Ist es schon strafbar, einem IS-Kämpfer den Haushalt zu führen und Kinder zu gebären? In München steht Sibel H. jetzt vor Gericht. Die Deutsch-Türkin stammt nach Hinweisen aus Ermittlerkreisen aus dem Raum Aschaffenburg. Ihr Prozess wird zum Testfall für den harten Kurs der Bundesanwaltschaft im Umgang mit deutschen Rückkehrerinnen .
Zugriff auf zwei Sturmgewehre
Sibel H. ist angeklagt, sich bei der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) betätigt, Kriegsverbrechen sowie Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz begangen zu haben. Während ihres Aufenthaltes im Irak habe sie Zugriff auf zwei vollautomatische Sturmgewehre ihres Mannes gehabt, heißt es in einer Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft.
Seit dem 21. Februar muss sich die 32-jährige vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München verantworten. Es sind 16 Verhandlungstage angesetzt, ein Urteil könnte im April fallen.
In Fanatikerkreisen unterwegs
Schon in Deutschland stand Sibel H. unter Beobachtung der Polizei, weil sie in Fanatiker-Kreisen von Islamisten in Frankfurt und Offenbach verkehrte. 2013 reiste sie mit mit ihrem ersten Mann in den Nahen Osten. Als ihr Mann 2014 ums Leben kam, kehrte sie nach Unterfranken zurück.
Doch laut Bundesanwaltschaft reiste sie im Frühjahr 2016 gemeinsam mit ihrem - nach islamischem Ritus geheirateten - neuen Mann Deniz B. (einem Deutschen) erneut in den Irak, um im Herrschaftsgebiet der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) zu leben.
Dort bezog das Paar "nacheinander eine Wohnung und zwei Wohnhäuser, die teilweise möbliert und ihnen jeweils von dem IS zur Nutzung überlassen worden waren", sagt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Sibel H. führte den Haushalt und kümmerte sich um den im November 2016 geborenen Sohn, "damit ihr Ehemann seine Arbeitskraft uneingeschränkt dem IS zur Verfügung stellen konnte". Ihr Mann soll als Pfleger gearbeitet haben.
In der Anklage gegen die 32-Jährige heißt es, die rechtmäßigen Bewohner der Immobilien seien vor der Terrororganisation geflüchtet. Für die Bundesanwaltschaft ist das Aneignung und damit ein Kriegsverbrechen, das im Völkerstrafgesetzbuch unter Strafe steht. "Wenn der IS einem ein Haus gibt, dann kann man das Haus auch nicht ablehnen", argumentiert dagegen laut Bayerischem Rundfunk Verteidiger Serkan Alkan, der immer wieder Rückkehrerinnen vor Gericht vertritt. Der Vorwurf "Plündern durch Wohnen" sei kaum haltbar. Wem die zwei Schusswaffen im Haus gehörten und ob sie damit umgehen konnte, ist unklar.
Nach Deutschland ausgeflogen
Im August 2017 wurden beide von kurdischen Peschmerga-Kämpfern festgenommen. Die Unterfränkin aus Alzenau bei Aschaffenburg wurde ein halbes Jahr später nach Frankfurt am Main ausgeflogen. Um ihr Kind gab es mühsame diskrete Verhandlungen des Auswärtigen Amtes, ehe es dem Großvater übergeben werde konnte, der es nach Deutschland mitnahm.
Die Bundesanwaltschaft beantragte einen Haftbefehl: Schon die Anwesenheit der Lebensgefährtinnen im IS-Gebiet und die Teilnahme am Leben in der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ unterstütze die Kämpfer und ihren Traum von einem Kalifat. Außerdem werde dadurch die „Sogwirkung“ auf gleichgesinnte Dschihadisten in Europa verstärkt.
Haftbefehl zunächst abgelehnt
Doch dem Bundesgerichtshof war das zu dünn. Erst weitere Ermittlungen hätten den Tatverdacht „verdichtet“, sagt die Bundesanwaltschaft. Auf ihrem Handy fanden Ermittler ein Video ihres getöteten ersten Mannes , der gerade eine Kalaschnikow abfeuert. "Merkel, du bis die Nächste" ist zu hören.
Sibel H. wurde im August 2019 verhaftet, kam aber im September unter Auflagen frei, weil die Behörden nicht von einer Fluchtgefahr ausgingen. Für die Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Ihr Mann Deniz B. sitzt im Nordirak in Haft. Der Frankfurter Salafist klagt vor dem Berliner Verwaltungsgericht auf Rückholung nach Deutschland – schließlich sei er deutscher Staatsbürger. Es gibt ein Foto, das sie gemeinsam zeigt. Sibel H. trägt einen Gesichtsschleier mit Augenschlitzen.
Eine schwarze Witwe?
Die Familie von Deniz B. hatte das Bild nach dessen Ausreise veröffentlicht. Über dem Foto steht: "Vermisstenmeldung! Gesucht wird Deniz B. Er befindet sich vielleicht auf dem Weg nach Syrien – angeworben durch eine sogenannte Schwarze Witwe." Wie fanatisch Sibel H. wirklich war, soll der Prozess zeigen. Angeblich ist sie inzwischen in einem Aussteiger-Programm.