Armzug, atmen, Beinschlag. Dann wieder ein Armzug. Maryam Shishehgar und Mohsen Hossein Pour sind sichtlich bemüht, sich durchs Becken zu bewegen. Sie scheinen beinahe gegen das Wasser zu kämpfen. Ihre Schwimmbewegungen wirken an mancher Stelle noch ungelenk. Ab und zu schwappt ihnen Wasser ins Gesicht. Denn was andere im Kindesalter lernen, ist für das Ehepaar immer noch neu. "Ich denke zu viel nach, das macht es schwierig", sagt Shishehgar. Doch unterkriegen lässt sich die 40-Jährige davon nicht.
Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem 15-jährigen Sohn Arad besucht sie regelmäßig einen Schwimmkurs von Renate Schmalzl, einer der Leiterinnen der Schwimmabteilung des Turnvereins Ochsenfurt (TVO).
Renate Schmalzl gibt Kurs für erwachsene Schwimmanfänger
"Fußspitzen anziehen", ruft Schmalzl in Richtung von Mohsen Hossein Pour. In Shorts und T-Shirt steht sie am Beckenrand und gibt Anweisungen und Hilfestellungen. Die Schwimmtrainerin ist noch nicht ganz zufrieden mit der Beinarbeit des Familienvaters. "Alle wissen, was sie machen sollen, aber es ist schwer, Routine hineinzukriegen", sagt sie. Schließlich gelte es, auf vieles gleichzeitig zu achten.
Es ist die siebte Übungseinheit für die Familie. Weil der Vater im Schichtdienst arbeitet, können sie nur jede zweite Woche ins Ochsenfurter Hallenbad kommen. Statt mit einer Gruppe Fünf- und Sechsjähriger übt Schmalzl dort zurzeit jeden Donnerstag mit erwachsenen Anfängerinnen und Anfängern. Neben der Familie sind vor allem Azubis aus Nepal mit dabei – alle um die 20 Jahre alt –, die in hiesigen Betrieben eine Ausbildung machen. Am Ende sollen sie eine ganze Bahn alleine schaffen.
Auch an diesem Donnerstag herrscht Trubel im für den Kurs abgegrenzten Teil des Beckens. Einige üben mit Schwimmnudeln, anderen tauchen nach Ringen oder springen von den Startblöcken ins Becken. Ein striktes Trainingsprogramm gebe es nicht, die Fortschritte seien sehr unterschiedlich, sagt Schmalzl und legt Maryam Shishehgar einen Schwimmgurt an.
Neben technischen Ratschlägen sehe sie ihre Aufgabe vor allem darin, Mut zu machen. "Erwachsene tun sich einfach schwerer", sagt die Schwimmlehrerin. "Es ist wichtig, sie zu bestärken, damit sie sich trauen." Denn viele seien ängstlicher als im Kindesalter.
Shishehgar hatte als Kind nie die Möglichkeit, schwimmen zu lernen
Diese Einschätzung bestätigen auch die Erfahrungen von Maryam Shishehgar und Mohsen Hossein Pour. Leicht falle ihr das Schwimmen nicht, gibt Shishehgar zu. "Ich hatte am Anfang einfach Angst vor dem Wasser", sagt die 40-Jährige, die mit ihrer Familie vor viereinhalb Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen ist und nun in Gerbrunn lebt. Sie habe als Kind nie die Möglichkeit bekommen, schwimmen zu lernen. "Für Frauen war das auch nicht so wichtig", erklärt sie. Aber auch ihr Mann sei kein guter Schwimmer. Ihr Sohn Arad tue sich da wesentlich leichter.
Ins Ochsenfurter Hallenbad hat sie Arads Wunsch nach einem neuen Hobby geführt. "Ich wollte gerne rudern", sagt der 15-Jährige. "Aber dafür konnte ich nicht gut genug schwimmen." Deshalb hätten sie kurzerhand beschlossen, alle zusammen an einem Schwimmkurs teilzunehmen, berichtet seine Mutter.
Schon jetzt hätten sie Freude am Schwimmen gefunden. "Es entspannt mich", sagt Mohsen Hossein Pour. "Am wichtigsten ist, dass wir alle zusammen Spaß haben können", findet seine Frau.
Er und seine Frau sind mit Abstand die Ältesten im Schwimmkurs von Renate Schmalzl. Ein Problem sei das für sie aber nicht, sagt Shishehgar. "Beim Üben spielt das eigentlich keine Rolle." Schließlich hätten sie alle mit denselben Herausforderungen zu kämpfen. "Mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, wie sich alle umeinander kümmern", sagt Renate Schmalzl und blickt zu Maryam Shishehgar hinüber, die gerade mit der Nepalesin Pooja Baral in unteren Bereich des Beckens übt.
Auch nach dem Kurs ist es für die Anfänger wichtig, weiterzuüben
Eine Seltenheit ist es nicht, dass auch Jugendliche und Erwachsene sich nicht sicher im Wasser bewegen können. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) geht davon aus, dass in Deutschland nur sechzig Prozent der Kinder am Ende der Grundschulzeit sichere Schwimmer sind. Das Problem: Wer es in der Kindheit nicht lernt, der lerne es auch später nur noch selten.
Angebote für erwachsene Nichtschwimmer gebe es beim TVO immer wieder, sagt Schmalzl. In der Vergangenheit habe sie bereits mehrmals Geflüchteten, aber auch Menschen aus Ochsenfurt und Umgebung die ersten Schwimmzüge beigebracht. "Wenn vier Leute zusammenkommen, dann kann ein Kurs stattfinden."
Offiziell ist Schmalzls aktueller Kurs nach insgesamt acht Wochen nun vorbei. "Aber ich sehe, mit wieviel Spaß und Engagement alle hier dabei sind", sagt sie. Deshalb wolle sie den Kurs unentgeltlich noch bis Ostern fortführen.
Schluss ist danach für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aber noch nicht. "Es ist natürlich wichtig, dranzubleiben", betont sie. Die DLRG etwa rechnet mit mindestens 30 Unterrichtseinheiten, bis ein Kind sicher schwimmen kann. Bei Erwachsene dauere es tendenziell länger.
Sie hätten deshalb schon Pläne für die Zeit nach dem Kurs, sagt Maryam Shishehgar. "Dann wollen wir im Schwimmbad in Gerbrunn weiterüben." Ihr Ziel: irgendwann einmal gemeinsam mit ihrer Familie unbeschwert im Fluss oder Badesee planschen können.