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Würzburg
Täterschutz statt Opferschutz bei Vergewaltigung? Was Würzburger Expertinnen vom "Ja heißt Ja"-Grundsatz halten
Eine Fachanwältin für Strafrecht und eine Beraterin von Wildwasser Würzburg erklären, warum der Umgang mit Vergewaltigungen in Deutschland ein Problem ist.
Sex sollte immer einvernehmlich sein. Innerhalb der EU wird aktuell diskutiert, was das bedeutet. Zwei Würzburger Expertinnen haben dazu eine klare Meinung.
Foto: Ivana Biscan | Sex sollte immer einvernehmlich sein. Innerhalb der EU wird aktuell diskutiert, was das bedeutet. Zwei Würzburger Expertinnen haben dazu eine klare Meinung.
Gina Thiel
 |  aktualisiert: 15.07.2024 19:27 Uhr

Dass Sex nur dann stattfinden sollte, wenn beide Beteiligten damit einverstanden sind, sollte selbstverständlich sein. Nicht einvernehmlicher Sex gilt als Vergewaltigung. Doch bei der Frage, was als nicht einvernehmlich gilt, gibt es innerhalb der EU verschiedene Auffassungen, die gerade bei der strafrechtlichen Verfolgung einen großen Unterschied machen.

Die EU-Kommission wollte deshalb jetzt im Zuge eines Gesamtpakets zum Schutz von Frauen gegen Gewalt eine einheitliche Definition für Vergewaltigung festlegen. Doch Deutschland und andere Länder blockierten den Vorschlag.  Christina Glück, Fachanwältin für Strafrecht in Würzburg und Schweinfurt, und Janika Schmidt, Fachberaterin von Wildwasser Würzburg, setzen sich seit Jahren mit dem Thema auseinander. Sie erklären, wie aktuell die Situation für Frauen ist - und was sie von dem Vorschlag zum Schutz gegen Gewalt halten. 

Wann spricht man in Deutschland von einer Vergewaltigung?

Klar ist: Vergewaltigungen können von Menschen aller Geschlechter ausgehen. Von Vergewaltigung im juristischen Sinne spricht man bei Penetration - "egal, ob durch einen Penis, Finger oder einen Gegenstand", sagt Sozialpädagogin Janika Schmidt. Darunter fällt die vaginale, orale oder anale Penetration. Eine Vergewaltigung sei immer eine Form der sexualisierten Gewalt, sagt die Beraterin von Wildwasser.

Laut des Sicherheitsberichtes des Polizeipräsidiums Unterfranken gab es im Jahr 2023 insgesamt 133 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung, die an die Staatsanwaltschaft übergeben wurden. Von sexueller Nötigung spricht man, wenn eine Person zu sexuellen Handlungen gezwungen wird, die keine Penetration einschließt. 

Wie häufig kommen die Täter bei einer Vergewaltigung aus dem Bekanntenkreis des Opfers?

Vergewaltigungen fänden nicht selten in Ehen und Beziehungen statt. "Vergewaltigungen von fremden Tätern gibt es, aber das ist nicht die Realität", sagt Janika Schmidt. Viele Frauen hätten den Eindruck, dass Sex eine Pflicht innerhalb der Beziehung ist und würden eine Vergewaltigung nicht anzeigen. Aber auch bei Dating-Situationen komme es häufig zu nicht einvernehmlichen Sex.

Nach Angaben des Polizeipräsidiums Unterfranken gab es im Jahr 2023 insgesamt 37 Fälle von Vergewaltigungen im häuslichen Bereich – also in Ehe oder Partnerschaft.

Christina Glück ist Fachanwältin für Strafrecht und weiß, wie schwer eine Vergewaltigung vor Gericht nachweisbar ist.
Foto: Heiko Becker | Christina Glück ist Fachanwältin für Strafrecht und weiß, wie schwer eine Vergewaltigung vor Gericht nachweisbar ist.

Was bedeutet der in Deutschland geltende "Nein heißt Nein" Grundsatz konkret für Frauen?

"Es bedeutet, dass man nachweisen muss, dass man zum Sex 'Nein' gesagt hat", erklärt Juristin Christina Glück. Genau hier liege das Problem. Der Nachweis ist schwer. "Sobald der Beschuldigte die Taten bestreitet, liegt eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vor." Häufig werde der Täter mangels objektiver Beweise freigesprochen - häufig schon im polizeilichen Ermittlungsverfahren oder nach der Hauptverhandlung vor Gericht. Denn die Wahrnehmung des Opfers gilt immer als subjektiv. Hat man vor Gericht keine weiteren Beweise, verliere man, sagt Glück.

Was ist das Problem beim geltenden Grundsatz "Nein heißt Nein"?

"Es kann sich ja jeder mal selbst fragen, wie schwer es einem fällt, in bestimmten Situationen 'Nein' zu sagen", sagt Janika Schmidt.  Der Grundsatz schreibe Frauen eine Verantwortung zu, die nicht bei ihnen liege. "Es geht darum, dass die Frauen vermittelt bekommen, dass sie auch hätten Nein sagen können". Doch häufig könnten sie das eben nicht.

Vergewaltigungssituation können bei den Betroffenen eine Art Schockstarre auslösen, sodass sie sich nicht wehren können. Auch gebe es immer wieder Situationen, in denen Frauen ihre Ablehnung nicht ausdrücken könnten, beispielsweise unter Alkohol- oder Drogeneinfluss. Auch Frauen, die bereits Gewalt erlebt haben oder psychisch nicht in der Lage sind, Grenzen zu setzen, benachteilige der Grundsatz, sagt Janika Schmidt.

Was bedeutet es für Frauen, eine Vergewaltigung zur Anzeige zu bringen?

"Es ist rundum ein Trauma", sagt Christina Glück, die schon viele Frauen vor Gericht vertreten hat. Dies fange beim Erstatten der Anzeige bei der Polizei an. "Wenn man Glück hat, landet man bei einer geschulten Beamtin." Doch es könne sein, dass man einem Polizisten alle intimen Details erzählen müsse. "Während des Ermittlungsverfahrens muss man mindestens zweimal zum selben Sachverhalt vernommen werden", erklärt die Anwältin. Bohrende Fragen der Beamtinnen und Beamten seien für die Opfer häufig eine Tortur. 

Janika Schmidt, Sozialpädagogin beim Verein Wildwasser Würzburg, unterstützt Frauen, die Gewalt erfahren haben. 
Foto: Patty Varasano | Janika Schmidt, Sozialpädagogin beim Verein Wildwasser Würzburg, unterstützt Frauen, die Gewalt erfahren haben. 

Widerspricht der Beschuldigte den Aussagen des Opfers, müssen diese einer "besonderen Prüfung" standhalten, damit es überhaupt zu einem Gerichtsverfahren kommt. Das heißt, bei der Aussage wird jedes Detail hinterfragt. "Schon der Eindruck des ersten, vernehmenden Polizeibeamten, findet Einzug in die Akte. Wenn er oder sie der Zeugin nicht glaubt, zieht sich das durch das ganze Verfahren", sagt Glück. Die Hürde, dass nach einer Anzeige ein Gerichtsverfahren folge, sei riesig. Bei Verfahren wegen Vergewaltigung gebe es mit die meisten Freisprüche. Die beste Beweissituation habe man, wenn man direkt sagt: "Nein, geh weg". 

Sollten Frauen dennoch eine Vergewaltigung zur Anzeige bringen?

Auf jeden Fall anzeigen - davon ist Juristin Glück überzeugt. Sozialpädagogin Schmidt hingegen plädiert dafür, dass sich jede Frau abwägen sollte, ob eine Anzeige für sie infrage komme. Sie berate die Betroffenen immer ergebnisoffen. "Jede Anzeige macht Vergewaltigungen sichtbar", sagt Schmidt. Die Dunkelziffer an tatsächlichen Übergriffen und Vergewaltigungen schätzt sie als hoch ein. Der Verein Wildwasser bietet Betroffenen an, mit einer Prozessbegleiterin Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Auch könnten die Beraterinnen Termine bei der Polizei vereinbaren, bei denen eine geschulte Beamtin die Aussagen aufnimmt. Wichtig sei, dass sich Betroffene Hilfe suchen, wenn sie diese bräuchten, sagt Schmidt.

Wäre der von der EU-Kommission vorgeschlagene Grundsatz "Ja heißt Ja"eine Verbesserung für Frauen?

Christina Glück argumentiert dagegen: "Das Problem ist dasselbe." Egal wie man es drehe, das Opfer sei immer in einer schwachen Position. Der "Ja heißt Ja"-Grundsatz würde bedeuten, dass sexuelle Handlungen nur stattfinden dürfen, wenn die Frau zuvor eingewilligt hat. In einem Strafverfahren müsse man aber einem Beschuldigten die Straftat nachweisen - und "da genügt die Aussage von einer Person allein nicht". Vor Gericht sei eine Zustimmung zum Sex genauso schwer zu beweisen wie die Ablehnung. Der Eindruck der Anwältin: Die Strafverfahren seien auf Täterschutz statt Opferschutz ausgelegt.

Janika Schmidt hingegen meint, gesellschaftlich könne das "Ja heißt Ja" ein Umdenken bewirken:  "Wenn der Grundsatz gelebt wird, könnte das zu einer Verbesserung führen." Der Vorschlag der EU-Kommission hält sie für einen Weg, mehr auf die Grenzen zu achten. Würde der Grundsatz in der Gesellschaft gelebt, "dann wären die Männer, die ohnehin in der stärkeren Position sind, in der Verantwortung und nicht mehr die Frauen".

Hilfe für Personen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben

Der Verein Wildwasser Würzburg setzt sich seit 1989 für Frauen ein, die körperliche, psychische oder sexualisierte Gewalt erlebt haben. Frauen haben dort die Möglichkeit der Beratung,  Prozessbegleitung und bekommen Gesprächstermine. Die Beratung ist kostenlos und auf Wunsch anonym. Kontakt und Infos unter Tel. (0931) 13287 oder per Mail an info@wildwasserwuerzburg.de. Offene Beratungszeit für Mädchen und junge Frauen in der Beratungsstelle, Theresienstraße 6-8 in Würzburg, ist mittwochs von 14 bis 16 Uhr.
Quelle: Wildwasser Würzburg

Hinweis: Die Redaktion hat hinsichtlich der möglichen Wirkung auf betroffene Frauen die Kommentarspalte nach Erscheinen des Artikels entfernt.

 
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