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Würzburg
Prozess um Würzburger Messerattacke: Warum in Obdachlosenunterkünften häufig psychisch Kranke leben
Der Täter war von Drogen abhängig, psychisch krank und landete in der Würzburger Obdachlosenunterkunft. Was tun in solchen Fällen, die keine Ausnahme sind?
In der Obdachlosenunterkunft der Stadt Würzburg in der Zellerau sind momentan 74 Männer untergebracht. Der Messerangreifer Abdirahman J. hat hier eineinhalb Jahre lang gelebt.
Foto: Thomas Obermeier | In der Obdachlosenunterkunft der Stadt Würzburg in der Zellerau sind momentan 74 Männer untergebracht. Der Messerangreifer Abdirahman J. hat hier eineinhalb Jahre lang gelebt.
Manuela Göbel
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:57 Uhr

Seit 22. April läuft der Prozess gegen den Würzburger Messerangreifer. Zum Zeitpunkt seiner Tat am 25. Juni 2021 lebte Abdirahman J. in der städtischen Obdachlosenunterkunft im Würzburger Stadtteil Zellerau. Obwohl der Somalier von Drogen abhängig, psychisch krank und bereits durch aggressives Verhalten aufgefallen war, war er in der Unterkunft laut Stadt Würzburg eineinhalb Jahre lang ohne eine intensive Betreuung gewesen. Menschen wie J. sind dort keine Einzelfälle. Woran liegt das und was wird getan? Die Reaktion ist den größten Fragen nachgegangen.

Wie viele Obdachlose bringt die Stadt Würzburg unter?

Kommunen sind dazu verpflichtet wohnungslosen Menschen ein Dach über den Kopf anzubieten. In der Würzburger Unterkunft bleiben manche nur ein paar Tage, manche mehrere Jahre. 74 Männer leben aktuell in der Zellerauer Obdachlosenunterkunft, 19 Frauen im Sankt Raphaelsheim in der Innenstadt. Die Unterkünfte sind keine geschlossenen Heime, die Bewohner können sich frei bewegen.

In Wohnungen, die die Stadt angemietet hat, leben außerdem rund 280 Personen, die ansonsten auf der Straße säßen. Die Zahl der Wohnungslosen, die die Stadt unterbringt, steigt seit Jahren an. 

Warum steigt die Zahl an Obdachlosen?

Eine Ursache für diesen Anstieg ist laut Würzburgs Sozialreferentin Hülya Düber, dass es zu wenig günstige Unterkünften gibt, auch "Schlichtwohnraum" genannt. Außerdem steige die Anzahl an Personen mit multiplen Problemen, die zum Beispiel psychisch krank, arbeitslos und dazu drogenabhängig sind. "Diese Menschen finden auf dem freien Wohnungsmarkt nichts", sagt Düber.

Wie wird obdachlosen Menschen in Würzburg geholfen?

Die Mitarbeiter der städtischen Gefährdetenhilfe unterstützen die Bewohner vor Ort bei der Bewältigung ihres Alltags, Behördengängen, bei Sucht- oder Schuldenproblemen. Zusätzlich bieten auch die Einrichtungen der Christophorus-Gesellschaft Hilfe bei der Wohnungssuche und andere Unterstützungen an.

"Für uns ist es zum Beispiel ein Erfolg, wenn wir es schaffen, dass ein kranker Mensch zum Arzt geht und dann seine Medikamente nimmt", sagt Petra Baufeld, Leiterin des Würzburger Fachbereichs Soziales. Gerade für psychisch Kranke sei das der wichtigste Schritt zur Besserung ihrer Situation. "Wenn man obdachlos wird, ist der Weg zurück sehr schwer", sagt Baufeld. "Doch es gibt immer auch Menschen, die das schaffen."

Warum landen Menschen mit psychischen Problemen auf der Straße?

Sozialreferentin Düber beschreibt die Situation als Ende einer langen Abwärtsspirale: "Die Betroffenen akzeptieren nicht, dass sie krank sind und Hilfe bräuchten. Psychiatrische Unterstützung wird abgelehnt, Medikamente werden nicht genommen. Also verschlimmert sich die Situation, das soziale Umfeld, der Job brechen weg und die Menschen landen auf der Straße."

Etwa 40 Prozent der Menschen in den Unterkünften, die städtische Sozialarbeiter intensiver betreuen, haben psychische Probleme. "Aber nicht jeder, der psychische Probleme hat, ist potentiell gefährlich", sagt Düber. "Diese Menschen haben oft schlimme Schicksalsschläge erlebt und sind jetzt dankbar für jede Hilfe."

Wer hilf den psychisch Kranken in der Unterkunft?

„Es gibt in Würzburg zahlreiche ambulante und stationäre Einrichtungen die Menschen mit psychischen Problemen dabei unterstützen, im Alltag zurecht zu kommen", sagt Steffen Deeg, Koordinator im Sozialreferat.

Voraussetzung dafür sei aber, dass die Kranken sich helfen lassen wollen. Fehlt diese Bereitschaft, werden sie von Kliniken oder andere Betreuungseinrichtung als nicht therapierbar entlassen. Nach Schätzung von Sozialarbeitern gibt es in Würzburg zwischen 10 und 20 Menschen, die abwechselnd in der Psychiatrie, im Gefängnis oder auf der Straße leben.

Wie war die Situation bei Abdirahman J.?

Der Somalier wurde vor seiner Tat fünf Mal in der Psychiatrie behandelt. Er litt unter wahnhaften Störungen und drogeninduzierte Psychosen. Weil die behandelnden Ärzte bei ihm keine dauerhaft Selbst- oder Fremdgefährdung erkannten, wurde er immer wieder auf eigenen Wunsch entlassen. Es gilt als wahrscheinlich, dass er danach weiter harte Drogen nahm. Betreuungsangebote von Sozialarbeitern in der Zellerau lehnte er laut Sozialreferat der Stadt Würzburg ab.

Wie versuchen Sozialarbeiter zu helfen?

"Es ist sehr schwer, Menschen zu helfen, die sich nicht helfen lassen wollen", sagt Sozialpädagoge Deeg. Eine Chance sei, sie zu nehmen, wie sie sind und zu versuchen, eine persönlicher Beziehung aufzubauen.

Das "Kontaktcafé Flow" des Trägervereins Condrobs praktiziert in Würzburg seit 2019 diesen "akzeptierenden" Ansatz: Hier bekommen Drogenabhängige Essen, Computerplätze, medizinische Hilfe, Beratung und auch frische Spritzen.

"Wir wollen den Verelendungsprozess dieser Menschen stoppen", sagt Leiterin Claudia Nembach. "Je früher ihnen geholfen wird, umso geringer sind Folgen ihrer Sucht, wie Infektionskrankheiten, Verelendung, Obdachlosigkeit und psychische Krisen." Menschen wie der Messerangreifer, die zwischen Psychiatrie und dem Leben auf der Straße beziehungsweise in einer Obdachlosenunterkunft pendeln, gehörten zu den typischen Besuchern des Kontaktcafés.

Bekommen psychisch kranke Geflüchtete künftig mehr Hilfe? 

Die Stadt Würzburg beabsichtigt, eine erste Anlaufstelle für geflüchtete Menschen in seelischen Problemstellungen einzurichten. In dieser Clearingstelle sollen die betroffenen Personen unkompliziert, niederschwellig und unmittelbar beraten und bei Bedarf an psychosoziale Beratungsstellen, niedergelassene Ärzte oder Bezirkskrankenhäuser weitergeleitet werden. "Durch die Tat von 2021 ist allen Beteiligten die Notwendigkeit für eine solche Anlaufstelle noch deutlicher geworden", sagt Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt. Die Personalkosten dafür seien allerdings enorm.

Deshalb hat die Stadt Würzburg hierzu im vergangenen Jahr ein bayernweit beispielgebendes Projekt beim Freistaat beantragt. Innenminister Joachim Herrmann hat Mitte Mai in einem Brief an den OB bekräftigt, dass das Projekt zeitnah realisiert werden soll. 

 
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  • terrain
    "... werden sie von Kliniken oder andere Betreuungseinrichtung als nicht therapierbar entlassen."
    Genau, und dann werden sie sich selbst überlassen und sind eine Gefahr für sich und die Allgemeinheit. Diese Unterkunft mitten im Wohngebiet und unmittelbar neben einer Schule mit fast eintausend Schüler*innen ist dort schon lange fehl am Platz!
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  • MedDeeg@web.de
    Ich habe in einer Notlage fünf Jahre in Würzburg gelebt und die Hilfe der Behörden gesucht.

    Was ich hier erfahren habe, war keine Hilfe sondern die Verschärfung meiner Notlage durch autoritäre, auf Stigmatisierung und Sanktionierung ausgerichtete Bürokratie.

    Was hier zum Teil für Menschen in den Führungsebenen arbeiten, die für dieses Klima verantwortlich sind, ist für mich bis heute unfassbar. Auf der Arbeitsebene ist es zwar besser, aber auch die Sachbearbeiter werden angewiesen, die CSU-Linie der Behörden mitzutragen, die eben darin besteht, die eben nicht aus Hilfe besteht sondern darin, Menschen, die ohnehin in a
    Krise und Ausnahmesituation leben, das Leben noch schwere zu machen.

    M.Deeg
    Polizeibeamter a.D.
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