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Würzburg
Prozesse in der Corona-Krise: Anwälte haben Angst vor Ansteckung
Nur noch in Ausnahmefällen werden derzeit Strafverfahren geführt. Auch bei vielen unterfränkischen Prozessen ist ungewiss, ob und wie sie fortgeführt werden.
So sieht es zum Schutz vor Corona in vielen Gerichtssälen inzwischen aus: Um Sicherheitsabstand zu gewinnen, sitzen nicht nur die Beteiligten weit auseinander. In den Zuschauerräumen sind die meisten Plätze gesperrt.
Foto: Swen Pförtner, dpa | So sieht es zum Schutz vor Corona in vielen Gerichtssälen inzwischen aus: Um Sicherheitsabstand zu gewinnen, sitzen nicht nur die Beteiligten weit auseinander. In den Zuschauerräumen sind die meisten Plätze gesperrt.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 16.12.2021 16:24 Uhr

Auch die Justiz in Unterfranken kommt in der Corona-Krise fast zum Stillstand. Vom Todesschuss auf einen Polizeischüler über Betrug an einem sterbenden Vermieter bis zu den Handy-Piraten - in Würzburg wird ein Prozess nach dem anderen abgesagt. 

Aber bereits laufende Verfahren (mit Angeklagten in Untersuchungshaft) sollen zu Ende gebracht werden. Aus Angst vor Ansteckung drohte in Würzburg schon Anwalt Hanjo Schrepfer, dem Missbrauchsprozess gegen den Logopäden fernzubleiben, weil er zur Risikogruppe gehört.

Trotz Sicherheitsmaßnahmen lässt sich auch im Würzburger Missbrauchs-Prozess Gedränge im Gerichtssaal nicht immer vermeiden.
Foto: Thomas Obermeier | Trotz Sicherheitsmaßnahmen lässt sich auch im Würzburger Missbrauchs-Prozess Gedränge im Gerichtssaal nicht immer vermeiden.

Schrepfer und vier seiner Kollegen vertreten die Eltern der missbrauchten Buben. Jetzt hatte ein Schöffe Kontakt mit einem Infizierten, zwei Verhandlungstage wurden abgesetzt. Das Gericht will kommenden Mittwoch weitermachen - nach nur einer Woche Quarantäne für den Schöffen.

Die Anwälte und ihrer Mandanten sitzen bereits weit auseinander. Aus dem Zuschauerraum wurden die meisten Stühle entfernt, damit genug Abstand ist. Die Öffentlichkeit ist weitgehend ausgeschlossen, was das Risiko mindert. Bei Betreten des Gerichts ist ein Fragebogen auszufüllen, ob man Kontakt mit Infizierten hatte.

In  Schweinfurt blieben im Autokratzer-Prozess reihenweise Geschädigte weg, statt im Zeugenstand auszusagen. Im  Aschaffenburger Prozess um den Mord an der 15-jährigen Christiane werden Tische vor Benutzung desinfiziert, für Besucher gibt es einen Desinfektionsmittel-Spender und am Eingang hängt ein Schild: Abstand halten!

Anwalt zog vor das Bundesverfassungsgericht

Anwalt Adam Ahmed ist das zu wenig. Er vertritt die Familie eines mutmaßlich ermordeten Gastwirtes aus Wiesenbronn (Lkr. Kitzingen) im Prozess wegen siebenfachen Mordes gegen einen Hilfspfleger in München. In puncto Gesundheitsschutz zog der Anwalt sogar vors Bundesverfassungsgericht, um alle Prozesse zu stoppen. Ahmed sagt, am Landgericht München seien pro Tag gewiss 1000 Menschen unterwegs - wie bei einer (inzwischen verbotenen) Großveranstaltung. "Man muss mal eine gewisse Linie reinbringen: Die einen Gerichte machen es so, die anderen so." Doch das Bundesverfassungsgericht lehnte seinen Antrag ab.

Ob es der seit fast einem Jahr laufende Prozess gegen zwei Würzburger wegen Mordversuchs in Ingolstadt bis Ende April zu einem Urteil schafft, ist so ungewiss wie der Ausgang der Verhandlung gegen eine IS-Rückkehrerin aus Unterfranken in München Ende April..

Immerhin schuf der Gesetzgeber jetzt in Rekordzeit eine Atempause für viele  Prozesse: Konnten die bisher höchstens drei Wochen pausieren, ohne neu beginnen zu müssen, sind es jetzt nach zehn Verhandlungstagen drei Monate.

Bisweilen bleiben manche Verteidiger aus Angst vor Ansteckung schon den Verfahren fern. Richter drohen, ihnen die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Die Anwälte kontern mit der Ankündigung von Dienstaufsichtsbeschwerden. Dass die Angst nicht unberechtigt ist, zeigt der Fall in Freiburg gegen elf Angeklagte wegen Massenvergewaltigung. Ein Anwalt ist positiv getestet, der Prozess geplatzt.

Übertragung des Prozesses per Internet-Stream?

Justizminister Georg Eisenreich (CSU) hat die Staatsanwaltschaften gebeten, in geeigneten Verfahren anstelle einer Anklage einen Strafbefehl zu beantragen. Schon schlagen Anwälte vor, Zeugen per Live-Zuschaltung aus der Ferne zu vernehmen - wie das jetzt schon bei Vergewaltigungs-Opfern möglich ist. Manche können sich sogar eine Übertragung des Prozesses per Internet-Stream vorstellen, um Öffentlichkeit herzustellen. Dieses Court-TV stößt aber rechtlich auf große Vorbehalte.

Für viel Aufsehen sorgte zuletzt der Strafverteidiger Thomas Pfister. Als ein Jugendrichter des Landgerichts München auf einen Prozess bestand, zeigte er ihn wegen versuchter Körperverletzung an. Pfister und vier Kollegen weigerten sich, den Gerichtssaal zu betreten. Der Richter setzte notgedrungen den Prozess aus, der vielleicht im Herbst neu beginnt.

Gerichtssprecher Florian Gliwitzky sagte dazu: Die Justiz könne auch in Zeiten des sich rasant verbreitenden Coronavirus nicht die Arbeit einstellen. "Die Justiz ist in bestimmten Bereichen systemrelevant."

 
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  • tommy33
    Zum Glück haben die Mitarbeiter im Einzelhandel, die Krankenschwestern, die Ärzte und alle anderen die im Moment für uns da sind keine Angst!
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