Die Ankündigung von Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) fiel am ersten Schultag so überraschend wie beiläufig. Auf Nachfrage erklärte er bei einer Pressekonferenz, dass schwangere Lehrerinnen demnächst wieder vor der Klasse stehen dürfen – wenn sie selbst das wollen und nach Rücksprache mit Ärzten und Schulleitung.
Noch gilt für sie ein Betretungsverbot, Hintergrund sind Mutterschutz und besondere Vorsicht wegen der höheren Corona-Ansteckungsgefahr in den Schulen. In Unterfranken sind davon aktuell rund 100 Schwangere an Grund-/Mittel- und Förderschulen betroffen. Für die Gymnasien und Realschulen wird die Zahl auf knapp 200 geschätzt. Der Vorstoß des Ministers wirft Fragen auf.
Dürfen schwangere Lehrerinnen ab sofort wieder unterrichten?
Nein. Umsetzung und Abstimmung zwischen den Ministerien werden voraussichtlich mehrere Wochen dauern. Zum 4. Oktober werde die Allgemeinverfügung des Kultusministeriums mit dem pauschalen Betretungsverbot für Schwangere widerrufen, heißt es aus dem Arbeits- und Sozialministerium. Erst danach kann die im Kabinett beschlossene Lockerung greifen. Der Regierung von Unterfranken – zuständig für alle Lehrkräfte an Grund-, Mittel- und Förderschulen – liegen noch keine konkreten Hinweise für die Änderung vor.
Gilt die Öffnung dann automatisch für alle schwangeren Lehrerinnen?
Nein. In allen Branchen muss der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht eine "individuelle Gefährdungsbeurteilung" vornehmen. Das heißt: Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Schwangere bei ihrer Arbeit einem höheren Infektionsrisiko als die Allgemeinbevölkerung ausgesetzt ist. Etwa dann, wenn ein Mindestabstand nicht einzuhalten ist oder die Betreffende beruflich eine Vielzahl verschiedener Kontakte hat. Falls ja, so fordern es Mutter- und Arbeitsschutzgesetz, ist ein Betretungs- oder Beschäftigungsverbot auszusprechen.
Ändern sich der allgemeine Infektionsschutz (zum Beispiel Lockerungen), die Arbeitsbedingungen, oder gibt es neue Erkenntnisse zum Coronavirus – dann sind Beschäftigungsverbote immer wieder zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben. Dies geht aus Informationen des bayerischen Familien-, Sozial- und Arbeitsministeriums hervor.
Was ist der Unterschied zwischen einem Betretungs- und einem Beschäftigungsverbot?
Bei einem Beschäftigungsverbot ist die gewohnte berufliche Tätigkeit einzustellen. Dies gilt in der Regel dann, wenn kein besser geschützter Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Bei schwangeren Lehrerinnen geht es um Betretungsverbote für die Schulhäuser, weil dort ein höheres Infektionsrisiko anzunehmen ist. Die Betreffenden müssen aber weiterhin von zuhause aus arbeiten, soweit dies sinnvoll und möglich ist – etwa bei Korrekturen, dem Erstellen von Unterrichtsmaterialien oder bei der Anleitung von so genannten Teamlehrkräften, die an ihrer Stelle vor der Klasse stehen.
Ist der Einsatz von Schwangeren im Unterricht medizinisch-virologisch zu verantworten?
Hier hat sich die Lage in zweieinhalb Jahren Pandemie verändert. Nach Einschätzung von Prof. Lars Dölken, Chef-Virologe an der Uni Würzburg, war das Betretungsverbot für Schwangere vor einem Jahr noch begründet. Damals verursachte die Delta-Variante schwere Krankheitsverläufe, Schwangere waren großteils noch nicht geimpft. "Jetzt aber, nach zwei Omikron-Wellen, vielen Infektionen auch unter Schwangeren sowie einer hohen Impfquote, ist ein generelles Betretungsverbot nicht mehr sinnvoll."
Dölken unterstützt die Neuregelung. In Einzelfällen könne es noch gute gesundheitliche Gründe geben, Vorsicht walten zu lassen und die Beschäftigung auszusetzen. Entwarnung gibt er mit Blick auf das ungeborene Kind: Es gebe bis dato keine klinischen Hinweise, dass ein Fötus durch eine symptomlose Infektion oder leichte Corona-Erkrankung der Mutter zu Schaden gekommen wäre. "Sie müssen sich hier keine Sorgen um ihr Kind machen", so der Virologe.
Betreffen Betretungs- oder Beschäftigungsverbot auch andere Branchen?
Ja. Ein Beschäftigungsverbot gilt nach dem Mutterschutzgesetz generell für alle Schwangeren spätestens sechs Wochen vor dem Entbindungstermin. Schon vor Corona konnten in Kindergärten, Pflegeberufen oder Kliniken betriebliche Beschäftigungsverbote bei Bekanntwerden einer Schwangerschaft ausgesprochen werden, um mögliche Ansteckungen und eine Gefährdung des Ungeborenen zu vermeiden. Eine einheitliche Praxis gab es dabei nicht.
Mit Blick auf Corona mahnt das bayerische Arbeitsministerium zu einer "sorgfältigen Prüfung" von Beschäftigungsverboten und eher zu einer Beibehaltung, "solange die Pandemie nicht abgeklungen ist" – und zwar für folgende Arbeitsplätze: Verkauf mit Kundenkontakt (Beispiel Einzelhandel), körpernahe Dienstleistungen (Beispiel Friseur- und Kosmetiksalons), Servicebereich der Gastronomie, vorschulische Kinderbetreuung, Präsenzunterricht an Schulen und Hochschulen, Pflege von Menschen sowie im Gesundheitsdienst (Beispiel patientennahe Tätigkeiten in Krankenhäusern, Arztpraxen und Physiotherapie, jeweils einschließlich Empfangsbereich).
Darf die Entscheidung eigentlich den schwangeren Lehrerinnen überlassen werden?
Ob eine Weiterbeschäftigung sozusagen "auf eigene Gefahr" überhaupt möglich ist, das werden nun Juristen in den Ministerien klären. Grundsätzlich liegen Verantwortung und Fürsorgepflicht beim Arbeitgeber. Generell, darauf hat der Kultusminister hingewiesen, müsse die jeweilige Situation mit einem Arzt bzw. einer Ärztin abgesprochen werden.
Lehrerverbände sehen einen freiwilligen Einsatz kritisch: Der psychologische Druck auf Schwangere könnte angesichts der Personalnot in Schulen so groß sein, dass sich viele zur Weiterarbeit genötigt fühlen. Ihnen werde eine Entscheidung aufgebürdet, die eigentlich Ärzte treffen sollten.
Wie bewerten die Lehrerverbände die Lockerung für Schwangere?
Zwar hat zuletzt auch der unterfränkischen Lehrer- und Lehrerinnenverband von schwangeren Kolleginnen berichtet, die gerne weiterarbeiten möchten – oder die dafür ihre Schwangerschaft möglichst lange verschweigen. Das Gros aber, davon ist Bezirksvorsitzender Helmut Schmid überzeugt, werde sich sehr defensiv verhalten, "solange nicht zweifelsfrei geklärt ist, dass eine Covid-19-Infektion ihrem ungeborenen Kind nichts anhaben kann".
Irritiert sind die Verbände, dass der Kultusminister eine Änderung ausgerechnet am ersten Schultag vorgebracht hat. Schmid: "Wieso macht man sich diese Gedanken nicht früher? Schulen müssten im Falle eines Falles jetzt erneut umplanen."
wenn es am Ende Komplikationen mit der Schwangerschaft bzw. dem Kind gibt, ist das dann Privatsache. Der Herr Minister kann mMn bloß darauf hoffen, dass es genug Frauen mit Helfersyndrom o. ä. gibt, die das im Ernstfall in Kauf nehmen bzw. nicht darüber nachdenken...
nicht nur in den eigenen 4 Wänden?