Wer durch das abendliche Lwiw spaziert, hat auf den ersten Blick nicht den Eindruck, in einem Land zu sein, wo Krieg herrscht. In der Altstadt der westukrainischen Stadt pulsiert auch am späten Abend noch das Leben, auf den Straßen sind viele junge Menschen, die Kneipen scheinen sich mit witzigen Konzepten überbieten zu wollen. Gegenüber vom Rathaus hat noch gegen 22 Uhr ein junger Mann seine Gitarre ausgepackt, die Menschen lauschen seinem Gesang. Noch eine Stunde haben sie Zeit, um 23 Uhr zieht fast schlagartig Ruhe in der eben noch lebendigen Altstadt ein, dann gilt die Ausgangssperre.
Auch Lwiw, das als eine der sichersten Städte in diesem Krieg gilt, kann die brutale Wirklichkeit nicht verbergen: Unter den Menschen in der City sind immer wieder junge Männer in Uniformen zu sehen, die – vielleicht auf Urlaub oder kurz vor dem Einsatz – mit ihren Familien spazieren gehen, den Abend genießen. "Das Leben soll so normal wie möglich weitergehen", sagt Andriy Moskalenko, den wir tags darauf im Café treffen. Der 35-Jährige, seit 2021 Lwiws stellvertretender Bürgermeister, lässt aber keinen Zweifel daran, dass sich auch hier, weit weg von der Front in der Ostukraine, der Krieg nicht einfach verdrängen lässt: "Praktisch jede Familie hat einen Angehörigen an der Front."
Und dann sind da die Gefallenen, deren Fotos inzwischen zum Stadtbild gehören. Vor dem Rathaus sind an diesem strahlend-sonnigen Februartag zwei Tafeln aufgestellt, sie zeigen einen 42- und einen 31-Jährigen. Sie werden heute zu Grabe getragen, unter den Transparenten liegen Blumen.
Nur ein paar hundert Meter entfernt sind an der Lateinischen Kirche Mariae Himmelfahrt, deren Ursprung bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht, zum Splitterschutz bei einem Angriff die kostbaren Fenster mit Sperrholz- und Metallplatten verdeckt, die Figuren rundherum ebenfalls. Auch die Skulpturen an den Springbrunnen vor dem klassizistischen Rathaus sind verhüllt. Auf der Verkleidung sind Fotos der Kunstwerke aufgedruckt, daneben die Aufschrift: "Die Originale werden wir nach dem Sieg wieder bewundern können."
Der "Cat-Mayor" von Lwiw mit eigenem TikTok-Account
Andrij Sadovyi, der Chef im Rathaus von Lwiw, ist ähnlich wie Präsident Selenskij stets in Pullover und Sweatjacke unterwegs. Für den 54-Jährigen ist seit einem Jahr der Ausnahmezustand zum Alltag geworden. Wie gut, dass es da Levchyk (kleiner Löwe) gibt. Der grau-getigerte Kater, der inzwischen einen eigenen TikTok-Account hat, gilt als "Cat-Mayor" (Katzen-Bürgermeister) von Lwiw, und so selbstverständlich, wie er sich im Bürgermeister-Büro bewegt, glaubt man das sofort. Auch beim Besuch der Würzburger Delegation nimmt Levchyk die Gäste erst einmal ausführlich in Augenschein und schnuppert am Gepäck. Wenn wir das gewusst hätten, wären unter den Gastgeschenken, die am Mittwoch zur Unterzeichnung der Städtepartnerschaft überreicht wurden, selbstverständlich nicht nur Frankenwein und Würzburg-Bilder, sondern auch ein paar edle Katzen-Leckerli gewesen.
Der Cat-Mayor nimmt's gelassen, dass er leer ausgeht. Als nach der Proklamation der Partnerschaft alle hinaus auf den Balkon gehen, läuft Levchyk einfach mit und lässt sich auf einem Sims ganz entspannt die Februarsonne auf den Bauch scheinen.
Ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Krieges ist eine Delegation aus Würzburg zu Gast in Lwiw in der Westukraine. Die 700.000-Einwohner-Stadt ist seit dieser Woche neue Partnerstadt von Würzburg.
Main-Post-Redakteur Torsten Schleicher begleitet die Würzburger Delegation und schildert in den "Ukraine-Notizen" seine Eindrücke.