
Unterfrankens Grundschüler sind deutlich weniger fit als noch vor zehn oder 15 Jahren. Gleichgewichtssinn, Koordinationsfähigkeit und Ausdauer sind bei der Mehrheit der Kinder schlechter ausgeprägt als früher. Dies bestätigen Schul-Experten, Sportlehrer und Verkehrserzieher aus der Region.
Wenn Andreas Süßmeier mit Erstklässlern Ball spielt, achtet er drauf, statt schwererer Plastikbälle weiche Softbälle zu nehmen. Die tun nämlich nicht so weh, wenn sie im Gesicht oder auf dem Körper statt in den Händen landen.
Dass einige Erstklässler sogar einen vorsichtig geworfenen Ball nicht greifen können – damit muss Süßmeier als Sportlehrer und Sportfachberater beim Staatlichen Schulamt Würzburg rechnen: „Immer mehr Schülern fehlt es diesbezüglich an der Auge-Hand-Koordination.“ Immer häufiger erlebt der Lehrer auch Schüler, die noch nie geturnt haben und deshalb etwa an einem Purzelbaum scheitern.
Harter Duschstrahl als Bedrohung
Ingo Matschullis, der für Sport zuständige Schulrat am Staatlichen Schulamt Würzburg, bestätigt, dass es immer mehr Kinder gibt, die bewegungsarm und körperfern aufwachsen. „Ich habe in Karlstadt Kinder erlebt, die im Schwimmbad schon den harten Duschstrahl als Bedrohung erlebten. Da stand erst mal nicht Schwimmunterricht an, sondern Wassergewöhnung“, sagt er.
Schere zwischen den Kindern wächst
Matschullis sieht drei Gruppen von Kindern: Erstens die kleine, aber stetig wachsende Gruppe von Kindern mit sehr großen Bewegungsdefiziten. Zweitens die große Gruppe von Durchschnittskindern, deren körperliche Fähigkeiten zwar nicht besorgniserregend schlecht seien – aber dennoch in Bezug auf Gleichgewicht, Koordination und Ausdauer weniger gut als die von früheren Schülergenerationen. Und drittens die Gruppe der „Hochleistungskinder“. Darunter versteht Matschullis Kinder, die entweder mit ihren Eltern oder im Verein schon viel Sport getrieben haben und die die sportlichen Anforderungen in der Schule locker meistern. „Die Schere zwischen diesen Gruppen wird immer größer“.
Veränderter Sportunterricht: Freude als Ziel
Die mangelnde Fitness vieler Schüler verändert Matschullis zufolge den Sportunterricht in der Grundschule. „Weg vom Wettbewerb, weg vom Leistungsgedanken“, erklärt der Schulrat. Wichtig sei vielmehr, gerade wenig sportaffinen Kindern Spaß an Bewegung zu vermitteln. Dies führe dann auch zu einer anderen Art der Bewertung, die von Matschullis sogenannte „pädagogische Note“ setzt sich stärker durch: „Wenn etwa ein übergewichtiges, sportunerfahrenes Kind sich beim Lauf richtig reinhängt, alles gibt, dann kriegt das Kind eine gute Note – auch wenn die Laufzeit nicht gut war“.
Handys und Tablets: Grund der Bewegungsarmut
Auch bei der Regierung von Unterfranken hält man es für richtig, im Sportunterricht vor allem die Freude am Sport zu stärken. „Man wird das Rad nicht zurückdrehen können“, sagt Gustav Eirich, Leiter Abteilung Schulen bei der Regierung von Unterfranken: Der Einzug von Smartphones und Tablets in Kinderzimmer habe in den letzten Jahren das Freizeitverhalten der Kinder komplett verändert; die Kinder bewegten sich deutlich weniger. „Seit Jahren berichten mir das Klassenlehrer und Sportlehrer mit Sorge.“ Was tun, wie dem abhelfen? Dass das Kultusministerium den Schulen mehr Sportstunden bewilligt, hält Eirich für sinnvoll, aber unwahrscheinlich. Viel Gestaltungsspielraum sieht der Abteilungsleiter Schulen bei Ganztagsschulen. Wegweisend seien auch Schullandaufenthalte, die ganz im Zeichen des Sports stünden: So gebe es im Verbreitungsgebiet etliche Heime, in denen Fachkräfte die Kinder binnen einer Woche ans Schwimmen oder ans Radfahren heranführten.
Höhere Durchfallquote bei Radfahrprüfungen
Denn auch Radfahren können Grundschulkinder immer weniger. Dies berichten übereinstimmend Verkehrserzieher aus Würzburg, Kitzingen und Karlstadt. „Seit 15 Jahren mache ich Verkehrserziehung. Als wir angefangen haben, gab es kein Kind, das nicht Rad fahren konnte. Mittlerweile betreuen wir pro Jahr rund 800 Kinder – und es sind immer rund sechs Kinder dabei, die noch nie auf ein Rad gestiegen sind“, sagt Alfons Saugel von der Polizei Kitzingen. Saugel gibt zu, dass dieses Zahlenverhältnis nicht dramatisch klingt.
„Aber dazu kommt eben, dass eine große Zahl von Kindern unsicher fährt. Einhändig fahren, Kurven fahren – das können viele nicht.“ Die Folge: Immer mehr Kinder fallen trotz intensiver Beschulung durch die Polizisten bei den Radfahrprüfungen durch. Dies belegt etwa Stefan Kaiser von der Polizeiinspektion Karlstadt mit einer Statistik. Lag die Durchfallquote bei den Prüfungen im Jahr 2004/05 bei 1,2 Prozent, betrug sie zwölf Jahre später 5,5 Prozent und 2017/18 bereits 8,5 Prozent. Lichtblicke für die Verkehrserzieher gibt es aber auch: An ein kleines Mädchen, das noch nie Rad gefahren war, aber binnen drei Stunden das Radfahren lernte und dann auch die Radfahrprüfung bestand, erinnert sich ein Polizist mit Freude.