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Würzburg
Andrew Ullmann (FDP) und Simone Barrientos (Die Linke) ziehen Bilanz eines turbulenten Jahres
Zwei neue Abgeordnete vertreten Würzburg seit vergangenem Jahr im Bundestag. Simone Barrientos (Linkspartei) und Andrew Ullmann (FDP) erzählen von ihrem Start in Berlin.
Ein Gespräch über Gemeinsamkeiten, die AfD und die Arbeit als Politiker: Die beiden neuen Abgeordneten Simone Barrientos (Die Linke) und Andrew Ullmann (FDP) berichten von ihrem ersten Jahr im Bundestag.
Foto: Patty Varasano | Ein Gespräch über Gemeinsamkeiten, die AfD und die Arbeit als Politiker: Die beiden neuen Abgeordneten Simone Barrientos (Die Linke) und Andrew Ullmann (FDP) berichten von ihrem ersten Jahr im Bundestag.
Wolfgang Jung
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:51 Uhr

Vor einem Jahr, am 24. Oktober 2017, konstituierte sich der 19. Bundestag. Ein Würzburger, Andrew Ullmann von der FDP, und eine Ochsenfurterin, Simone Barrientos von der Linkspartei, waren als neue Abgeordnete dabei. Die Redaktion hat mit ihnen gesprochen. Es ist die Bilanz eines turbulenten Jahres.

Frage: Sie haben Gemeinsamkeiten. Sie sind beide Jahrgang 63, kamen beide im Ausland zur Welt - Andrew Ullmann in den USA, Simone Barrientos in der DDR …

Andrew Ullmann: DDR ist Ausland? Das wurde in der Bundesrepublik aber nicht Ausland genannt.

Simone Barrientos: Im Osten aber schon!

Ullmann: Ich bin ein klassischer Wessi.

Weitere Gemeinsamkeiten: Sie sind beide nicht alteingesessen - Herr Ullmann ist seit sechs Jahren Würzburger, Frau Barrientos seit 4,5 Jahren Ochsenfurterin - und Sie sitzen beide in der Opposition. Haben Sie sonst noch Gemeinsamkeiten?

Ullmann: Wir verdrehen im Bundestag manchmal die Augen bei den gleichen Leuten.

Bei welchen Leuten?

Barrientos: Ich sitze direkt gegenüber und schaue genau auf die AfD, was wirklich erschütternd und widerlich ist, und der Andrew sitzt daneben und hat ständig dieses Gebrülle im Ohr. Ich habe gehört, manchmal versteht Ihr Euer eigens Wort nicht.

Ullmann: Das ist tatsächlich so, dass wir die Reden zum Teil im Büro noch besser verstehen, weil die Mikrofone direkt am Sprecher sind, als im Bundestag selbst. Aber was mich stört, ist diese … fehlende Intelligenz ist vielleicht zu hart ausgedrückt …, aber die fehlende Logik in vielen Redebeiträgen der AfD. Ich wünschte mir doch mehr Professionalität im Bundestag, auch von der AfD. Ich fühle mich bestärkt, auch mit einem guten Beruf in den Bundestag zu gehen, weil ich die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigen möchte, damit ich nicht von meinen Kindern und Enkelkindern hören muss: Was habt Ihr damals getan?

Barrientos: Ich war immer viel auf Demos, aber was ich in diesem Jahr auf Demos war, gegen Rechts, gegen das Polizeiaufgabengesetz und so weiter, das geht auf keine Kuhhaut.

Das ist eher keine Gemeinsamkeit, oder?

Ullmann: Demo mache ich lieber im Bundestag, und das habe ich auch gemacht.

Sie haben unangenehme Erfahrungen mit der AfD gemacht, Frau Barrientos.

Barrientos: Als ich meine erste Rede gehalten habe zum Thema "Deutsche Sprache im Grundgesetz", das war ein AfD-Antrag, bei dem völlig klar war, worauf der zielt. Die wollen Sprache nur benutzen, um völkische Reden zu halten, auszugrenzen etc. Danach rollte ein riesiger Shitstorm über mich hinweg, von Rechten, auf Facebook, ich habe den auch stehen lassen, mit Vergewaltigungsandrohungen, Body-Shaming und so weiter. Immer sexistisch und drohend.

Sie haben beide ehrbare Berufe: Internist und Universitätsprofessor der Herr Ullmann, Verlegerin und Rezitatorin die Frau Barrientos. Jetzt sind Sie Politiker, und das bedeutet ein denkbar schlechtes Image. Bekommen Sie das zu spüren? Verhalten sich die Menschen jetzt anders Ihnen gegenüber?

Barrientos: Kurz nach der Wahl sagten Leute: Oh, die Frau Abgeordnete kommt. Ich schieße da immer gleich hoch und sage: Ich bin immer noch die Simone Barrientos. Es wird Politikern immer vorgeworfen, dass sie sich verändern, dass sie abgehoben werden. Aber das ist keine Einbahnstraße. Insofern bestehe ich darauf, dass man mich genauso wahrnimmt wie vorher, sonst passiert das tatsächlich. Dann nimmt man das erst als Scherz, später denkt man, na, da haben sie ja recht - das schleicht sich so ein. Ich will das nicht. Da muss man drauf achten.

Ullmann: Da haben wir etwas Gemeinsames: Wir wollen authentisch rüberkommen für unsere Wählerinnen und Wähler. Es gab bei uns im Landesverband Überlegungen, dass die Bundestagsabgeordneten nicht im Landesvorstand sein sollen. Ich habe dann geschimpft. Ich habe gesagt, ich bin nicht gewählt worden, damit ich dann in Berlin ende und nur Politik im Bundestag mache, sondern dass ich bei den Menschen in Würzburg, in Bayern bin. Deswegen wohne ich auch nicht in Mitte, sondern im Osten, in Weißensee, komme immer wieder raus, treffe mich mit Leuten und unterhalte mich mit Leuten.

Barrientos: Meine wichtigsten Termine sind immer die an der Basis. Wichtig ist das, was von der Basis in den Bundestag bringen kann, dass man Mut macht, das ist entscheidend bei der Arbeit. (Zu Ullmann:) Da hast Du recht, dass man total an der Basis verankert bleiben muss, kommunal und in der Partei. Wenn man nur noch Bundestag macht, aber im Landesverband keine Rolle spielt, dann hat man ein Problem. Dann reißt die Verbindung.

Frau Barrientos, Sie haben in Ihrem ersten Jahr im Bundestag vier Reden gehalten, Herr Ullmann zwei. Beide haben Sie je 20 Mal im Plenum abgestimmt. Viel ist das nicht. Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?

(Lautes Lachen von beiden.)

Ullmann (ironisch): Frag ich mich auch.

Barrientos: So wenig, dass ich abends nicht mehr weiß, was ich morgens gemacht habe.

Ullmann: Ich auch.

Barrientos: Es gibt wirklich Tage, wo ich abends nicht mehr weiß, was ich morgens gemacht habe, weil ein Termin nach dem anderen ist, immer wieder ein neues Thema. Ich bekomme Infos aus meinem Büro, wo ich jetzt eigentlich hin muss, was kommt jetzt eigentlich. Ich bin Obfrau im Kulturausschuss, muss die Ausschüsse vorbereiten und so weiter, inhaltliche Vorbereitung. Meine Mitarbeiterin in Berlin schreibt nach den Sitzungswochen immer einen Bericht, und da ist ja gar nicht alles drin, und wenn ich das dann lese, denke ich, stimmt, das war ja und das und das.

Was war denn da?

Barrientos: Was weiß ich. Ein Essen mit einem lateinamerikanischen Botschafter, dann gab es eine Fraktionssitzung, die Vorbereitung des Kulturausschusses, die Sitzung der Arbeitsgruppe Kultur in der Fraktion, dann Termine außen … man kriegt es kaum zusammen.

Ullmann: Das kann ich nur bestätigen. Alles ist bei mir genau identisch, nur in einem anderen Fachbereich, dem Gesundheitswesen. Ich habe neben Sitzungen, Antragsvorbereitung etc. viele Podiumsdiskussionen in Berlin. Wenn nur zwei sind in der Woche, sind das wenig. Man muss sich fachlich vorbereiten, man kann nicht aus der Hüfte was behaupten. Die Woche ist tatsächlich so: Am Montag komme ich rein, werde geschluckt vom Bundestag und werde am Freitag wieder ausgespuckt.

Barrientos: Ja! Ja! Und dann stehst du da und fragst dich …

Ullmann: Was hast du eigentlich gemacht?

Vermissen Sie etwas?

Barrientos: Ruhe, Ausschlafen, Familie und Freunde.

Ullmann: Die Familie, und nicht nur physisch da zu sein, sondern auch wertvolle Zeit zu verbringen. Ich bin am Samstag zurückgekommen, und am Samstag konnte ich mich nur hinlegen und am Sonntag genauso. Da will ich aber noch daran arbeiten, dass das besser wird.

Jeder von Ihnen hat einen Wunsch für den anderen frei.

Barrientos: Ich wünsche Dir, dass Du es schaffst, die soziale Seite der FDP weiter nach vorne zu bringen, weil ich Dich da total glaubhaft finde.

Ullmann: Dir wünsche ich, dass Du als Person bleibst, wie Du bist, aber auch mehr Verständnis für Liberalität und Wirtschaft abbekommst.

 
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