
Seit 15 Jahren beschäftigt sich Brigitte Gehlofen mit einem Thema, das alle angeht – und vielen Angst macht: dem Tod. Die Würzburgerin begleitet in ihrer Freizeit Schwerstkranke und Sterbende sowie deren Angehörige; besonders am Herzen liegen ihr dabei Kinder und Jugendliche. Im August wurde der 55-Jährigen für ihre Arbeit beim Hospizdienst der Malteser der „Weiße Engel“ verliehen: eine Auszeichnung für besonderes und langjähriges ehrenamtliches Engagement in der Pflege.
Warum räumt jemand dem Tod freiwillig so viel Raum im eigenen Leben ein? „Meine ursprüngliche Motivation war Neugier“, sagt Gehlofen. Neugier, die durch den Tod ihres Vaters ausgelöst wurde. Zusammen mit ihren drei Geschwistern hatte sie den krebskranken Vater, der nach einem Oberschenkelhalsbruch nicht mehr aus dem Krankenhaus nach Hause kam, bis zu seinem Ende begleitet. „Ich war dabei, und es war gar nicht so schlimm“, erinnert sich Gehlofen. „Ich wollte nicht, dass er weiter Schmerzen hatte; ich war stolz, dass er?s geschafft hat.
“ Da sie den vorherigen Tod ihrer Mutter als sehr belastend erlebt hatte, war sie überrascht, dass ihr Gefühl diesmal so anders war. „Ich wollte mehr über den Tod wissen – für mich selbst“, sagt Gehlofen rückblickend.
Scheu vor Hospizarbeit
Über die Ausbildung zur ehrenamtlichen Hospizhelferin bei den Maltesern in Würzburg näherte sich die damals 40-Jährige dem Thema. Ihre Massage-Praxis in der Innenstadt befand zu diesem Zeitpunkt noch in den Anfängen, so dass sie die neue Aufgabe mit Job und Familie gut vereinbaren konnte. Mehrere Stunden pro Woche stand sie Menschen bei, denen der Tod nahe gerückt war; die erste Sterbebegleitung, die sie leistete, war bei einer Pfarrhaushälterin. Mit ihr sang Gehlofen und wurde dabei ganz ruhig: „Ich konnte sitzen bleiben und es aushalten.“ Über die Jahre hat sich die 55-Jährige ein Repertoire an verschiedenen Angeboten angeeignet: „Wenn jemand Schmerzen hat, will er kein elegisches Singen.“
Hospiz – das klingt nach Endstation, nach Tränen und Trauer, insbesondere, wenn junge Menschen mit dem Tod konfrontiert werden. Der Raum, in dem Gehlofen Schwerkranke und Trauernde empfängt, passt nicht zu diesen Assoziationen. Eine antike Stehlampe, ein einladendes Sofa, viele Bücher – all das strahlt Gemütlichkeit und Wärme aus. „Als ich mit meiner Ausbildung zur Hospizhelferin angefangen habe, gab es eine unglaubliche Scheu vor Kinderhospizarbeit“, erinnert sich Gehlofen. Gleichzeitig hätten die Malteser schon immer entsprechende Anfragen von Kinderärzten und Lehrern erhalten: „Der Bedarf war da – und das Bedürfnis, etwas speziell für Kinder zu tun, ebenfalls.“
Wenn der Tod Menschen reifen lässt
Gehlofen und ihre Mitstreiter bei den Maltesern betrieben zunächst Feldforschung: Zusammen mit den Würzburger Kliniken versuchten sie herauszufinden, was tatsächlich gefragt war. „Wir wollten ein Angebot für kranke Kinder und ihr Umfeld entwickeln“, sagt Gehlofen. „Nicht nur die Sterbebegleitung am Bett, sondern alles, was das System unterstützt.
“ Das kann zum Beispiel ein Begleiter sein, der immer dann, wenn das kranke Kind zur Chemotherapie muss, mit dem Geschwisterkind Fußballspielen geht.
Aus der Initiative von Gehlofen wurde eine feste Einrichtung: Seit 2003 bietet der Hospizdienst der Malteser spezielle Begleitungen für Kinder und Jugendliche an. Aus den Anfragen heraus entwickelte sich ein Programm, das alle auffangen will: kranke Kinder, aber auch Kinder, die einen Elternteil verloren haben – sowie Eltern, deren Kind vor, während oder kurz nach der Geburt verstorben ist. 2006 baute Gehlofen die erste offene Trauergruppe für Kinder und Jugendliche bei den Maltesern auf; 2011 wurde mit ihrer Unterstützung ein eigenständig geförderter Kinderhospizdienst gegründet.
„Kinder, die mit dem Thema Tod konfrontiert werden, machen Quantensprünge an Reifung – die kriegt ein anderer ein ganzes Leben nicht hin“, sagt Gehlofen. „Es berührt mich immer sehr, zu was wir an Zwischenmenschlichkeit fähig und wie tüchtig wir alle sind.
“ Als etwa ein Kind aus der Trauergruppe in der Schule unangemessen behandelt wurde, machte ihm spontan ein anderes Mut: „Schreib?s dir auf, und dann gehst du ins Lehrerzimmer und sagst es – das schaffst du doch!“
Ständige Balance zwischen Empathie und Bei-Sich-Bleiben
In der Gruppe erfährt Gehlofen auch, wie intuitiv Kinder reagieren. „Manchmal steht da ein kleiner Philosoph vor dir und haut dir einen Satz hin, an dem du drei Tage kaust“, sagt sie und lacht. Insgesamt gingen Kinder unbedarfter mit dem Thema Tod um und verharrten nicht darin, so ihre Erfahrung. „Wenn man sich den Tod bildlich als eine Pfütze vorstellt, hieße das für Kinder: in die Pfütze rein, aus der Pfütze raus“, erklärt die 55-Jährige. Eben hat man in der Trauerrunde noch über das Sterben geredet, kurz darauf heißt es: „Los, wir gehen Fußball spielen!“
Ihre Trauerbegleitung sieht die gelernte Hotelkauffrau als „Mitarbeit an der Zukunft“ derjenigen, die in einem „sehr beschädigten Zustand“ zu ihr kommen. Die Mitarbeit ist oft ganz praktischer Natur: „Ich helfe dem anderen, selbst herauszufinden, was ihm gut tut“, so Gehlofen. „Das kann für den einen eine Tasse Tee sein, und für den anderen darin bestehen, sich die Decke über den Kopf zu ziehen.“ Es ginge darum, das Leben, das neben der Trauer bestehe, möglichst gut zu meistern. „Du brauchst jemanden, der dir zeigt: Es ist zu schaffen“, betont Gehlofen.
Dass man als Hospizhelfer immer wieder an die eigenen Grenzen gerät, hat Gehlofen des öfteren erlebt. Etwa, als sie einen Sterbenden begleiten sollte, der äußerlich extrem ihrem Mann ähnelte. „Anfangs dachte ich, ich müsse alles super lösen können“, sagt sie. Doch manchmal kann ein Schicksal auch zu nahe gehen, so dass man den Fall abgeben muss. „Ich habe mich häufiger zurückgezogen“, so Gehlofen.
„Ich habe schließlich nie eine schöne Geschichte hier – Kinderhospizarbeit schließt nun mal aus, dass man sagt: toll!“ Dennoch räumt sie ihrem Ehrenamt einen hohen Stellenwert im eigenen Leben ein: „So widersinnig sich das anhört: Die Hospizarbeit hat mir viel Erfüllung und Freude gebracht“, sagt Gehlofen. „Die Arbeit ergibt Sinn und zeigt mir außerdem sehr genau, auf welchem Niveau ich manchmal herummäkele.“
Buddeln und beten
Halt findet Gehlofen in der Spiritualität, aus ihrem Glauben zieht sie Kraft für die Hospizarbeit. „Ich gebe dort alles ab, was ich nicht verstehe.“ Ihr Lieblingsort, um sich zurückzuziehen, ist das Käppele – und ihr Garten: „Ich buddle“, sagt Gehlofen trocken und lacht: „Ich kann ja nicht nur mit Engeln reden!“ Für einen gelasseneren Umgang mit dem eigenen Tod sorge die Hospizarbeit bei ihr nicht: „Ich habe große Angst davor, irgendwann nicht mehr beweglich zu sein“, so Gehlofen.
Trotz ihrer Erfahrung sei sie vor jeder neuen Begleitung aufgeregt und angespannt. Was braucht mein Gegenüber? Das gelte es immer wieder aufs Neue herauszufinden. „Das Wichtigste in einer solchen Situation ist, sich zu trauen, sich auf sie einzulassen.“ Und: „Ich möchte, dass mir die Aufregung erhalten bleibt“, sagt Gehlofen entschieden. „Denn jeder Mensch ist besonders.“
Der „Weiße Engel“ ist eine Auszeichnung des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und wird an höchstens 70 Personen im Jahr vergeben – für langjähriges und regelmäßiges ehrenamtliches Engagement im Bereich der Pflege. In Unterfranken wurden 2017 zehn Personen geehrt, darunter vier aus Würzburg Stadt und Landkreis: Neben Brigitte Gehlofen waren das Brigitte Klee, Gertrud Bausewein und Hartmut Schmitt. Wer einen „Weißen Engel“ vorschlagen möchte, kann sich an seine Gemeindeverwaltung wenden, die den Namen an die Regierung von Unterfranken weitergibt.
Kinderhospizarbeit
Der Malteser Hilfsdienst engagiert sich (neben anderen Hilfsorganisationen) auch in der Kinderhospizarbeit. Gegründet wurde das Angebot 2003 – unter anderem durch Brigitte Gehlofen. Die Aufgaben: Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit einer lebenslimitierenden Erkrankung bzw. deren Familien; Begleitung von trauernden Kindern und Jugendlichen, einzeln oder in Trauergruppen; Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit erkrankten Eltern; Begleitung von Familien, die ein Kind vor, während oder kurz nach der Geburt verloren haben; Öffentlichkeitsarbeit im Bereich „Hospiz und Schule“. Das Angebot des Malteser Kinder- und Jugendhospizdienstes wird überwiegend ehrenamtlich erbracht und ist kostenfrei. Aktuell sind 23 Ehrenamtliche in Unterfranken in diesem Bereich im Einsatz und stehen mit 30 Familien in Kontakt (Stand: 2016). Helfer sind im Bereich der Kinder- und Jugendhospizarbeit ausgebildet und erhalten regelmäßige Supervision und Fortbildungen. Weitere Infos (für Betroffene oder künftige ehrenamtliche Helfer): Malteser Hilfsdienst e.V., Kinderhospizarbeit, Georg Bischof,
Tel. (0931) 4 505 225 oder Georg.bischof@malteser.org; www.malteser-unterfranken.de/kinder-und-jugendhospizdienst.html