
Das Tanzstück "Eros" am Mainfranken Theater Würzburg, gespielt in der Blauen Halle, verspricht, nach "Chaplin" der nächste große gemeinsame Bühnenerfolg von Ballettchefin Dominique Dumais und Generalmusikdirektor Enrico Calesso zu werden. Im Interview geben die beiden Einblicke in ihre Arbeit und warum sie nach langem Zögern doch einen reichlich strapazierten Welthit ins Programm genommen haben.
Dominique Dumais: Ehrlich gesagt, beschäftigt mich diese Frage immer in meiner Arbeit. Auf der großen Bühne geht es immer mehr um Symbolik als um Details persönlicher Verbindungen. Die roten Vorhänge sind solche Symbole. Trotzdem ist es möglich, Intimität herzustellen. Wir haben das erreicht, indem wir in gemeinsamer Arbeit versucht haben, jede Bewegung ganz tief aus dem Inneren des Körpers kommen zu lassen. Vom Schlag des Herzens her oder der Weitung der Lunge. Und diese Bewegung dann bis in die Fingerspitzen zu fühlen. Außerdem drückt der gezielte, hörbare Einsatz des Atems Intimität und Ekstase aus. In gewisser Weise ist das überraschte Einatmen auch das Auftreffen des Pfeils von Eros.
Enrico Calesso: Ich glaube schon, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Musik als vielleicht einzige abstrakte Kunst kann alle Dinge der Welt darstellen. Ein wichtiges Prinzip ist zum Beispiel Spannung und Entspannung. Aber es geht noch weiter: Wagner hat im "Tristan" Halbtöne geschrieben, die sich in jede Richtung auflösen können - also sinnliche Spannung und unstillbare Sehnsucht erzeugen. Bei Debussy wiederum gibt es diese riesige Farbenvielfalt. Aber warum viele Klänge so unglaubliche Wirkung entfalten, wird man wahrscheinlich nie endgültig erklären können. Grundsätzlich steht unsere erotische Sehnsucht für eine viel ursprünglichere Sehnsucht - nach uns selbst, nach der Wahrheit, nach Schönheit. Und das stellt die Musik dar.

Calesso: Ja, natürlich. Man spielt weniger plakativ, versucht, der Intimität auf der Bühne gerecht zu werden. Die "Pavane" habe ich nicht so langsam genommen wie sonst, damit es eben kein Trauermarsch ist. Auch bei Ravels "Boléro" versuche ich, die Halle im Sinne der Choreografie zu nutzen. Dass etwa der Grundrhythmus so lange nicht im Vordergrund ist, bis er zum Schluss mit dem großen Finale dann beherrschend wird.
Dumais: Es war ein langer Weg dahin. Unsere Ballettdramaturgin Sonja Wilhelm war richtig schockiert, als ich sagte, dass ich das Stück verwenden wollte. Weil ich zwei Monate vorher gesagt hatte, dass das niemals passieren würde, weil es komplett abgenutzt sei. Außerdem fand ich, dass es schon genügend gute Umsetzungen gab. Aber dann wurde mir bewusst, dass der "Boléro" fast so etwas wie eine weltweite Hymne ist. Er ist das meistgespielte Stück klassischer Musik überhaupt. Es läuft alle 15 Minuten irgendwo, und da es 15 Minuten dauert, erklingt es weltweit sozusagen in Dauerschleife. Und die Leidenschaft und Sinnlichkeit der Musik sind natürlich prädestiniert für das Thema des Abends. Ich wollte ausdrücken, dass Leben bedeutet, eine Verbindung einzugehen, mit allem, was lebendig ist. Und der "Boléro" kam mir wie eine Feier genau dieser Verbindung vor. Das brauchen wir in diesen Zeiten. Also musste ich mein künstlerisches Ego beiseite lassen. Die Company hatte dann sehr viel Freude daran, mit diesem Stück zu arbeiten.
Calesso: Dieses Mal war es sehr schwer. Es ist alles so schwebend, so frei. Aber die Tänzer sind fantastisch, auch in der Art, wie sie sich an uns anpassen. Wir müssen ja immer innerlich vorausschauend schon mit einer Energie arbeiten, die auf der Bühne erst noch entstehen wird. Außerdem haben wir in der Halle akustische Probleme: Holzbläser und Schlagzeuger zum Beispiel sind 20 Meter voneinander entfernt und sollen genau zusammen sein. Die hören einander aber zu spät. Es ist wahnsinnig kompliziert, das zu kontrollieren. Aber sobald man anfängt, den Rhythmus starr zu kontrollieren, ist das Stück kaputt. Man muss also eine Geste finden, die den Rhythmus beibehält, ihn aber nicht verkrampft. Es ist Vertrauenssache: Alle überholen mit 150 bei dichtem Regen einen Lkw, aber die Autobahn ist eben da.
Dumais: Ich habe immer wieder erlebt, dass Dirigenten uns gerne ignorieren und ihr Ding durchziehen. Aber Enrico kriegt es irgendwie hin, das Orchester bei sich zu haben, und trotzdem bei uns zu sein, wenn es ein Problem gibt.

Dumais: Es ist tatsächlich eine Menge Komik in dem Stück. Ich denke, wir sind komisch, wenn wir begehren, wenn wir sexuell getrieben sind. Was wir alles auf uns nehmen, damit etwas passiert. Da gibt es auch einen animalischen Aspekt, den wir erkunden. Besonders die Tänzerinnen, die diese Momente haben, sind komisch, ohne es zu wissen. Und dann kommt eben der Faun aus Debussys "Prélude à l'après-midi d'un faune" ins Spiel, mit den Hufen und dieser speziellen Art, den Kopf zu neigen.
Dumais: Ich weiß nie, wie das Publikum reagieren wird. Ich lerne meine eigene Arbeit immer erst kennen, wenn da ein Publikum ist. Meine Arbeit hat viel mit Instinkt zu tun, mit Versuch und Irrtum. Meine einzigen Parameter sind mein Können, mein Bauchgefühl und eben die Leidenschaft und Nähe, mit der wir alle zusammenarbeiten.
Die nächsten Vorstellungen: 5., 9., 30. Juni, 26. Juli. Karten: Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de