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Würzburg
Samstagsbrief: Frau Staatssekretärin Stolz, glauben Sie tatsächlich, dass unsere Grundschulen den Reitsport brauchen?
Als "Sport, der Schule macht" propagiert Staatssekretärin Anna Stolz  in ausgesuchten Münchener Schulen das Reiten. Ein falsches Signal, meint unsere Autorin.
Reiten als Schulsport hält Schul-Staatssekretärin Anna Stolz (Freie Wähler) für eine Super-Idee. Hier ist sie mit Schülerinnen einer Grundschule aus der Region München zu sehen.
Foto: Alexandra Beier, STMUK | Reiten als Schulsport hält Schul-Staatssekretärin Anna Stolz (Freie Wähler) für eine Super-Idee. Hier ist sie mit Schülerinnen einer Grundschule aus der Region München zu sehen.
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:12 Uhr

Sehr geehrte Frau Stolz,

immer mehr bayerische Grundschulkinder können keinen Purzelbaum mehr schlagen, können keinen Ball mehr fangen. Auch beim Fahrradfahren und besonders beim Schwimmen haben Kinder immer öfter Defizite. Sie haben Schwimmen und Ballsport, Radfahren und Turnen einfach nicht gelernt, auch der jahrelangen Corona-Beschränkungen wegen. Diese mangelnde Bewegungsfähigkeit und das  Übergewicht bei immer mehr Kindern wäre jetzt ein Thema, das Sie als Bayerns Schul-Staatssekretärin aufgreifen könnten. Ein Thema, bei dem Sie kluge Analysen, kreative Ideen und zukunftsweisende Pläne einbringen könnten. Aber was machen Sie?

Warum präsentieren Sie als "Sport, der Schule macht" ausgerechnet das Reiten?

Sie, Frau Stolz, überreichen in diesem Sommer unter dem Motto "Ein Sport, der Schule macht" an Grundschulkinder in der Münchner Region "Starterpakete". Drin im Paket sind aber keine Bälle oder Fahrradwimpel und leider auch keine vergünstigten Schwimmkurs-Gutscheine. Drin sind Reit-Unterdecken, sogenannte Schabracken, sowie Rückenprotektoren und Arbeitshefte für Reitanfänger.

Schon vor der Pandemie mahnten Sportexperten, dass Grundschulkinder immer weniger fit seinen. Es mangele etwa an der Augen-Hand-Koordination, die man zum Bälle-Fangen braucht. 
Foto: Mascha Brichta, dpa | Schon vor der Pandemie mahnten Sportexperten, dass Grundschulkinder immer weniger fit seinen. Es mangele etwa an der Augen-Hand-Koordination, die man zum Bälle-Fangen braucht. 

Das alles gehört zu einer Initiative, die Sie, Frau Stolz, gemeinsam mit der turniererfahrenen Ministerpräsidenten-Gattin Karin Baumüller-Söder ins Leben gerufen haben. Und die Münchner Grundschulkindern das Reiten als "Sportarbeitsgemeinschaft" anbietet – vorausgesetzt, deren Eltern haben den finanziellen Spielraum, 90 Euro pro Jahr zuzuschießen und die Zeit, ihre Kinder zum Training in den kooperierenden Reithof zu kutschieren. Beim Übergabetermin des Starterpakets an Kids im gefälligen Stadtteil München-Lochhausen haben Sie gesagt: "Ich bin selbst in meiner Jugend geritten und weiß daher, was für ein wundervoller Sport das Reiten ist."

Anders als beim Reiten braucht man für Hip-Hop oder Ballsport keine teure Ausrüstung

Reitsport-Werbung aus dem Kultusministerium: Echt jetzt? Natürlich könnte man diesen Fototermin zuckersüß finden – Sie, Frau Stolz, lächelnd zusammen mit Reitanfängerinnen und auf Hochglanz gebürsteten Ponys. Aber man könnte auch die Auffassung vertreten, dass Sie als Schul-Staatssekretärin in Zeiten wie diesen mit dem Termin ein falsches Signal setzen.

Denn wenn wir schon bei Schul-Arbeitsgemeinschaften  sind: Warum propagieren Sie jetzt nicht Schul-AGs in Basketball, Hip-Hop, Breakdance oder wenigstens Brennball? Alles Bewegungsarten, die anders als der Reitsport keine teure Ausrüstung brauchen, die weniger begünstigten Eltern kein Zusatzgeld abverlangen würden, die nicht nur in Reitstallnähe ausgeübt werden könnten und die leicht in die Fläche zu bringen wären.

Dem Lehrermangel fallen sogenannte Randfächer wie Sport zuerst zum Opfer

Würden Sie, sehr geehrte Frau Stolz, jetzt einwenden, dass Sie ja nicht primär für niederschwellige Schulsport-AGs da sind, sondern – so Ihre eigenen Worte bei Amtstritt - grundsätzlich als Schulstaatssekretärin dafür stehen, "für die jungen Menschen in Bayern die bestmöglichen Voraussetzungen fürs Lernen zu schaffen",  dann würde ich dagegenhalten: "Genau! Wir sind genau beim Thema."

Natürlich ist Ihnen bewusst, dass wir in Bayern aktuell den massivsten Lehrermangel seit Generationen haben und natürlich wissen Sie auch, dass dieser Mangel besonders Grund- und Mittelschulen betrifft. Aber ist Ihnen auch präsent, welche Fächer notgedrungen in den Schulen am ehesten gestrichen werden, wenn nicht genug Lehrkräfte für zu viele Kinder da sind?

Genau, die Randfächer: Musik, Kunst und Sport. Und die nachmittäglichen Sport-, Musik- oder Tanz- AGs sowieso. Also praktisch alle Fächer, die Kinder in Bewegung bringen und ihnen Kraft geben, den ganzen Sitz-Unterricht zu überstehen. Bestmögliche Lernvoraussetzungen sind das nicht.

Angleichung der Grundschulgehälter? Nicht mit den Freien Wählern!

Natürlich sind Sie am bayerischen Lehrermangel nicht persönlich schuld. Weder die Zuwanderungswelle von 2015/16, noch die Ankunft ukrainischer Flüchtlingskinder und der daraus folgende Mehrbedarf an Lehrkräften waren absehbar. Und dass jahrzehntelang die bayerische Lehrerversorgung auf Kante genäht war, das kann man Ihnen auch nicht in die Schuhe schieben. 

Jedoch, Frau Stolz, sind Sie sowie Kultusminister Michael Piazolo  samt Ihren Mitstreitern von den Freien Wählern durchaus dafür verantwortlich, dass die Lehrerversorgung in Bayern nicht besser wird. Niemand, der bei Verstand ist, zweifelt daran, dass das Interesse am Grundschullehramt größer wäre, würde das Einstiegsgehalt der Grundschullehrer dem der Realschul-und Gymnasiallehrer endlich angeglichen. Aber während Sie und Ihre Partei vor der Landtagswahl 2019 noch vehement genau für diese Angleichung eintraten, stimmten die Freien Wähler 2021 im Landtag dagegen! Wertschätzung für die Grundschule sieht anders aus!

Mit freundlichen Grüßen,

Gisela Rauch, Redakteurin

Persönliche Post: Der "Samstagsbrief"

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  • T. H.
    Einfach eine peinliche Aktion.
    Anstatt Kindern zu zeigen, welch tolle Sportarten mit Muttis Taxi (und Geldbeutel) möglich sind, sollten Vereine in den Stadtteilen zu AGs in die Schule geholt werden. Sie haben ohnehin Probleme die Kinder nach einem 8 Stundentag noch mal aus dem Haus zu holen. Lehrermangel wäre auch durch Trainer und Sportstudenten verringert und an Schulen muss weniger ausfallen.
    Werfen, fangen, rennen, alles Basics die nicht mehr sitzen.
    Durch sinnvolle Kooperation vor Ort werden Kinder selbstständig, treten mit ziemlicher Sicherheit in die
    Vereine ein und bleiben aktiv. Sportlich und sozial. Win win für alle Beteiligten.

    Solche Aktionen, über die hier berichtet wurde sind einfach eine Zumutung.
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  • M. K.
    Werte Frau Stolz wie weit sind Sie schon vom Volk bzw.von den Bürgern entfernt? Man hatte wohl doch den falschen Eindruck von Ihnen gewonnen als Sie noch eine kleine Bürgermeisterin in einem kleinen unterfrankischem Örtchen waren! Wie man sich doch bloss so hat täuschen können. Es heisst ja auch so schön, es gibt nichts, was es nicht gibt! 😇👎😂
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  • O. S.
    Ich würde Mathe , Deutsch, Englisch, Latein , Physik und Chemie aus dem Unterricht streichen und stattdessen den Reitunterricht auf 5 Tage à 6 Stunden einführen. Am Wochenende Stall ausmisten und Heu machen. Lach mich tot!!!
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  • W. B.
    Ist doch super.... Von Autolobby zur Pferdelobby.... Es sollten aber nur Hochgeschwindigkeitspferde zum Einsatz kommen
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  • P. B.
    Ist doch super.... Von Autolobby zur Pferdelobby..

    Ah... erst jetzt kapiere ich, nach Ihren Kommentar, was unsere so hochbezahlte Staatssekretärin damit bezwecken will.
    Statt Elterntaxi mit dem Auto, Elternritt zur Schule mit Kind. *******... Da habe ich ja unsere gut bezahlte Staatsministerin falsch eingeschätzt!
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  • L. W.
    Dabei hatten sich viele so viel erhofft

    als das Kultusministerium endlich von der CSU weg kam.

    Aber leider ist es bei den Freien Wählern nicht in wirklich besseren Händen.

    Es wird weiterhin nur Not verwaltet, statt wirklich Struktur zu verbessern.

    Und dieser Vorschlag hier ist die absolute Krönung, die eigentlich nur zeigt, dass die Obersten in der bayrischen Bildungsbürokratie den Bezug zur Realität längst verloren haben.

    Die Strauß Tochter Hohlmeier hat seinerzeit ihre Kinder ja auch lieber in eine Privatschule gesteckt statt auf staatliche Schulen zu vertrauen.
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  • K. K.
    " was bürden "SIE" uns denn noch alles auf ? "

    fragte vor Jahren ein Lehrer in die Runde... !

    Da er kurze Zeit später zum " Rektor " befördert wurde; kann man davon ausgehen, er wus-
    ste wovon er spricht ! Es scheint also: " es geht immer so weiter....! " Irgendwie wirds schon gehen !
    Macht mal.......... nicht so ein Gedöns.
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  • R. E.
    Schlicht eine PR-Aktion einer Ministerin! Die löst natürlich keine Probleme in unserer (bayerischen) Schullandschaft, ist aber mittlerweile fester Bestandteil des Auftretens vieler unserer Politiker/innen. Mehr Schein als Sein.
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  • W. S.
    Irgendwie hat man dass Gefühl die Politiker entfernen sich immer mehr von den Lebenswelten ihrer Bürger. Bei manchen Ideen fragt man sich schon ob die nicht vorher richtig besprochen wurden.
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  • H. H.
    Das kommt aus der gleichen Ecke wie bei denen, für die ein 400PS-Bolide zur Standardausstattung eines Normalverbrauchers gehört.
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  • P. M.
    Rad fahren, schwimmen und Ball Spiele, hab ich nicht in der Schule gelernt. Zu meiner Zeit bestand der Turnunterricht aus Feldaufschwung und Feldaufschwung 😎
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  • S. C.
    Feld?
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  • A. H.
    Sporteln auf em Acker!
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  • P. M.
    🤣🤣🤣 Vor 55 Jahren haben wir den Lehrer so verstanden. Nachfragen omg 🙏 jetzt kann man ja vorher Googlen😎 Danke wieder was gelernt.
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  • A. H.
    also mei Sohn hats mit Felgauf- und -umschwung probiert (vielleicht weils an em humanistische Gymnasium war) .Des war allerdings vmtl. scho a weng späder......
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  • R. B.
    Initiativen von Leuten, welche ihre Kinder auf Privatschulen und nach Schloß Salem schicken.
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  • G. K.
    Typisch Kultusministerium:

    Die eigentlichen Probleme unseres Schulsystems werden über Jahrzehnte konsequent ignoriert. Beharrungskräfte, Rückständigkeit, Reform-Verweigerung.

    Alle paar Monate mal irgendeine PR-Aktion wie diese hier, alle paar Jahre mal eine symbolische Änderung - die in der Regel nichts (gutes) bewirkt und in vielen Fällen irgendwann wieder zurückgenommen wird (z. B. G9/G8/G9, Anlautmethode …)

    Wie es scheint, hat der Personalauswahlprozess des Ministeriums im Falle von Frau Stolz perfekt funktioniert.

    Sie hat sich hervorragend in diese Sesselpuper-Kultur integriert und zündet mit Begeisterung sinnfreie PR-Nebelkerzen …
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  • B. R.
    Dem gibt es nichts hinzuzufügen!
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  • B. K.
    Ja, der elitäre Reitsport...
    Warum kein Gruppensport mit ganz günstigen Mitteln in die Fläche bringen? Die allermeisten Schulen können und wollen sich das gar nicht leisten. Das ganze Drumrum kostet einfach viel zu viel.
    Futter, Pflege, Reitlehrer, Tierarzt... Das ist vom Ministerium wohl einfach nicht zu Ende gedacht. Auch wenn es immer mehr Pferde-Verrückte Eltern gibt, das Kind in der Schule braucht das wirklich nicht.
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  • H. D.
    Sehr geehrte Frau Stolz, ist das im Hintergrund nicht die Frau unseres Bayrischen Kaiser´s eh meinte natürlich unseres Ministerpräsidenten Söder. Gab es da nicht in der Vergangenheit schon mal was wegen der Maskenaffäre? Na ja jetzt ist mit den Masken scheinbar nichtsmehr verdient, dann konzentrieren wir uns mal auf den Reitsport.
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