndamm zwischen dem Ortskern und dem Sichelsgrund zeigt Reichenbergs Bürgermeister Stefan Hemmerich (rechts) dem Würzburger Klimabürgermeister Martin Heilig, wie hoch das Wasser nach dem Starkregen in der vergangenen Woche durch den Tunnel geschossen ist. 
Foto: Gerhard Meißner | Am Bahndamm zwischen dem Ortskern und dem Sichelsgrund zeigt Reichenbergs Bürgermeister Stefan Hemmerich (rechts) dem Würzburger Klimabürgermeister Martin Heilig, wie hoch das Wasser nach dem Starkregen in der ...
Gerhard Meißner
 |  aktualisiert: 08.02.2024 21:31 Uhr

Es sieht wieder sauber und gepflegt aus in der Reichenberger Ortsmitte, beinahe so, als sei nichts geschehen. Anwohner, Feuerwehr und Bauhof haben ganze Arbeit geleistet. Doch der Schein trügt. Zweimal innerhalb weniger Tage wurde die Gemeinde von einer Sturzflut heimgesucht. Vor einer Woche erst stand die Ortsmitte knapp einen halben Meter unter Wasser und Schlamm. Keller und Wohnungen wurden überflutet, über zehn Autos beschädigt. Die Flut zerstörte Straßen, spülte Kanaldeckel hoch und hob nahe dem Sportplatz sogar einen Kanalschacht an. Nach ersten groben Erhebung übersteigt der Schaden die Millionengrenze, sagt Bürgermeister Stefan Hemmerich.

Beim ersten Mal lag die Gewitterzelle über dem Guttenberger Forst. Beim zweiten Mal entlud sich der Starkregen über dem Sichelsgrund, einer flachen Senke, die sich südwestlich der Gemeinde bis fast nach Kleinrinderfeld hinzieht. Über 40 Liter Regen pro Quadratmeter seien dort innerhalb kurzer Zeit niedergegangen und haben sich in der Talmulde zu einer gewaltigen Flutwelle vereinigt, so Hemmerich.

Im Dorf kenne man das Überschwemmungsrisiko, sagt der Bürgermeister. Feuerwehr und Anwohner seien bereits durch die Unwetterwarnung alarmiert gewesen. Aber gerade, als der Regen nachließ und man schon an Entwarnung glaubte, habe sich die Flut aus dem Sichelsgrund über der Ort ergossen. "Das Wasser kam innerhalb einer Minute angerauscht, die Leute konnten sich nicht mehr darauf vorbereiten", erinnert sich Hemmerich.

Flutwelle riss sogar Baumstämme mit

Das Bächlein, das normalerweise kaum tief genug ist, um sich die Füße zu waschen, trat binnen Minuten über die Ufer. Im Tunnel unter der Bahnlinie, die den Sichelsgrund vom Dorf trennt, stand der reißende Strom einen Meter hoch und führte nicht nur Schlamm von den Äckern, sondern Gras, Geäst und sogar ganze Holzstämme mit sich.

Am Reichenberger Sportplatz wurde durch die Wassermassen ein Kanalschacht nach oben gedrückt und hat die Straße zerstört.
Foto: Gerhard Meißner | Am Reichenberger Sportplatz wurde durch die Wassermassen ein Kanalschacht nach oben gedrückt und hat die Straße zerstört.

Die Überschwemmungen kamen auch deshalb zur Unzeit, weil man in Reichenberg gemeinsam mit der Stadt Würzburg längst an Schutzkonzepten arbeitet. Die Gespräche dazu laufen seit vergangenem Jahr, sagt Würzburgs Klimabürgermeister Martin Heilig. Im Reichenberger Gemeinderat und im Würzburger Stadtrat wurde im Frühjahr beschlossen, gemeinsam ein umfassendes Hochwasserschutz- und Regenrückhaltkonzept zu erarbeiten.

Die Schicksalsgemeinschaft beider Kommunen ergibt sich aus Reichenbergs Topografie. Aus allen fünf Ortsteile des Marktes und aus dem Guttenberger Wald fließen die Bäche gen Norden und vereinigen sich südlich von Heidingsfeld  zum Heigelsbach. Um den Stadtteil vor künftigen Überflutungen zu schützen, muss das Niederschlagswasser möglichst dort gebremst werden, wo es niedergeht. "Hochwasserschutz für Heidingsfeld setzt ein großes Konzept voraus, das das gesamte Ausmaß umfasst", sagt Martin Heilig.

Unwetter: Wie sich Reichenberg gegen die Fluten wappnen will

Dieses Ausmaß ist tatsächlich gewaltig. 55 Quadratkilometer umfasst das Einzugsgebiet, das im Rahmen des Hochwasserschutzkonzepts untersucht werden soll, sagt Moritz Reininger von der Stabsstelle Gewässerentwicklung, die Bürgermeister Martin Heilig eigens in seinem Umwelt- und Klimareferat eingerichtet hat. Ein Fachbüro soll demnächst damit beauftragt werden, für diesen Bereich geeignete Schutzmaßnahmen zu entwickeln.

"Als Reichenberger sind wir zwar Hochwasser gewöhnt, aber sie kommen immer öfter und immer heftiger."
Stefan Hemmerich, Bürgermeister in Reichenberg

Ein wichtiger Ansatz seien Ausdehnungs- und Retentionsflächen, die Niederschläge bereits in der Fläche zurückhalten und verhindern, dass sie sich zu einer Flutwelle vereinigen, so Reininger. Ein weiterer Schwerpunkt sind technische Maßnahmen, etwa in Form von Schutzwänden. Ein dritter Aspekt des Konzepts betrifft die Eigenvorsorge der von Hochwasser Gefährdeten. "Hier können kleine Maßnahmen oft schon viel bewirken, um Schäden zu verhindern", sagt Reininger. Etwa vorbereitete Sperrwände, die sich bei einer drohenden Überflutung schnell an den Haustüren und Hoftoren installieren lassen.

Paradebeispiel für interkommunale Zusammenarbeit

Bürgermeister Stefan Hemmerich ist froh, bei der Umsetzung eines solchen Konzepts einen großen Partner wie die Stadt Würzburg an der Seite zu haben. "Für eine Gemeinde mit 4000 Einwohnern stellt sich die Frage, wie weit solche Maßnahmen wirtschaftlich zu stemmen sind", sagt er. Und auch Martin Heilig schätzt die Partnerschaft mit der Gemeinde. "Das ist ein Paradebeispiel für interkommunale Zusammenarbeit", sagt er. Die Kosten für das geplante Hochwasserschutz- und Rückhaltekonzept werden auf rund 100 000 Euro beziffert. 75 Prozent davon übernimmt der Freistaat als Zuschuss, vom verbleibenden Eigenanteil will die Stadt Würzburg 64 Prozent übernehmen.

Niedergedrücktes Gras zeugt noch von dem Hochwasser der vergangenen Woche. Normalerweise  führt der Bach im Sichelsgrund im Sommer kaum genügend Wasser, um sich die Füße darin zu waschen.
Foto: Gerhard Meißner | Niedergedrücktes Gras zeugt noch von dem Hochwasser der vergangenen Woche. Normalerweise  führt der Bach im Sichelsgrund im Sommer kaum genügend Wasser, um sich die Füße darin zu waschen.

Schwieriger und ungleich kostspieliger wird sein, die vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen. Schwieriger auch deshalb, weil vermutlich private Flächen benötigt werden, die bisher landwirtschaftlich genutzt werden. Aufschluss erhofft sich Bürgermeister Hemmerich auch über mögliche Schwachstellen in der Ortsentwässerung. Zwar sei vor zwei Jahrzehnten bereits ein großes Regenüberlaufbauwerk ins Kanalnetz eingebaut worden, das zumindest bei kleineren Unwettern eine Überlastung der Kanalisation verhindere. Aber möglicherweise könnte das System noch verbessert werden.

Schwachstellen im Kanalsystem aufdecken

Nach dem letzten Unwetter etwa zeigten sich Anwohner gegenüber der Redaktion überrascht darüber, dass Regenrückhaltebecken in den Siedlungsgebieten kaum mit Wasser gefüllt waren. Hemmerich erklärt dies damit, dass die Becken nur dazu konzipiert sind, die Niederschläge aus den angrenzenden Siedlungen zu puffern. Die Schwerpunkte der Niederschläge aber lagen im Guttenberger Forst und im Sichelsgrund, wo es solche Rückhaltungen bislang nicht gibt.

Ein Jahr, schätzt Moritz Reininger, wird die Erstellung des Schutzkonzepts in Anspruch nehmen. Danach wird es um die Frage gehen, welche der vorgeschlagenen Maßnahmen sich am schnellsten umsetzen lassen. Dass die Zeit drängt, daran hat Reichenbergs Bürgermeister Hemmerich keinen Zweifel. "Als Reichenberger sind wir zwar Hochwasser gewöhnt, aber sie kommen immer öfter und immer heftiger."

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version war fälschlicherweise zu lesen, dass der Sichelsgrund östlich der Gemeinde Reichenberg liegt. Das ist falsch, wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

 
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  • HKAG
    Liebe Redaktion, der Sichelsgrund befindet sich westlich & südlich von Reichenberg, aber bestimmt nicht östlich
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  • gmeissner
    @HKAG: Natürlich, danke für den Hinweis, wird sofort korrigiert.
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