Die Wahrheit des Satzes „Wenn deine Eltern sterben, verlierst du deine Vergangenheit; wenn dein Kind stirbt, verlierst du deine Zukunft“ von Elliot Luby traf das Ehepaar Monika und Rainer Barth aus Ebern in der ganzen Härte, als vor zehn Jahren ihre Tochter Meike im Alter von 15 Jahren verstarb. Die Trauer um das verstorbene Kind sitzt tief und hält oft auch Jahre an. Besonders hilfreich auf dem Trauerweg sind oft Selbsthilfegruppen, in denen die Hinterbliebenen ermutigt werden, ihre Gefühle der Trauer und des Schmerzes zu äußern, aber auch allmählich den Blick wieder nach vorne zu richten. Wie ihnen das gelungen ist, soll unser Gespräch mit dem Ehepaar Barth zeigen.
Frage: Wann haben Sie das erste Mal von dem schweren Schicksal ihrer Tochter Meike erfahren und wie äußerte sich ihre Krankheit?
Monika: Mit 13 Jahren bekam sie Hustenanfälle so ähnlich wie Krupphusten, hat unheimlich abgenommen und ist öfter auch einmal zusammengebrochen. Die Symptome traten immer nachts auf, wenn der Körper zur Ruhe kam. Als wir dann einen Lungenarzt in Bamberg aufsuchten, stellte dieser einen Tumor mit einer Größe von 8x9x10 Zentimetern fest und ein Lungenflügel war schon komplett komprimiert. Er tippte sofort auf dieses onkologische Problem, so dass wir sofort in die Klinik nach Würzburg fuhren und der dortige Arzt in der Osterwoche weitere Ärzte und Radiologen aus dem Urlaub holte.
Frage: Wie fühlt man sich in einer solchen Situation?
Rainer: Man realisiert eigentlich gar nichts und geht wie betäubt mit von einem Zimmer zum anderen. Es ist wie ein Schock, wo dann auch die Seele den Körper schützt und nicht mehr zulässt, als man verkraftet.
Monika: Ich habe unterschrieben, was mein Mann unterschrieben hat, aber ich weiß nicht, was ich unterschrieben habe.
Frage: Sieht man sein Kind dann mit anderen Augen an?
Monika: Ja, in der Klinik werden die Kinder schneller erwachsen. Von ihrer Pubertät bekamen wir so gut wie nichts mit und das Kind lernt seinen Körper anders kennen. Ich habe sie immer begleitet, aber sie gab sich wie eine Erwachsene und nicht mehr als Kind.
Frage: Konnte man mit Meike auch über ihre schwere Krankheit sprechen?
Monika: Sie wirkte sehr reif und hat es mitgetragen mit der ganzen Palette von der Chemotherapie über Antikörper-Therapie bis hin zur Stammzellentransplantation von ihrem Bruder, weil Stammzellen von Geschwistern oft besser passen als die von Eltern. Von Anfang an hat sie aber gedacht, dass sie es nicht schaffen wird. Dabei hatte es nach der Hälfte der Therapie sogar gut ausgesehen und es hatte gut angeschlagen. Aber es gab doch noch ungeklärte Punkte. Sie hat sogar oft selbst ihre Medikamente ausgewählt und wollte nicht so viele Antibiotika haben.
Frage: Wie muss man sich diese Zeit der Krankheit über eineinhalb Jahre hinweg vorstellen und wie hat sich das Leben in der Familie dann verändert?
Monika: Es war wie ein ständiges Auf und Ab. Wenn es dem Kind gut geht, geht es den Eltern gut und wenn es dem Kind schlecht geht, fühlen sich auch die Eltern so. Außerdem setzt man ganz andere Prioritäten.
Rainer: Man selektiert überall aus und das Materielle ist nicht mehr so wichtig.
Monika: Auch die Familie reißt das auseinander, weil ich ja meist in der Klinik und immer nur kurze Zeit zu Hause war. Das galt besonders für unseren zwei Jahre jüngeren Sohn, der mehr nebenher lief und auch nicht zeigte, wie es ihm geht. So spricht man in diesem Zusammenhang ja auch gerne von „Schattenkindern“, weil sie in diesem Schatten etwas untergehen.
Frage: Wie sind Ihnen Nachbarn oder Menschen auf der Straße begegnet? Wollten sie mit Ihnen darüber überhaupt sprechen?
Monika: Die Familie und der engere Freundeskreis kommen und fragen nach, besonders in der Zeit der Therapie. Die während dieser Zeit aber nicht da waren, tun sich dann schwer und zu denen verliert man den Anschluss. Auch Schüler fragten einmal nach und vereinzelt kamen auch Briefe von Leuten, die wir gar nicht kannten.
Frage: Wie haben sie die letzten Wochen mit ihrer Tochter in Erinnerung?
Monika: Mit welcher Akzeptanz unsere Tochter ihre Krankheit ertragen hat, war für uns schon sehr bemerkenswert, auch wenn sie einmal sagte: „Mir gefällt meine Hülle nicht mehr.“ Dann hat Meike jede neue Situation und ihren Weggang auch mit einem Psychologen durchgesprochen und über den Tod geredet. Schließlich hatte sie noch einen Wunsch, der ihr auch von der „Aktion Herzenswünsche“ erfüllt wurde, nämlich der Besuch des Musicals „Tanz der Vampire“ mit Backstage im Beisein der ganzen Familie in Oberhausen.
Frage: Was hat ihnen bei ihrer Trauer am meisten geholfen?
Rainer: Die Trauer fängt ja nicht erst beim Tod an, sondern schon bei der Diagnose. Jeder trauert auch anders. Unsere Tochter ist in der Klinik gestorben und so war auch meine Trauerbewältigung der Besuch in der Klinik, wo ich öfter noch in den 2. Stock ging und in ihr Zimmer schaute. Aber auch die Elterninitiative hat mir sehr geholfen, in der wir uns wie in einer Familie gefühlt haben. Seitdem arbeiten wir beide in dieser Initiative mit. Wir haben aber auch Ehepaare getroffen, die dann immer verreisen, sich nicht mit dem Thema befassen wollen und es damit zu verdrängen suchen.
Monika: Für mich hat die Bewältigung der Trauer lange gedauert. Ich war ja ständig unterwegs und hatte eigentlich gar kein Zuhause mehr. So musste ich erst wieder in der Familie und in Ebern Fuß fassen. Zuerst ging ich auch öfter an das Grab von Meike, manchmal brachte ich das aber auch nicht übers Herz und beauftragte andere mit dem Gießen.
Frage: Was ist ihnen heute noch von ihrem Kind wichtig und welche Erinnerungen an ihre Tochter sind in ihnen heute noch gegenwärtig?
Monika: Natürlich habe ich noch einen Schrank voller Erinnerungen. Aber trotzdem hänge ich nicht so an Sachen, sondern habe sie noch mitten drin in meinem Herzen. Inzwischen habe ich mir in ihrem Zimmer auch ein kleines Büro eingerichtet und wenn ich reingehe, finde ich es schön.
Rainer: Es klingt vielleicht eigenartig, aber sie hüllt mich in meinem Körper ein, als wenn sie einen Zentimeter um mich herum wäre.
Weltgedenktag für „Sternenkinder“
In einer kleinen Sommer/Herbst-Serie wollen wir dazu verwaiste Ehepaare, Eltern von „Sternenkindern“, Organisationen oder auch spezielle Fotografen von Sternenkindern zu Wort kommen und von ihren Erfahrungen berichten lassen.
Monika und Rainer Barth haben in den letzten Monaten an einem Hospizlehrgang teilgenommen und engagieren sich jetzt in der Hospiz- und Palliativarbeit. Außerdem sind sie weiterhin aktiv in der Elterninitiative der „Regenbogenstation“ an der Uni-Klinik in Würzburg.
Worldwide Candle Lighting
Das „weltweite Kerzenleuchten“ findet alljährlich am zweiten Sonntag des Monats Dezember statt als „Weltgedenktag für verstorbene Kinder“. Zum ersten Male planen die Malteser im Landkreis Haßberge, die sich besonders im Bereich der Hospiz- und Palliativarbeit engagieren, an diesem 8. Dezember in Limbach in der Dorfkirche eine Gedenkfeier für Angehörige und verwaiste Eltern solcher „Sternenkinder“ und wollen damit einen Beitrag leisten, ein „Tabuthema“ oder überhaupt ein Thema anzusprechen, über das Betroffene, Angehörige und Freunde von betroffenen Paaren nicht leicht ins Gespräch kommen. (gg)
Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management