zurück
Würzburg
Tobias Winkler: Den Würzburger Erfinder von "Liebe im Karton" lässt fremdes Leid nicht los – auch in der Ukraine
Beim Würzburger Tobias Winkler dreht sich seit acht Jahren alles um Hilfsgüter, Paletten und Transporte. Wie managt er das und was treibt ihn an?
Organisiert mit seinem Team auch Hilfslieferungen in die Ukraine: Tobias Winkler aus Würzburg.
Foto: Patty Varasano | Organisiert mit seinem Team auch Hilfslieferungen in die Ukraine: Tobias Winkler aus Würzburg.
Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:23 Uhr

Ende Februar, eine Viertelstunde Fahrt von Würzburgs ukrainischer Partnerstadt Lwiw entfernt, biegt der Kleinbus in ein Industriegebiet ein. Auf dem Hof steht Dana Klenyk, sie erwartet eine kleine Besuchergruppe um Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt, der am Tag zuvor in Lwiw die Städtepartnerschaftsurkunde unterzeichnet hat

Dana Klenyk ist von Beruf Anwältin, sie hat auch eine Firma. Doch um die kann sich die junge Frau gerade nicht kümmern. Ihr Arbeitsplatz steht hinter ihr: eine große Halle, darin ein kaum überschaubares Warenlager der "Volksselbstverteidigung der Region Lwiw". Von hier aus werden Hilfsgüter verteilt, nach Charkiw, aber auch in die Schwarzmeerregion, nach Cherson und Mykolajiw.

Klenyk, eine kleine, zierliche Frau, wirbelt durch die Gänge, zwischen Paletten mit Lebensmitteln und Baumaterialien, zwischen Möbeln und Kinderbetten und erklärt, wie ihr Team die Verteilung der Hilfsgüter organisiert: Möbel und Baumaterial gehen zum Beispiel nach Charkiw und Cherson, wo Kriegsschäden repariert werden, von den Lebensmitteln werden immer Pakete für zwei oder vier Personen gepackt: "Die reichen dann etwa für zwei Wochen", sagt Dana Klenyk und berichtet, dass nicht nur logistische Finesse gefragt ist, sondern oft auch körperlicher Einsatz: "Neulich kam eine Lieferung aus Dänemark, mit 240 Schülertischen und 480 Stühlen. Die haben wir mit unseren Händen abgeladen – zwei Helfer und ich."  

Im Verteilzentrum für Hilfsgüter nahe von Würzburgs ukrainischer Partnerstadt Lwiw: Kinderbetten.
Foto: Torsten Schleicher | Im Verteilzentrum für Hilfsgüter nahe von Würzburgs ukrainischer Partnerstadt Lwiw: Kinderbetten.

Wie man mit Paletten umgeht, wie man Portionen packt, wie man Transporte dirigiert: Zumindest einem der Besucher aus Würzburg muss Klenyk dazu nicht viel erklären. Tobias Winkler ist sozusagen ein Kollege vom Fach. 2015 hat er die Würzburger Aktion "Liebe im Karton" erfunden. Seitdem bekommen Kinder in Krisengebieten der Welt, aber auch in Deutschland bunte "Love-Boxen" mit Geschenken an Weihnachten. Bei der Weihnachtsüberraschung für Kinder in Not ist es nicht geblieben. Der 39-jährige Winkler und sein Team haben seitdem unzählige Transporte mit Hilfsgütern losgeschickt, ins griechische Flüchtlingslager Moria, nach Syrien – und seit einem Jahr in die Ukraine. 

Netzwerk Ziviler Krisenstab fand sich schon wenige Tage nach Kriegsbeginn zusammen

In der Verteilhalle kurz vor Lwiw stehen so auch Paletten mit Love-Boxen aus Würzburg. Die gibt es diesmal hier zwar nicht zu Weihnachten, aber die Kinder in den vom russischen Angriffskrieg besonders betroffenen Regionen werden sich deshalb nicht weniger freuen. "Es war noch Platz auf einem Lkw gewesen, da haben wir uns gesagt, wir packen noch ein paar Paletten mit drauf", sagt Winkler. Und ein paar Tage später würde ein Transport mit Möbeln, Toiletten und Waschbecken hier ankommen, organisiert über den  "Zivilen Krisenstab". Das Netzwerk hat der Würzburger gleich nach Beginn des Ukraine-Krieges ins Leben gerufen, ein lockerer Zusammenschluss von jetzt rund 30 Hilfsorganisationen aus ganz Deutschland.

Im Verteilzentrum für Hilfsgüter nahe von Würzburgs ukrainischer Partnerstadt Lwiw: Dana Klenyk und Artem Khmyz (Verteilzentrum Lwiw) bedanken sich bei dem Würzburger Tobias Winkler (Mitte) für die Organisation von Transporten mit Hilfsgütern in die Ukraine.
Foto: Torsten Schleicher | Im Verteilzentrum für Hilfsgüter nahe von Würzburgs ukrainischer Partnerstadt Lwiw: Dana Klenyk und Artem Khmyz (Verteilzentrum Lwiw) bedanken sich bei dem Würzburger Tobias Winkler (Mitte) für die Organisation von ...

Ob in Lwiw oder zu Hause in Würzburg: Bei Tobias Winkler dreht sich vielleicht nicht alles, aber doch beinahe alles um Transporte, Paletten, Hilfsgüter. Das Smartphone ist seine Steuerzentrale, wenn er unterwegs ist, und das ist er oft. Auch beim Gesprächstermin in der Redaktion ein paar Wochen später managt er zwischendurch noch schnell was am Telefon. Schnelligkeit ist überhaupt sein Ding: "Ich bin jemand, der erst mal mit Vorhaben vorprescht und dann schaut: Wer macht mit?", sagt er über sich selbst. Das war auch zwei oder drei Tage nach Beginn des Ukrainekrieges so, als sich nach einem Aufruf Winklers auf Facebook der "Zivile Krisenstab" zusammenfand.

Die Idee beim ersten Zoom-Call im Februar 2022: Schwarmintelligenz nutzen und Kompetenzen bündeln. Denn helfen wollen und helfen können sind zweierlei. Was neben Spenden, Sponsoren und einem Helferteam wichtig ist, sind Erfahrungen: "Es ging erst mal darum zu klären: Welche Hilfe wird überhaupt gebraucht und wo? Wir haben schon die Welle gesehen, die kommen würde. Es war klar, dass Fluchtbewegungen einsetzen würden, dass Betten, Schlafsäcke und Lebensmittel benötigt werden."

"Wenn ich zurückblicke, ist es schon Wahnsinn, was wir in dem einen Jahr geschafft haben."
Tobias Winkler, Verein Liebe im Karton

Erfahrungen braucht es auch beim Aufbau der Logistik-Ketten: "Wir haben dann vier oder fünf Verlade-Stützpunkte festgelegt, in Polen, Ungarn und Rumänien. Von dort gingen die Transporte dann weiter Richtung Ukraine. Wenn ein Grenzübergang geschlossen war, ging es über die anderen Wege trotzdem weiter."

Einen Plan B muss es immer geben

Dass nicht immer alles glattläuft, macht Winkler inzwischen nicht mehr nervös: "Du musst immer einen Plan B haben. Was ist, wenn der Lkw am vereinbarten Tag nicht kommt? Wichtig ist vor allem, den Partnern keine falschen Versprechungen zu machen." Die Nerven und vor allem den Überblick zu behalten, fällt dennoch nicht immer leicht, Hilfsgüter müssen oft blitzschnell von A nach B bewegt werden. "Wir hatten eine Verladung von 60 Betten, die ein Krankenhaus abgab. Die hatten keine Kapazität, die Betten zu lagern. Die Patienten sollten aus dem alten Bett gleich in das neue gelegt werden. Innerhalb einer Woche mussten wir einen Lkw einsetzen können, sonst wären die Betten in den Müll gewandert."

Im Verteilzentrum für Hilfsgüter nahe von Würzburgs ukrainischer Partnerstadt Lwiw: Dana Klenyk (Verteilzentrum) und Würzburgs OB Christian Schuchardt an der Karte mit den Standorten für Hilfslieferungen.
Foto: Torsten Schleicher | Im Verteilzentrum für Hilfsgüter nahe von Würzburgs ukrainischer Partnerstadt Lwiw: Dana Klenyk (Verteilzentrum) und Würzburgs OB Christian Schuchardt an der Karte mit den Standorten für Hilfslieferungen.

234 Sattelzüge mit rund 7500 Paletten hat das Netzwerk "Ziviler Krisenstab" im ersten Kriegsjahr in die Ukraine geschickt, einen Teil davon auch in das Verteilzentrum von Dana Klenyk bei Lwiw. Güter, die dringend gebraucht werden. "Wir helfen damit oft auch Menschen, die in den Kampfgebieten leben und nicht evakuiert werden können", sagt sie. 

Klein anfangen und Stück für Stück mehr machen

Die gesamte Netzwerk-Logistik wird von Würzburg aus dirigiert. "Im Schnitt war es ja pro Wochentag ein Lkw, den wir losgeschickt haben", sagt Tobias Winkler ein paar Wochen später beim Gespräch in der Redaktion. Dazu kamen Einkauf und Zukauf von Gütern, das Beladen der Laster und die gesamte Abrechnung. "Wenn ich zurückblicke, ist es schon Wahnsinn, was wir in dem einen Jahr geschafft haben."

Die Ukraine-Hilfe hat sich nach demselben Prinzip entwickelt wie "Liebe im Karton": klein anfangen und Stück für Stück immer mehr machen. Aber eben erst einmal anfangen. Auch beim ersten Mal "Liebe im Karton" sollten es eigentlich nur zwei Sprinterbusse voller Love-Boxen sein, am Ende waren es zwei Sattelschlepper.  "Damals habe ich gemerkt: Schon eine Person kann etwas bewegen. Aber wenn man sich zusammenschließt, geht viel mehr!" Der Verein hat inzwischen rund 150 aktive Helferinnen und Helfer.

Dennoch gibt es für Tobias Winkler, der eine Teilzeitstelle als "Fachreferent Ukraine" über einen Fördertopf der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat, auch immer diese Momente, in denen einfach mal die Luft raus ist. "Jedes Jahr nach 'Liebe im Karton' habe ich den Gedanken: Wir setzen mal aus, machen mal eine Pause." Loslassen kann er dennoch nicht. "Das würde bedeuten, dass 10.000 Kinder kein Geschenk bekommen. Und dann sage ich mir: Das liegt doch in deiner Hand."

Weitere Infos: www.liebe-im-karton.de.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Torsten Schleicher
Christian Schuchardt
Facebook
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
Kinderbetten und Jugendbetten
Liebe
Sattelschlepper
Ukraine-Russland-Krieg
Weihnachtsüberraschungen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • I. R.
    Danke, einfach nur danke, Tobi, dass es dich gibt!
    Ich bewundere das, was du leistest aus tiefstem Herzen und bin dankbar, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten ein ganz winzigkleines Rädchen im Getriebe deiner Maschine sein darf!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • K. W.
    Allergrößten Respekt!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten