
Nach langem Warten sind nun die ersten an Omikron angepassten Corona-Impfstoffe verfügbar. Am Freitag hat die EU-Kommission grünes Licht für die beiden Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna gegeben, die an den Subtyp BA.1 angepasst sind. Nur: Bundesweit vorherrschend ist aktuell die Virusvariante BA.5. Ein Impfstoff dafür wird frühestens in einigen Wochen erwartet. Wer also sollte sich jetzt impfen lassen – und womit? Der Würzburger Virologe Prof. Lars Dölken gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Um welche Impfstoffe geht es?
Bei den Impfstoffen handelt es sich um zwei sogenannte bivalente mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna. Bivalent bedeutet, dass zwei Komponenten berücksichtigt sind: Die Präparate enthalten also sowohl die mRNA des ursprünglichen Typs von Sars-CoV-2 als auch die der Omikron-Sublinie BA.1.
Wie gut sind die neuen Impfstoffe?
Die Studiendaten zeigen, dass die Schutzwirkung der angepassten Impfstoffe nicht nur für die Omikron-Variante BA.1 besser sei, "sondern auch für BA.5 und für das Ausgangsvirus", sagt der Würzburger Virologe Prof. Lars Dölken. Nach einer Impfung mit dem angepassten Impfstoff würden insgesamt mehr Antikörper gebildet – sowohl gegen Omikron-BA.1 und -BA.5, als auch gegen frühere Virusvarianten wie Alpha oder Delta. Das schütze besser vor einem schweren Corona-Verlauf.
Wer sollte sich jetzt mit dem an BA.1 angepassten Impfstoff impfen lassen?
Grundsätzlich empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) eine vierte Impfung für Menschen über 60 Jahren und Risikopatienten. Auch der Würzburger Experte Dölken rät: "Wenn man älter als 60 Jahre ist, sollte man vier Kontakte mit dem Coronavirus gehabt haben". Sprich drei Impfungen und eine Infektion oder vier Impfungen. Und: "Wenn man sich zum vierten Mal impfen lässt, sollte man den angepassten Impfstoff verwenden".
Eine eigene Empfehlung der Stiko speziell zu den neuen Vakzinen steht noch aus.
Was ist mit Menschen, die gerade mit Corona infiziert waren: Sollte man sich als frisch Genesener impfen lassen?
Eine pauschale Impfempfehlung für alle lehnt Dölken ab. Durch die beiden Omikron-Wellen im Frühjahr und jetzt im Sommer seien die meisten Menschen bereits ein oder sogar zwei Mal mit Corona infiziert gewesen, vor allem die jüngeren. Wer also frisch genesen und zudem doppelt geimpft sei, für den gebe es "keinen Grund, sich derzeit noch einmal impfen zu lassen".
Ist es gefährlich, sich mit einem so neu entwickelten Impfstoff impfen zu lassen?
Nein, sagt Dölken. Im Wesentlichen würden die angepassten Impfstoffe inhaltlich den ursprünglichen Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 entsprechen. Einzig in der Nukleotid-Sequenz der RNA sei "eine Handvoll der Bausteine ausgetauscht worden", um die Anpassung zu erreichen. "Die Nebenwirkungen sind identisch", so der Virologe. Nur weil die Vakzine an Omikron gepasst seien, gehe man kein höheres Risiko ein – dafür seien die eingefügten Unterschiede viel zu gering.

Wie viel Abstand sollte mindestens zwischen zwei Corona-Impfungen liegen?
Empfohlen sei generell ein Abstand von sechs Monaten zum letzten Kontakt mit dem Coronavirus, sagt Dölken. Das könne die letzte Impfung, aber auch eine Infektion sein. "Wenn man im Juni oder Juli Corona hatte, würde ich noch etwas mit der nächsten Impfung warten", so Dölken.
Wer sollte sich noch mit dem Original-Impfstoff impfen lassen?
Die Grundimmunisierung, sprich die ersten beiden Impfdosen, würden nach wie vor mit den ursprünglichen Impfstoffen durchgeführt, sagt Dölken. Die Auffrischung jedoch sollte man mit dem angepassten Impfstoff machen. "Als vierte Impfung würde ich, wenn möglich, einen angepassten Impfstoff verwenden."
Lohnt es sich, auf den an BA.5 angepassten Impfstoff zu warten? Und wenn ja, für wen?
Frühestens in einigen Wochen könnte ein weiterentwickelter Impfstoff zur Verfügung stehen, der an die derzeit zirkulierenden Omikron-Sublinien BA.4/BA.5 angepasst ist. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat solchen Präparaten von Biontech/Pfizer und Moderna bereits eine Notfallzulassung erteilt.
Darauf zu warten lohne sich aber "eher nicht", sagt Dölken. Entscheidend sei schlicht der Abstand zum letzten Viruskontakt, entweder zur letzten Impfung oder zur Infektion. Nach sechs Monaten sei eine Auffrischung für Ältere und Risikogruppen sinnvoll. Allerdings komme es beim Zeitpunkt für den Booster nicht auf vier Wochen früher oder später an. "Es gibt keine Notwendigkeit sich jetzt sofort zu impfen – aber vor Weihnachten würde ich dazu raten", so der Virologe.
Kann man sich auch zu oft impfen – oder gibt es kein zu viel?
"Das wissen wir noch nicht", sagt Dölken. Zum unbegrenzten Boostern würde er aber keinesfalls raten. "Man sollte immer nur so viel impfen, wie nötig. Entsprechendes rät auch die Stiko." Es mache "überhaupt keinen Sinn", jetzt alle 30-Jährigen zu impfen.
Wer sich unsicher fühle, könne beispielsweise zum Hausarzt gehen und seine Antikörper-Titer kontrollieren lassen. Dabei werden laut Dölken in der Regel zwei Titer kontrolliert: ein durch die Impfung induzierter, der sich gegen das Spike-Protein richte – und ein zweiter Titer gegen eines der anderen viralen Proteine von Sars-CoV-2. Daran lasse sich ablesen, ob man bereits eine Corona-Infektion und damit nach drei Impfungen eventuell bereits mindestens vier Viruskontakte hatte.
Wie wahrscheinlich ist eine ganz andere Virusvariante als Omikron im Herbst/Winter?
"Wir wissen nicht, was noch kommt", sagt Dölken. Er rechne aufgrund der Sommerwelle erst um Weihnachten mit dem nächsten größeren Anstieg der Infektionszahlen. Eine "Killervariante", vor der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Frühjahr gewarnt hatte, hält der Virologe zwar nicht für ausgeschlossen, aber für "sehr unwahrscheinlich". Denn mittlerweile seien gefährdete Gruppen wie Ältere oder Risikopatienten meist geimpft und das Coronavirus für die Immunsysteme nicht mehr unbekannt, auch wenn es sich verändere.
"Mir persönlich macht mehr Sorgen, dass wir eine heftige Influenzawelle bekommen könnten", so Dölken. In den letzten Jahren sei die Grippesaison durch die Pandemie-Beschränkungen quasi ausgefallen – damit habe die Immunität in der Bevölkerung abgenommen. Aus seiner Sicht sei daher eine Impfung gegen Influenza für Menschen über 60 Jahren "wichtiger ist als eine Viertimpfung gegen Sars-CoV-2".