Es ist wieder Sommer, die Sonne scheint, die Menschen zieht es nach draußen – und die Corona-Zahlen sinken. Wie 2020. Ist das Zufall? Nein, sagt der Würzburger Virologe Prof. Lars Dölken. "Im Sommer steckt eine mit Corona infizierte Person erheblich weniger andere Menschen an als im Winter – aufgrund von vielen Faktoren." Was aber heißt das für den Verlauf der Pandemie? Im Interview erklärt der Inhaber des Lehrstuhls für Virologie und Chef der Virusdiagnostik an der Universität Würzburg die Wetterfühligkeit von Viren und die Vorteile von Public Viewing. Und sagt, was passiert, wenn es wieder kühler wird.
Prof. Lars Dölken: Wir wissen vom vergangenen Jahr, dass sich Sars-CoV-2 bei uns in Deutschland im Sommer erheblich schwerer tut als im Winter. Das liegt vor allem daran, dass sich im Sommer mehr Menschen draußen aufhalten als drinnen. Aber es gibt noch andere Gründe, die wissenschaftlich schwer zu untersuchen sind.
Dölken: Faktoren wie UV-Licht, die Luftfeuchtigkeit oder sogar der Vitamin-D-Spiegel beim Menschen können einen Einfluss haben. Zu einem ganz großen Teil hängt die Saisonalität aber sicher von unserem Verhalten ab. Ein zentraler Punkt ist dabei wie gesagt die Zeit, die Menschen gemeinsam in Innenräumen verbringen – und die ist im Sommer schlicht viel kürzer.
Dölken: Das ist sicher auch ein Faktor. Man hat beispielsweise bei Ausbrüchen in der fleischverarbeitenden Industrie gesehen, dass sich Coronaviren in kühlen Innenräumen länger halten und somit leichter ausbreiten. Aktuell herrschen in vielen Wohnungen wahrscheinlich an die 30 Grad – das erschwert es dem Virus. Am Wichtigsten ist dabei aber wohl, dass jetzt aufgrund der Hitze mehr gelüftet wird. Trotzdem ist es nicht so, dass Sars-CoV-2 im Sommer gar nicht übertragen wird, es wird nur weniger.
Dölken: Ja, absolut. Dabei ist aber unwichtig ob es 30, 40 oder 50 Prozent weniger sind. Entscheidend ist: Im Sommer steckt eine mit Corona infizierte Person bei uns in Deutschland erheblich weniger andere Menschen an als im Winter – aufgrund von vielen Faktoren.
Dölken: Ja. Anders formuliert könnte man sagen: Wenn ich draußen bin, spielt es keine Rolle, ob Winter oder Sommer ist. Deshalb fand ich es persönlich sehr schade, dass die gesamte Außengastronomie im letzten Winter zugemacht wurde. Diesen Fehler sollten wir kommenden Herbst vermeiden. Es gilt die klare Botschaft: draußen hui, drinnen pfui!
Dölken: Wenn man ein bisschen vernünftig Abstand hält, treten draußen keine Infektionen auf. Die Restaurants haben sich darauf eingerichtet. Daher machen mir auch Fußballspiele mit Zehntausenden von Zuschauern in den Stadien aktuell keine großen Sorgen. Viel schlimmer sind die Millionen von Menschen, die jetzt gemeinsam mit anderen in ihren Wohnungen drinnen Fußball schauen. Wir sollten eher mehr Möglichkeiten für Public Viewing draußen schaffen. Unabhängig davon sollten wir uns freuen, dass jetzt im Sommer die Zahlen sinken und die Zeit nutzen, um uns vorzubereiten. Denn Corona wird im Herbst wiederkommen.
Dölken: Ja. Generell zeigen alle Coronaviren diese starke Abhängigkeit von der Jahreszeit. Daher wissen wir auch ganz genau, wann die Infektionszahlen bei Sars-CoV-2 wieder steigen werden: spätestens ab Mitte September. Die Corona-Saison dauert dann wohl grob bis Ende April. Allerdings werden bei Coronaviren die höchsten Zahlen um Weihnachten und Neujahr erreicht – die Grippewelle erreicht ihr Maximum meist ein, zwei Monate später.
Dölken: Ein Lockdown ist für das Virus eine brutale Maßnahme, durch Kontaktbeschränkungen verliert es seine Wirte. Das kann man nicht direkt mit Faktoren wie dem Wetter vergleichen. Beides ist wirksam und die Kombination natürlich am wirksamsten.
Dölken: Die indische Variante ist aktuell schon da, sie wird auch bei uns in etwa vier Wochen dominant sein. Sie ist mindestens doppelt so infektiös wie das Virus, dass wir im letzten Herbst hatten. Ohne Kontaktbeschränkungen würde ein mit ihr Infizierter im Durchschnitt sechs statt drei Menschen anstecken. Um nicht in die gleiche Situation wie im vergangenen Winter zu geraten, müssen wir deshalb deutlich mehr Menschen impfen, am besten über 90 Prozent der Erwachsenen.
Dölken: Wichtig wird sein, dass die Impfungen schnell weiter voranschreiten und die Menschen nicht denken, die Pandemie wäre vorbei. Ich gehe davon aus, dass sich bei mehr Lockerungen über den Winter bei uns 50 bis 60 Prozent aller ungeimpften Personen mit Corona anstecken werden. Daher wird entscheidend sein, wie viele Menschen noch ungeimpft sind. Davon wird auch abhängen, wie schnell die Zahlen im Herbst wieder steigen. Ziel muss sein, die Ausbreitung möglichst langsam anlaufen zu lassen.
Dölken: Nein. Wir müssen nur erreichen, dass die gesamte Bevölkerung einen guten immunologischen Schutz gegen Corona besitzt. Das dauert in der Regel drei bis fünf Jahre bei einer Pandemie. Wir kommen im Herbst in die dritte Saison. Zuversichtlich stimmt mich dabei, dass die zugelassenen Impfstoffe alle sehr gut auch vor den Mutanten schützen. Vermutlich braucht jeder von uns aber mindestens noch eine Auffrischimpfung nach sechs bis zwölf Monaten. Danach wird man wohl nur alle paar Jahre nachimpfen müssen – bei Älteren häufiger, bei Jüngeren seltener. Sicher ist aber: Das Virus wird nicht mehr verschwinden. Man kann davon ausgehen, dass es in den nächsten fünf Jahren bei jedem Einzelnen von uns auf den Schleimhäuten landet. Und dann hat jeder die Wahl – entweder mit oder ohne vorherige Impfung.