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Straßburg
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen: Gesetz mit großen Fragezeichen
Die Union hat sich auf das erste EU-Gesetz zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen geeinigt. Zum Unmut des Parlaments aber fehlt eine gemeinsame Definition von Vergewaltigung.
Illustration zur häuslichen Gewalt.jpeg       -  Das europäische Gesetz gegen Gewalt an Frauen gilt als Meilenstein – und doch hat es Kritikerinnen zufolge eine große Schwäche.
Foto: Fabian Sommer, dpa | Das europäische Gesetz gegen Gewalt an Frauen gilt als Meilenstein – und doch hat es Kritikerinnen zufolge eine große Schwäche.
Katrin Pribyl
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:12 Uhr

Erbittert wurden die Verhandlungen geführt, nun liegt endlich eine Vereinbarung vor. Und doch können die beiden Hauptakteurinnen ihre Enttäuschung nicht verbergen. Das Thema: Gewalt gegen Frauen. Monatelang hatten die Sozialdemokratin Evin Incir und die Konservative Frances Fitzgerald für einen Passus gestritten: die Klausel zur Vergewaltigung auf der Grundlage fehlender Einwilligung zum Geschlechtsverkehr. Ohne Erfolg. Sie wurde aus der neuen Richtlinie gestrichen. Das heißt: Es gibt keine gemeinsame Definition von Vergewaltigung. Während sich die Mehrheit der EU-Abgeordneten dafür ausgesprochen hatte, das Prinzip „Nur Ja heißt Ja" europaweit durchzusetzen, demzufolge die Beteiligten ausdrücklich dem Sex zustimmen müssen, leisteten einige EU-Länder Widerstand. 

Zum Kreis der Blockierer gehörte Deutschland, wo der Grundsatz „Nein heißt Nein“ zwar in ein Gesetz gegossen ist, Justizminister Marco Buschmann (FDP) den Vorstoß aus Brüssel aber als Kompetenzüberschreitung der EU bewertet hatte. Demnach sei hier die nationale Gesetzgebung am Zug. Die EU-Parlamentarierin Alexandra Geese (Grüne) sprach hingegen von einer „Ohrfeige für alle Frauen“, die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl beklagte „einen herben Rückschlag“ im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen. „Dass Sex ohne Einverständnis Vergewaltigung ist, ist gesellschaftlich mittlerweile klar“, sagte Noichl. „Es wäre an der Zeit gewesen, dass auch europäisches Recht diesem Konsens folgt.“ 

EU-Gesetz gegen Gewalt gegen Frauen: Länder definieren Vergewaltigung sehr unterschiedlich

Nicht-einvernehmlicher Sex wird innerhalb der Gemeinschaft in jedem Land unterschiedlich definiert und bestraft. Ob in Frankreich, Österreich, Italien oder in den Niederlanden – in 14 Staaten erfüllt der Geschlechtsverkehr trotz eines Neins der oder des Betroffenen nicht den Tatbestand der Vergewaltigung. Es reicht also nicht, wenn eine Frau tränenüberströmt sexuelle Handlungen über sich ergehen lässt, damit der Täter zur Verantwortung gezogen werden kann. Die Opfer müssen die Anwendung von oder die Drohung mit Gewalt nachweisen. 

Der juristische Flickenteppich sorgt bei Aktivisten seit Langem für Kritik. Die EU-Kommission schlug deshalb vor zwei Jahren einheitliche Vorschriften zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung galt Frauenrechtlerinnen als Kern der Richtlinie. Doch er wurde am Ende nicht nur von Deutschland, sondern 13 weiteren Staaten wie Frankreich, Polen und Ungarn abgelehnt. Nach Schätzungen der EU-Agentur für Grundrechte (FRA) ist eine von 20 Europäerinnen seit ihrem 15. Lebensjahr vergewaltigt worden. Jede zehnte Frau hat laut FRA eine Form der sexuellen Gewalt erfahren. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen, da Sexualdelikte von Betroffenen nur selten zur Anzeige gebracht werden. 

Zwangsehe steht in ganz Europa unter Strafe

Doch auch wenn es zunächst keine Standards zu Vergewaltigungen geben wird, legt das erste EU-Gesetz zum Kampf gegen sexualisierte Gewalt schärfere und vor allem harmonisierte Regeln in anderen Bereichen fest. So stehen künftig die weibliche Genitalverstümmelung und die Zwangsehe in ganz Europa unter Strafe, genauso wie Cybergewalt, also das Stalking und Mobbing von Frauen im Internet, und das böswillige Weiterverbreiten intimer Aufnahmen. 

In Deutschland wurde das Sexualstrafrecht bereits 2016 verschärft. Das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung stellt seitdem jede sexuelle Handlung gegen den „erkennbaren Willen“ eines Dritten unter Strafe. Das Opfer kann diesen verbal oder durch Gesten wie ersichtliche Abwehrhandlungen ausdrücken.

 
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