Die Corona-Pandemie hat Deutschland seit genau einem Jahr fest im Griff, als sich Thorsten Drechsler am vergangenen Sonntag hinsetzt und einen offenen Brief schreibt. Der Adressat: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Es ist kein Brandbrief, keine Wutrede. Drechsler schreibt nachdenkliche Sätze: "Ich möchte gerne meinen Teil dazu beitragen, wieder in einer genesenen Gesellschaft zu leben. Das schaffe ich aber nur, wenn ich die Ideen, die Konsequenzen, die Visionen mit aller Tragweite nachvollziehen kann. Zurzeit empfinde ich aber eher Chaos bei den Verantwortlichen in Berlin."
Der 55-Jährige betreibt zwei Geschäfte in der Würzburger Innenstadt, den Spielwarenladen "Die Murmel" und den Geschenkeladen "Eton Place". Seinen ersten Laden hat er vor 30 Jahren aufgemacht, als Selbstständiger kennt er die Unwägbarkeiten des Geschäftslebens.
Er ist kein Jammerer, auch wenn es ihm ans Gemüt geht, seit einem Jahr seinen Beruf kaum noch ausüben zu können. Die Corona-Maßnahmen hat er immer unterstützt. Und doch hat sich irgendwann so ein Gefühl breit gemacht, ein Unbehagen. Drechsler spricht von einem "schleichenden Prozess". Und dabei geht es gar nicht mal um einzelne Maßnahmen, es geht vor allem ums Wie. "Ich fühle mich von manchen Politiker/innen wie ein Kind behandelt, aber nicht mehr wie ein mündiger Bürger", schreibt Drechsler an Steinmeier.
Am Telefon sagt er, was ihn umtreibt. "Man kriegt immer nur Anweisungen, Verbote, Regelungen, Appelle. Man kriegt nicht gesagt, wohin es gehen soll." Die Politik begründe zu wenig, immer öfter seien Entscheidungen nicht mehr nachvollziehbar.
Mehrheit der Deutschen aktuell unzufrieden mit Corona-Politik
So wie Drechsler geht es aktuell offenbar vielen Menschen im Land. Fast zwei Drittel der Deutschen sind laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur (dpa) unzufrieden mit dem Krisenmanagement der Regierung. Demnach sind 34 Prozent der Befragten "sehr unzufrieden" und weitere 31 Prozent "eher unzufrieden". Dagegen sind nur vier Prozent "sehr zufrieden" und 26 Prozent "eher zufrieden".
In einer vergleichbaren Umfrage aus April 2020 zeigten sich noch 67 Prozent eher oder sehr zufrieden. Zu Beginn der zweiten Welle im Oktober waren es 57 Prozent, Anfang Februar nur noch 50 und Ende Februar nur noch 48 Prozent, so die dpa.
Ein ähnliches Bild zeichnet eine nicht repräsentative Umfrage auf der Website der Main-Post (Stand Donnerstagmittag): 50 Prozent empfinden die Maßnahmen als unzureichend, 33 Prozent gehen die Auflagen zu weit. Nur 17 Prozent sind mit dem aktuellen Kurs zufrieden. Großen Unmut hatten die Oster-Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz am Montag bei den Leserinnen und Lesern der Main-Post hervorgerufen: "Diese Maßnahmen sind unlogisch und absolut nicht mehr nachvollziehbar", kommentiert etwa ein Nutzer.
Würzburger Schriftstellerin und Mutter: Es wird nicht gesehen, was wir leisten
"Was aber tun wir, wenn wir keine Kraft mehr haben?" Auch Eva-Maria Bast hat auf Facebook ihren Gedanken freien Lauf gelassen, dazu hat sie das Emoji "verzweifelt" gestellt. Die 42-Jährige, die in Überlingen und Würzburg lebt, ist Autorin und Verlegerin ("Würzburger Geheimnisse") – und Mutter von fünf Kindern, das jüngste ist ein Jahr alt. Nach einem Jahr Corona merkt sie immer mehr, dass die Zuversicht schwindet und sich stattdessen eine schier unendliche Erschöpfung breit macht.
"Wir sahen die Notwendigkeit, wir waren willig, unseren Teil zur Bewältigung der Krise beizutragen. Wir betreuten tagsüber unsere Kinder, waren Erzieher, Pädagogen, Grundschullehrer, Gymnasiallehrer, bemühten uns ständig um gute Laune, die Kinder sollten ja nicht leiden. Unsere Jobs erledigten wir nachts", schreibt sie in ihrem Beitrag und setzt mehrere Hashtags darunter. Einer heißt #elterninderkrise. "Ich habe das immer als Aufgabe gesehen", sagt Eva-Maria Bast am Telefon, "aber es dauert inzwischen einfach zu lange. Als Mutter habe ich das Gefühl, dass nicht gesehen wird, was wir leisten."
Auch ihr fehlt zunehmend das Verständnis für das ständige Hin und Her, für fehlende Logik bei den Entscheidungen der Politik. Ja, sie ärgert sich auch. Zum Beispiel über die vollen Flieger nach Mallorca und die leeren Hotels in Deutschland. Und ja, sie hat geweint, schreibt sie auf Facebook, weil ihr kleiner Sohn wegen einer Quarantäne in seiner Klasse seine Schulfreunde nicht sehen darf.
Es ist schon das vierte Mal, dass sie eines ihrer Kinder zu Hause betreuen und alle Planungen über den Haufen werfen muss. Einmal mehr bleibt ihr für die Arbeit nur die Nacht. "Ich halte mich für extrem belastbar, aber jetzt bin auch ich an einem Punkt, wo ich merke: Ich kann nicht mehr", sagt sie im Gespräch. "Aber was ist, wenn wir nicht mehr können und dennoch müssen?"
Steuerberater: Novemberhilfen haben Vertrauen zerstört
"Man versteht es einfach nicht mehr", sagt Manuel Beck, Steuerberater und Vater von drei Kindern aus Estenfeld. Lange Zeit, so Beck, habe er die Corona-Maßnahmen mitgetragen. Geändert habe sich das mit dem Lockdown light im November: "Man hat gemerkt, das bringt nichts."
Genau das sei für ihn das Problem: Mit nutzlosen Maßnahmen würden von der Politik Versprechungen gemacht, die am Ende nicht eingehalten würden. Bleiben würde die Verunsicherung. Diese Erfahrung mache er auch im Umgang mit seinen Kunden: "Die Leute wollen sich an die Maßnahmen halten, aber haben Angst vor der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit." Viel Vertrauen, so Beck, sei etwa kaputtgegangen, als die versprochenen finanziellen Hilfen im November nicht oder nur mit immenser Verspätung ausgezahlt wurden.
Polizei mahnt, Opposition fordert klaren Strategiewechsel
Das wachsende Unverständnis der Menschen spiegelt sich auch im Verhalten auf der Straße: "Im Laufe der vergangenen beiden Wochen hatte die unterfränkische Polizei eine Vielzahl von Einsätzen aufgrund von Verstößen gegen die geltenden Kontaktbeschränkungen zu bewältigen. Hierbei konnten wir unterfrankenweit auch eine steigende Tendenz feststellen", schreibt ein Sprecher des Polizeipräsidium auf Anfrage. Weil die Einhaltung der Corona-Maßnahmen jedoch "absolut notwendig" zur Eindämmung des Virus seien, hoffe das Präsidium auch weiterhin auf Verständnis und Mithilfe der Bevölkerung.
Einer der seit Monaten eine andere Strategie fordert, ist Andrew Ullmann, Würzburger Abgeordneter der FDP im Bundestag. Im Gespräch mit der Redaktion stellt er jedoch einen anderen Aspekt in den Vordergrund: "Die Regierung macht immer wieder Versprechungen, die nicht eingehalten werden. Dadurch entsteht Politikverdrossenheit, das bereitet mir Sorge." Ein erster Schritt aus der Misere, so Ullmann, sei ein Eingeständnis der Regierung, dass es so wie bisher nicht weitergehen könne.
In einem nächsten Schritt müssten die Parlamente wieder stärker eingebunden werden: "Neue Maßnahmen müssen in den Parlamenten diskutiert werden, bevor sie beschlossen werden." Zudem müsse verhindert werden, dass die Menschen sich im privaten Umfeld anstecken. "Der Lockdown führt dazu, dass Ansteckungen im privaten Umfeld zunehmen. Deshalb brauchen wir keinen radikalen Lockdown sondern kluge und durchführbare Maßnahmen, die das Risiko einer Infektionsübertragung gerade in der Öffentlichkeit minimieren."
Barrientos: Arme Menschen werden bei Maßnahmen vernachlässigt
Auch Simone Barrientos, Linken-Abgeordnete aus Ochsenfurt im Bundestag, kritisiert seit Monaten die Corona-Politik der Regierung – wenn auch mit völlig anderer Stoßrichtung als FDP-Mann Ullmann. Barrientos war Erstunterzeichnerin der Initiative "Zero Covid", die einen europaweiten "solidarischen Shutdown" fordert. Der Redaktion sagt sie jetzt: "Die aktuellen Beschlüsse sind nicht nachvollziehbar und lassen wieder die armen Menschen außer Acht." Ein großes Problem der Regierungspolitik sei zudem die ständige Intransparenz.
"Unmenschliche Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen interessieren die Regierung trotz Infektionsgefahr heute nicht mehr, aber mit Abstand im Theater sitzen darf man nicht", so Barrientos. Gleichzeitig dürften Urlauber nach Mallorca fliegen, aber Erholung in der eigenen Region sei nicht möglich.
Lockerungen seien jedoch der falsche Weg: "Wir brauchen sofort eine bessere Grundsicherung, fiktive Unternehmerlöhne sowie Hilfsmaßnahmen für alle, die auf der Strecke bleiben". Nur so fühlten sich die Menschen bei den notwendigen Beschränkungen mitgenommen.
Wir sind zu einem Volk der Nörgler und Jammerer geworden und haben
das Denken und Lenken schon lange verloren .
Das die Politiker gerade nicht unbedingt die beste Figur machen dürfte doch mittlerweile jeden klar sein , und wir sehen das uns immer mehr Kleinigkeiten
zu nerven beginnen .
Die Geschäfte ( dazu gehören auch die Gaststätten ) vernünftig öffnen , Reisen
im Inland zuzulassen ( kann man auch auf Bundesländer begrenzen ) und alle
Möglichkeiten ausschöpfen Impfstoff zu bekommen . Schulen mit Belüftungsgeräte
ausreichend versorgen , nicht nur von Digitalisierung sprechen sondern diese auch
sinnvoll umsetzen .
Damit hätten unsere gewählten Verantwortlichen , aber auch alle anderen
" schlauen Geister der Opposition " genug zu tun . Mal wieder Fakten und wenn
es nur für eine Stadt , ein Landkreis oder einen Bezirk ist .
die ratlosigkeit unserer politiker bezeichnete ja erst wieder am montag, dass rein gar nichts auf die wege gebracht wurde, nur wieder verbote, absagen. das gute diesmal dabei war, dass sich wirtschaft und kirchen dagegen gesträubt hatten, mit zu machen. wie viele geschäfte werden wohl diesen fast einjährigen, wenn man letztes frühjahr und von dez. an rechnet den bach runter gehen?
Also Los...her mit den Vorschlägen!!!
Alles nach und nach im Zeitraum eines halben Jahres öffnen. Zeitgleich impfen was geht, ohne Impfstoff zurück zu halten.
Das durch die Öffnung mehr Menschen Gesundheitlich leiden müssen sollte klar sein.
Aber das Virus wird bleiben. Und wir wissen noch nicht ob eine Impfung ausreicht oder jedes Jahr geimpft werden muss.
Irgendwann muss aufgemacht werden.
Und sterben müssen wir alle mal so schmerzlich es auch sein kann.
Es ist bedenklich wenn sogar bei "normalen", ehrenamtlich, sozial und politisch engagierten Personen das Vertrauen bröckelt.
Mir geht es ebenso und ich glaube es wird eine lange Zeit brauchen dieses Vertrauen zurückzugewinnen, ganz abgesehen von den persönlichen Sorgen und Nöte die es zu bewältigen gibt.
An diese Pandemie-Zeit werden viele ihr ganzes Leben mit sehr negativen Gedankien zurückdenken mit entsprechenden negativen Folgen! Wer sich zukünftig z.B. selbstständig machen will wird sich das vielleicht einmal mehr überlegen. Auch die Erfahrung, dass es keine Sicherheit gibt wird nachhaltig wirken.
Der schädliche Einfluss dieser Pandemie wird auch dann noch gesellschaftlich nachwirken wenn die Pandemie an sich längst verklungen ist.