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Würzburg
Spielzeit im Schnelldurchlauf: Was man schon jetzt über die neue Saison am Mainfranken Theater Würzburg sagen kann
Mit einem knackigen "Auftakt" gewährte das Theater in der Blauen Halle Einblicke in kommende Produktionen - und deren Verbindung zum Spielzeitmotto "Vom Gehen in die Fremde".
Vero Miller wird die Titelrolle in George Bizets Opernhit 'Carmen' singen.
Foto: Daniel Peter | Vero Miller wird die Titelrolle in George Bizets Opernhit "Carmen" singen.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 29.09.2024 02:29 Uhr

Migration hat viele Aspekte. Viele Gesichter, Geschichten und Schicksale, auch wenn die gegenwärtige politische Situation in Deutschland nur eine extrem einseitige Diskussion zu erlauben scheint. Viele der anderen Geschichten wird das Programm der kommenden Spielzeit am Würzburger Mainfranken Theater erzählen, die diesmal unter dem Motto "Vom Gehen in die Fremde" steht.

Der Soldat Don José, der desertiert, um mit Carmen und den Schmugglern in die Berge zu ziehen. Maria Stuart, Königin von Schottland, die vor dem Bürgerkrieg nach England flieht und dort in einen tödlichen Konflikt mit Königin Elisabeth gerät. Medea, die aus Liebe zu Jason ihre Familie und ihr Land verrät, selbst verraten wird und schließlich in Athen um Asyl bitten muss. Oder die Pianistin und Sängerin Nina Simone (1933-2003), die ihr Leben aus Liebe zu Johann Sebastian Bach der Musik weihte, als schwarze Künstlerin aber im damaligen Klassikbetrieb keine Chance hatte, und deshalb Bach gewissermaßen in den Jazz migrieren ließ. 

'Theater ist kein Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Fehlentwicklungen', so Intendant und Moderator Markus Trabusch. Es sei wohl aber der Ort, an dem gemeinsam nachgedacht und diskutiert werden könne.
Foto: Daniel Peter | "Theater ist kein Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Fehlentwicklungen", so Intendant und Moderator Markus Trabusch. Es sei wohl aber der Ort, an dem gemeinsam nachgedacht und diskutiert werden könne.

Zum zweiten Mal nach der dreijährigen Corona-Zwangspause gab das Theater am Sonntag mit dem bunten Abend "Auftakt" in der Blauen Halle Kostproben kommender Produktionen. Migration sei immer schon ein Thema gewesen, so Intendant Markus Trabusch, der den Abend moderierte. In einer Zeit, in der immer häufiger die Demokratie infrage gestellt werde, in der eine "offen verfassungsfeindliche Partei" viele Stimmen gewinne, seien Migration und damit auch das Spielzeitmotto zu "gesellschaftlichem Sprengstoff" geworden.

Auf dem Theater können Themen in ihrer Komplexität durchgespielt werden

Im Gegensatz zur Politik könne auf dem Theater aber das Thema in seiner Komplexität durchgespielt werden. "Theater ist kein Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Fehlentwicklungen", so Trabusch. Es sei wohl aber der Ort, an dem gemeinsam nachgedacht und diskutiert werden könne.

Dass dies in der Spielzeit 2024/25 eher nicht trocken und belehrend stattfinden wird, zeigten schon der Einstieg des Philharmonischen Orchesters unter der Leitung des scheidenden Generalmusikdirektors Enrico Calesso mit einer schmissigen "Carmen"-Ouvertüre (ab 1. Juni) und Mezzosopranistin Vero Miller in der Titelrolle mit einer Habanera, die sängerisch wie spielerisch allerhöchste Erwartungen weckte.

Wem kann Elisabeth noch trauen? Eva-Lina Wenners und Hannes Berg in 'Maria Stuart'.
Foto: Daniel Peter | Wem kann Elisabeth noch trauen? Eva-Lina Wenners und Hannes Berg in "Maria Stuart".

Spannend dürfte auch das eigentümliche Nebeneinander von extrem dramatischer, ja blutiger Handlung und den klassischen Klängen in der Oper "Medea" (ab 6. Oktober) von Luigi Cherubini (1760-1842) werden. Brad Cooper als Jason stellte mit sehr präsentem Bariton jedenfalls eine echte Bereicherung des gängigen Opernrepertoires in Aussicht.

Höchst beklemmend die Atmosphäre im Ausschnitt zu Schillers "Maria Stuart", das in der Regie von Trabusch am 28. September Premiere feiert: Königin Elisabeth (Eva-Lina Wenners) findet sich mit Burley (Tom Klenk) und Leicester (Hannes Berg) zwischen Vertrauten wieder, deren tödliche Konkurrenz auch sie das Leben kosten könnte. Hier kristallisiert sich Migration zur Frage, welche der beiden Königinnen ihr Bleiberecht im Leben behaupten kann.

Bei Elfriede Jelinek verschwimmen die Grenzen von Zeit, Raum und vor allem die zwischen Leben und Tod. Im Bild Laura Storz und Nina Mohr.
Foto: Daniel Peter | Bei Elfriede Jelinek verschwimmen die Grenzen von Zeit, Raum und vor allem die zwischen Leben und Tod. Im Bild Laura Storz und Nina Mohr.

Wenn man so will, knüpft Elfriede Jelineks "In den Alpen" (ab 2. Oktober) hier an. Das Stück befasst sich mit dem katastrophalen Brand der Gletscherbahn Kaprun, bei dem am 11. November 2000 155 Menschen starben. Nils Bannert, Nina Mohr und Laura Storz deuteten an, wie bei Jelinek die Grenzen von Zeit, Raum und vor allem die zwischen Leben und Tod verschwimmen.

Nicht immer bringen Ortswechsel auch inhaltliche Wechsel

Bachs C-Dur-Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier ist eine Rundreise durch die Tonarten. In ihrem Solo zeigte Tänzerin Matisse Maitland fast pantomimisch, wie der Wechsel von Tonarten körperliche Zustände verändern kann. "Classic Soul", heißt das Tanzstück dazu (ab 2. November). Ein Ausschnitt mit der ganzen Compagnie ließ ahnen, dass Ballettchefin Dominique Dumais für die jazzigen Stücke von Nina Simone eine eigenständige Bewegungssprache gefunden hat, die geschickt mit stilisierten Elementen des amerikanischen Showtanzes der goldenen Jahre Hollywoods spielt.

Was Johann Sebastian Bach und Nina Simone verbindet: Szenenbild aus dem Tanzstück 'Classic Soul'.
Foto: Daniel Peter | Was Johann Sebastian Bach und Nina Simone verbindet: Szenenbild aus dem Tanzstück "Classic Soul".

Einen Hauch Hollywood steuerte auch Mathew Habib mit dem Song "Ich geh' so gern spazieren" aus Paul Abrahams Operette "Märchen im Grand Hotel" von 1934 bei (ab 30. November) - wobei die Assoziation Hollywood in diesem Fall leider nicht auf eine weitere europäisch-amerikanische Erfolgsgeschichte hinweist, sondern auf die tragische Migrationsgeschichte Paul Abrahams.

Neben einem humorvollen Werbeblock mit Ulrich Konrad, dem Vorsitzenden des Theater- und Orchesterfördervereins, für die Aktion "Wir schenken dem Theater 'ne Million" ergänzten Interviews mit der Kanadierin Dumais und dem Italiener Calesso das Spielzeitmotto um weitere Aspekte. Wobei der Dirigent, gefragt nach seinem neuen Wirkungsort, dem Teatro Verdi in Triest, klarmachte, dass Ortswechsel mitunter keine inhaltlichen Wechsel bringen: "Man sagt ja, dass Theater Irrenhäuser sind. Das gilt auch für mein neues Haus."

 
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