Als vor einigen Jahren in ihrem Bekanntenkreis ein Kind kurz nach der Geburt starb, erlebte Heike Nitzl hautnah, wie groß in dieser Situation die Sprachlosigkeit ist. Wie groß das Tabu ist, wenn ein Kind stirbt. Und welche Not dadurch für die betroffenen Eltern entsteht. Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, würden selbst im engsten Freundes- und Familienkreis die Worte fehlen, sagt Heike Nitzl. Dabei sei gerade eines so wichtig für Familien in dieser wohl schwierigsten Situation: darüber reden zu können.
Heike Nitzl beschloss, wenn die eigenen Kinder groß und selbstständig sind und sie mehr Zeit habe, werde sie sich in diesem so wichtigen Bereich engagieren. In diesem Jahr ist die Thüngersheimerin eine von neun Hospizhelferinnen und Hospizhelfern, die den Aufbaukurs Kinderhospizarbeit des Malteser-Hilfsdienst absolviert haben, um in ganz Unterfranken Familien mit sterbenden oder trauernden Kindern zu begleiten.
Nitzl möchte sich vor allem mit Eltern sogenannter Sternenkinder beschäftigen. 20 bis 30 Prozent aller Schwangerschaften endeten mit einer Fehlgeburt. Das Thema sei das Tabu der Tabus, sagt Nitzl. Es werde verdrängt, die Eltern blieben mit ihrem Schicksal alleine und sähen sich selbst regelrecht gezwungen, den Verlust zu verdrängen statt ihn aufzuarbeiten. Mit Einzelbegleitungen und Austausch in kleinen Gruppen von vier bis acht Teilnehmerinnen und Teilnehmern versuche die Malteser-Kinderhospizarbeit hier ins Gespräch zu kommen.
Nachfrage nach Kinderhospizhelfern steigt stetig
Die von Ehrenamtlichen getragene Trauer- und Hospizarbeit der Malteser in Unterfranken gibt es seit 1991, sagt Referent Georg Bischof. 2003 sei aus dem Kreis der Ehrenamtlichen der Impuls gekommen, sich auch um betroffene Kinder und Jugendliche zu kümmern. Insgesamt engagieren sich heute rund 350 Helferinnen und Helfer in der Malteser-Hospizarbeit, sagt Bischof. Alle haben den Basiskurs von 110 Stunden absolviert. 25 von ihnen ließen sich dann weitere 60 Stunden für die besonderen Herausforderungen der Trauerarbeit mit Kindern und Jugendlichen ausbilden.
Die Nachfrage sei groß und würde rasant steigen, so der Malteser-Referent. Nicht nur Familien, auch Einrichtungen wie das Körperbehindertenzentrum oder das Blindeninstitut in Würzburg würden die Hospizbegleiter anfragen. Denn Kinderhospiz, das sei viel mehr als die Begleitung sterbender Kinder, sagt Bischof. In ganz Unterfranken betreuten die Malteser derzeit auch rund 70 Kinder nach dem Tod eines nahen Angehörigen - sei es Bruder, Schwester oder ein Elternteil.
Diese Kinder würden viel zu oft mit ihrer Trauer, mit ihren Nöten alleine gelassen, sagt Monika Hofmann aus Ochsenfurt, eine der gerade ausgebildeten Kinderhospizbegleiterinnen. In der Schule würde das Thema Trauer und Sterben schnell ausgeblendet, es gebe auch kaum Rituale für trauernde Kinder. So wie es Erste-Hilfe- Kurse gibt, fordert Hofmann einen Letzte-Hilfe-Kurs für den Umgang mit sterbenden Angehörigen, Verlust und Trauer.
Denn zuhause würden diese Kinder - aus Rücksicht auf die besorgten oder ebenfalls trauernden Eltern - sich meist auch nicht öffnen und nicht einfach reden können, sagt Bischof. Für ein oder zwei Stunden in der Woche könnte sich dann der Kinderhospizbegleiter mit den Kindern über ihre Sorgen, Nöte und Ängste austauschen, sie ernst nehmen.
Zwischen Therapie und Lebensqualität: Mehr Gewicht für die ganze Familie
Monika Hofmann ist kurz vor der Rente in die Hopsizarbeit der Malteser eingestiegen und wollte von Anfang an in die Kinderhospizbegleitung. "Das liegt an meinem Beruf", sagt sie. Denn Hofmann war zuvor in einer Frühförderstelle tätig. Auch dort habe sie viel Leid und schwerkranke Kinder mit Behinderung gesehen. Dabei stellte sie ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen Therapie auf der einen und Lebensqualität auf der anderen Seite fest. In den allermeisten Fällen würde sich die Waagschale eindeutig zur Therapie neigen.
Das sei auch wichtig, sagt Hofmann. Eltern schwerkranker Kinder würden nun einmal alles tun wollen, dass es ihren Kindern besser gehe und der Abbauprozess aufgehalten werde. Doch dürfe die Lebensqualität der ganzen Familie dabei nicht aus Acht gelassen werden. Ihr mehr Gewicht zu verleihen, darum will sich Monika Hofmann jetzt als Hospizbegleiterin kümmern.
Julia Hasselhorn hat eine eigene Verlust-Erfahrungen zu ihrem Engagement gebracht. Immer wieder habe sie nach dem Sinn von Verlust und Tod gefragt - und keinen gefunden. Nach einem Verlust müsse man eine neue Art des Lebens führen, ist die Würzburgerin heute überzeugt. Sie hat Lehramt studiert und war lange ehrenamtlich in der Kinderbetreuung tätig. Ihr pädagogisches Wissen wolle sie jetzt dafür nutzen, Kinder und Jugendliche bei Schicksalsschlägen zu unterstützen. Gleichzeitig will Hasselhorn Jugendliche und junge Erwachsene über die Social-Media-Kanäle Instagram und Facebook ermuntern, sich mit dem Tabu-Thema Sterben und Tod auseinanderzusetzen.
Das eigene Leben bewusster leben
Oft würden sie gefragt, warum sie sich gerade dieses so schwierige Feld ausgesucht hätten, berichten die Hospizbegleiterinnen. Kämen sie doch ganz nah an tragische Schicksale heran, den Umgang damit müsse man erst einmal aushalten. Sie habe großen Respekt vor der Aufgaben gehabt, sagt Heike Nitzl offen. Sie sei schon jetzt mit sehr bewegenden Geschichten konfrontiert gewesen. Doch statt einer psychischen Belastung habe sie eine große Bereicherung gespürt. Sie selbst trage auch ihr Glaube, dass nach dem Tod nicht alles vorbei sei, durch diese Arbeit.
Auch Julia Hasselhorn empfindet ihre Tätigkeit als ein Geschenk. Man komme in diesen besonderen Situationen Menschen sehr nahe. Diese Nähe und Intensität der Begegnungen erlebe sie als enorm wertvoll. Monika Hofmann spricht von Impulsen für das eigene Leben: Man lerne das eigene Leben viel bewusster zu erleben und den Moment zu genießen.
Julia Hasselhorn ist dankbar dafür, dass die Malteser einmal im Monat eine Supervision anbieten. Beim gemeinsamen Sprechen über Tod, Trauer, Verlust könne man verarbeiten, was man erlebt habe. Unter den Helferinnen und Helfern würden auch gute Freundschaften entstehen. Man müsse auf sich aufpassen, sagt Heike Nitzl. Dazu gehöre sich einzugestehen, wenn man eine Situation mal nicht aushalte, wenn man nicht mehr weiter wisse. Wichtig sei, dass man selbst immer mit einem guten Gefühl die Hospizarbeit verrichte. Sie sei froh, dass hauptamtliche Kräfte und ein Palliativ-Team für Kinder jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stehen würden.
Andere Schwerpunkte als in der Hospizarbeit für ältere Menschen
Kinderhospizarbeit habe in großen Teilen andere Themen und Schwerpunkte als die Begleitung sterbender alter Menschen, so Bischof. Natürlich gebe es auch das an Krebs erkrankte Kind, das nur noch kurze Zeit zu leben habe. In den meisten Fällen aber würden schwer erkrankte Kinder noch viele Jahre vor sich haben. Dass die Familien früh betreut werden, sei wichtig. Denn die Hilfe könne sich zum Beispiel auch ganz auf ein gesundes Geschwisterkind beziehen, sagt Georg Bischof.
Familien mit einem lebensverkürzend erkrankten Kind müssten oft und lange in Kliniken. Die gesunden Geschwister blieben dann oft alleine. Weil in Kliniken Wartezeiten meist schwer zu planen seien, springe die Hospizbegleitung ein, betreue Bruder oder Schwester, mache Hausaufgaben oder einfach ein Spiel. Und es komme auch schon mal vor, dass die Großeltern eines schwer erkrankten Kindes betreut werden müssten, weil sie das Schicksal ihres Enkels kaum verkraften. "Alles, was dem Familiensystem hilft, hilft dem kranken Kind", sagt Bischof.
Wichtigste Aufgabe: Zuhörer und "Mitaushalter" sein
Ob Geschwister, Eltern oder Großeltern voller Schmerz: "Wir sind in erster Linie Zuhörer und Mitaushalter", sagt Heike Nitzl. Das beschreibe die Tätigkeit am besten. Monika Hofmann ergänzt: "Wir sind keine Mitlöser." Sie selbst habe dies erst lernen müssen, weil sie beruflich in der Frühförderstelle immer nach Lösungen gesucht habe. Als ehrenamtliche Hospizbegleiterin ist das jetzt nicht mehr ihre Aufgabe. Jetzt höre sie vor allem zu, halte den Schmerz mit aus und hole Hilfe, wenn sie selbst an Grenzen stoße.
Der Autor ist selbst Vater eines lebensverkürzend erkrankten Sohnes.
Ich könnte es nicht.