Corona hat viele Institutionen vor bisher nicht gekannte Herausforderungen gestellt: Nachdem der erste Corona-Fall in Deutschland am 27. Januar 2020 bekannt wurde, wurde vom 16. März bis zum 16. Juni 2020 in Bayern der Katastrophenfall festgestellt. Dies geschah wenige Monate später, vom 9. Dezember bis zum 7. Juni 2021, ein zweites Mal. Was dies für das Amt für Zivil und Brandschutz in Würzburg bedeutet, erklärt dessen Leiter Harald Rehmann im Gespräch mit dieser Redaktion. Ein Rückblick auf zwei Corona-Wellen und einen Einsatz, der inzwischen über 500 Tage dauert.
Harald Rehmann: Nein. Wir waren ja in Würzburg durch die Lage in den Alten- und Pflegeheimen einer der ersten Corona-Hotspots. Kurz bevor der Katastrophenfall kam, habe ich zu Oberbürgermeister Christian Schuchardt gesagt: Wenn sich die Lage weiter zuspitzt, müssen wir überlegen, ob wir den Katastrophenfall feststellen – für Würzburg als kreisfreie Stadt hätte das auch der Oberbürgermeister als Leiter der unteren Katastrophenschutzbehörde tun können.
Rehmann: Ganz klar: Das war nicht der klassische Katastrophenfall, den wir kennen und regelmäßig beüben und beplanen. Normalerweise sitzen wir bei der Arbeit des Führungsstabs Katastrophenschutz eng an einem Tisch zusammen und besprechen uns. Das war wegen der Abstandsregeln etc. nicht möglich, unser Stabsraum ist darauf nicht ausgelegt. Außergewöhnlich war auch die Länge des Einsatzes: Wir sind mit dem Stab seit über einem Jahr im Einsatz.
Rehmann: Wir haben die Kolleginnen und Kollegen des Führungsstabs von unseren originären Aufgaben abziehen müssen, weil die Priorität auf der Bewältigung der Pandemie lag. Daneben musste natürlich der Betrieb der integrierten Leitstelle weitergehen – und der Einsatzdienst, das heißt, das Ausrücken. Ein Großteil unserer Kräfte war also gebunden. Wir mussten auch immer damit rechnen, dass sich jemand mit Corona infiziert. Dann hätten weitere Kollegen in Quarantäne gemusst beziehungsweise wären vielleicht selbst erkrankt. Es war sehr schwierig, mit den knappen personellen Ressourcen eine Dienstplanung für alle Bereiche aufrecht zu erhalten.
Rehmann: Unterschiedlich – gerade in der ersten Welle hat der Stab mit 15 bis 20 Kolleginnen und Kollegen als Präsenzstab, teilweise sogar im 24-Stunden-Betrieb gearbeitet. Wir wurden dabei von vielen Fachberatern wie der Bundeswehr, dem Technischen Hilfswerk (THW), Polizei, Ärzten, Hilfsorganisationen und dem Gesundheitsamt unterstützt.
Rehmann: Unser Stab hat komplett durchgearbeitet und war auch zwischen den beiden Wellen immer im Dienst. Zum einen, weil klar war: Die nächste Welle kommt, da müssen wir Vorbereitungen treffen; zum anderen, weil teilweise noch Aufgaben zu erledigen waren. Der Führungsstab Katastrophenschutz ist auch heute noch im Dienst.
Rehmann: In der ersten Welle war die große Herausforderung, ausreichend Schutzmaterial und Desinfektionsmittel zu beschaffen. Wir waren froh, dass wir auch zusammen mit der Stadtverwaltung schnelle und pragmatische Entscheidungen treffen konnten. Wir konnten zum Beispiel eine ortsansässige Firma, die Versiegelungen für Fußböden produziert, nach engem Austausch im Vorfeld auf Grundlage des Katastrophenschutzrechtes dazu verpflichten, Desinfektionsmittel herzustellen – dadurch hatten wir 50 000 Liter davon.
Rehmann: Wir haben es noch geschafft, ein paar Bestellungen zu tätigen, bevor die erste Corona-Welle so richtig losgerollt ist. Als dann die zentrale Versorgung mit Masken und Schutzkleidung über den Freistaat Bayern kam, haben wir auch dieses Material verteilt. Aber: Es ging ja nicht nur ums Beschaffen der Masken, sondern auch darum, ob sie den Vorschriften entsprechen und wirklich schützen. Wir haben alle so versorgt, dass sie irgendwie arbeiten konnten, aber es gab Phasen, in denen wir nicht wussten, ob wir auch in der nächsten Woche noch Material liefern können. Das war belastend für diejenigen, die sich gesorgt haben, ob sie mit der richtigen Schutzausrüstung ihre Arbeit machen können, aber auch belastend für die Kollegen im Stab, wenn von allen Seiten Hilferufe kamen.
Rehmann: Da ging es vor allem um die Teststrategie. Schwerpunktmäßig wurde sie vom Testmanagement des Gesundheitsamtes verantwortet, wir haben Logistik und Infrastruktur übernommen. Zum Beispiel die Planung des Testzentrums auf der Talavera, das Feuerwehrkräfte mitaufgebaut haben. Wie organisiert man das, wie baut man auf, dass dort vernünftig gearbeitet werden kann? Im nächsten Schritt wurden die Schnellteststellen aufgebaut: Los ging es kurz vor Weihnachten – auch damit die Angehörigen ihre Lieben in den Heimen besuchen konnten. Fast über Nacht haben wir gemeinsam mit den Hilfsorganisationen das Schnelltestzentrum in der Franz-Oberthür-Schule aufgebaut. Dann im Burkadushaus, der Kürnachtalhalle, …
Rehmann: Die Situation in den Pflegeheimen. Wo wir Phasen hatten, in denen es fast täglich neue Tote gab. Bei der Feuerwehr sind wir es gewohnt, zu helfen. Natürlich kommen wir immer wieder in Situationen, wo wir nicht mehr helfen können. Aber in diesem Ausmaß war es für alle sehr belastend, weil jeder sein Bestes gegeben hat, aber es einfach Zeit brauchte, bis die Corona-Maßnahmen Wirkung zeigten. Wenn jemand schon infiziert war, konnte man eben unter Umständen nichts mehr machen.
Rehmann: Zunächst mal eine sehr hohe Belastbarkeit. Ich erinnere mich, dass ich in viele müde Gesichter geschaut habe, wenn ich in den Stab kam. Da war keiner, der von sich aus gesagt hat: Ich kann nicht mehr. Da musste man als Vorgesetzter sagen: Du gehst jetzt mal nach Hause und kommst morgen früh wieder. Was man auch braucht, ist die Fähigkeit, Situationen zu analysieren und ein möglichst pragmatisches Ergebnis zu finden. Wenn man alle Eventualitäten ausschließen möchte, bis man eine ganz saubere Lösung hat, dauert das viel zu lange. In dem Fall ist Schnelligkeit oft wichtiger als Perfektion.
Rehmann: Wir stehen schon jetzt im engen Austausch mit unseren ärztlichen Fachberatern, vor allem mit dem Gesundheitsamt. Es gibt sehr unterschiedliche Einschätzungen, wie die Corona-Situation im Herbst werden wird. Im Katastrophenschutz ist es meist so, dass man sich auf das worst-case-Szenario vorzubereiten versucht. Das heißt, wir gehen davon aus, dass nochmal eine Welle kommt, etwa von der Größenordnung des vergangenen Herbsts. Wir haben eine ähnliche Situation, was Reiserückkehrer und Wetter angeht. Ein entlastender Faktor ist die Impfsituation, ein belastender Faktor sind die neuen Varianten des Virus, die eine noch höhere Infektiosität haben.