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Würzburg
Katastrophenmanager: "Das Bewusstsein für Gefahren fehlt uns"
Nach der Hochwasserflut steht der Katastrophenschutz in der Kritik. Zu Recht? Hätten Menschen früher gewarnt werden müssen und können? Ein Würzburger Experte gibt Antworten.
In Rheinland-Pfalz hat das Hochwasser zahlreiche Häuser, Straßen und Brücken zerstört. Hätte die Katastrophe verhindert werden können – etwa durch bessere Warnungen? 
Foto: Thomas Frey, dpa | In Rheinland-Pfalz hat das Hochwasser zahlreiche Häuser, Straßen und Brücken zerstört. Hätte die Katastrophe verhindert werden können – etwa durch bessere Warnungen? 
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:52 Uhr

Zerstörte Häuser, eingerissene Brücken, verwüstete Innenstädte. Das Hochwasser hat in Teilen Deutschlands Milliardenschädenangerichtet und viele Menschenleben gekostet. Hätte die Katastrophe verhindert werden können - etwa durch bessere Warnungen? "Die Warn-Apps haben gewarnt, aber es fehlte möglicherweise die Kompetenz, diese Warnungen in Handlungen umzusetzen", sagt Prof. Peter Bradl, Leiter des Institutes für Katastrophenmanagement an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) und Gutachter beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Im Interview spricht der Wirtschaftsingenieur über "gnadenloses" Wasser, fehlendes Gefahrenbewusstsein und nötige Schulungen. 

Frage: Ist eine Flutkatastrophe wie im Westen Deutschlands oder im Berchtesgadener Land auch in Unterfranken möglich?

Prof. Peter Bradl: Pauschal ist das schwierig zu beantworten. Starkregen tritt meistens sehr lokal auf – und oft ist unvorhersehbar, ob es in der Folge tatsächlich zu Überflutungen kommt. Solange die Pegel im Bereich dessen bleiben, was man erwartet, sind Hochwasser beziehungsweise die Folgen häufig "beherrschbar". Allerdings gilt auch: Wasser ist gnadenlos, es reißt alles mit sich, Unrat, Autos, Schutt. Und so kann es passieren, dass ein Ablauf, der üblicherweise bei Hochwasser entlastet, plötzlich verstopft wird und sich die Situation an einem Ort zuspitzt. Das ist nicht berechenbar.

Die aktuellen Unwetter hatten Meteorologen relativ präzise vorhergesagt. Hätten die verheerenden Überschwemmungen aus Ihrer Sicht verhindert werden können?

Bradl: Ich denke nicht. Das Hochwasser als solches war nach meiner Kenntnis in weiten Teilen nicht zu vermeiden.

Dennoch steht der Katastrophenschutz jetzt in der Kritik. Zu Recht?

Bradl: Nein, keinesfalls. Der deutsche Katastrophenschutz ist ausgefeilt, gut durchdacht und skalierbar. Er bringt alle Einsatzkräfte wie Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und damit Wasser-, Land- und Luftrettung sowie Entscheider schnell zusammen. Ich bin selbst Zugführer und als Einsatzleiter im Wasserrettungsdienst bestellt und tätig und halte unser System für sehr leistungsfähig.

Prof. Peter Bradl leitet das Institut für Katastrophenmanagement an der FHWS und ist  Gutachter beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz.
Foto: Bradl | Prof. Peter Bradl leitet das Institut für Katastrophenmanagement an der FHWS und ist  Gutachter beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz.
Warum sind trotzdem Menschen gestorben?

Bradl: Die Intensität des Ereignisses und das Ausmaß an Zerstörung sind erschreckend – und der Tod dieser Menschen ist mehr als tragisch. Das wirft in der Tat Fragen nach der Angemessenheit der Alarmierung auf. Bei der Kritik geht es nach meiner Kenntnis vor allem um den Vorwurf, die Menschen seien nicht früh genug gewarnt worden. Aber die Warnungen an sich gab es. Nur haben wir als Bevölkerung in den letzten Jahren verlernt, dass Gefahr durch Naturereignisse auch bei uns real ist.

Wie meinen Sie das?

Bradl: Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Ich habe in Australien gelehrt und dort müssen Austausch-Studierende anfangs Ausbildungskurse für Gefahren am Wasser und Gefahren im Busch absolvieren. Denn in Europa mag eine Schlange schlicht ein Reptil sein, in Australien kann sie eine lebensbedrohliche Situation darstellen. Genau das ist der Punkt: Das Bewusstsein für Gefahren fehlt uns in unserer modernen Gesellschaft weitestgehend. Wir wissen gar nicht, was es für uns bedeutet, wenn Wasser so schnell steigt und erst recht nicht, wie wir reagieren sollen. Anders ausgedrückt: Die Warn-Apps haben gewarnt, aber es fehlte möglicherweise die Kompetenz, diese Warnungen in Handlungen umzusetzen.

Reichen denn Warnungen über Apps wie Nina oder Katwarn?

Bradl: Konventionelle Alarmierungswege werden bereits wieder ausgebaut. Das ist richtig und sollte noch verstärkt werden. Wir brauchen Sirenen, genauso wie die digitalen Warnsysteme.

Katastrophenmanager: 'Das Bewusstsein für Gefahren fehlt uns'
Andere Länder warnen die Bevölkerung im Notfall auch über SMS-ähnliche Alarmsysteme wie Cell Broadcast vor Katastrophen. In Deutschland gibt es das bisher nicht. Ein Fehler?

Bradl: Dienste wie Cell Broadcast sind niederschwellige Einstiege und je niederschwelliger, desto besser. Zudem sind solche Warn-SMS natürlich Push-Nachrichten, die ohne Internetanbindung funktionieren. Sie erreichen mich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Alltag. Allerdings stehe ich auch dann vor der Frage: Was tue ich jetzt?

Kann es sein, dass manche Menschen in solchen Momenten erst einmal gar nichts tun – schlicht weil Unwetterwarnungen recht häufig vorkommen und eine gewisse Abstumpfung eintritt?

Bradl: Das sehe ich nicht so. Wenn beispielsweise vor Starkregen und 120 Litern Niederschlag pro Quadratmeter gewarnt wird, dann kann grundsätzlich jeder erkennen, dass das ein Vielfaches des normalen Monatsdurchschnitts darstellt. Entscheidend ist dann wie gesagt: Habe ich die Fähigkeit und Informationen, abzusehen, was das für mich und meinen Wohnort gerade bedeutet? Grundsätzlich ist bekannt, dass Menschen Gefahr als solche schlecht einschätzen können. Dazu gibt es viele Studien. Daher müssen die verantwortlichen Stellen Orientierungshilfen geben.

Wurde das versäumt?

Bradl: Bislang sind wir in Deutschland von Naturkatastrophen weitestgehend verschont geblieben, deshalb gab es vielleicht keine Notwendigkeit. Aber ich bin der Ansicht, dass es auch mit Blick auf den Klimawandel vermehrt dazu kommen wird. Deshalb würde ich sagen, der Bedarf ist da.

Wie könnte das konkret aussehen?

Bradl: Aus meiner Sicht wären Schulungen, wie ich mich bei außergewöhnlichen Ereignissen verhalte, sinnvoll. Das kann auch ganz unkonventionell passieren: selbst Youtube-Videos wären als Einstieg denkbar. Und langfristig sollten Kurse in die Grundlagenausbildung in den Schulen übernommen werden. Wie wichtig das ist, hat sich zum Beispiel schon 2004 bei dem Tsunami im indischen Ozean gezeigt. Damals unterschied sich das Verhalten der Touristen von dem der Einheimischen, denn die heimische Bevölkerung hat gesehen, das Meer zieht sich zurück und wusste besser, wie sie reagieren musste. Genau um dieses richtige Verhalten geht es. Wir müssen den Leuten klar machen: Bei Hochwasser noch schnell das Auto aus der Tiefgarage zu holen – das kann der letzte Gang sein, den sie machen.

Professor Peter Bradl hat Wirtschaftsingenieurwesen, Elektrotechnik und Volkswirtschaftslehre in Paderborn, Washington D.C. und Berkeley studiert und einen Master in Health an Medical Management (Universität Erlangen-Nürnberg) absolviert. An der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der FHWS leitet er das Institut für Rettungswesen, Notfall- und Katastrophenmanagement. Daneben ist Bradl unter anderem im Landevorstand des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) und als Gutachter für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) tätig.

 
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Kommentare
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  • K. S.
    Es gibt viele Möglichkeiten sich über Vorsorge zu informieren. Ein Beispiel: https://www.bbk.bund.de/DE/Warnung-Vorsorge/Vorsorge/vorsorge_node.html
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  • R. A.
    Ich denke, dass viele nach dem Floriansprinzip agieren.
    Wenn es einen dann doch trifft, wirds Maul aufgerissen.
    Ich habe Notfallrationen, Spritkontigent, Pumpe, Stromgenerator und einen ausgearbeiteten Plan.
    Ich werde ohne Staat und ohne externe Hilfe mind 6 Wochen auskommen.
    Danach sehen wir weiter.,.
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  • D. E.
    6 Wochen?

    Und das glauben sie auch? Was machen Sie bei Erkrankungen oder Verletzungen? Was machen Sie wenn das Abwassersystem ausgefallen ist? Was wenn ihr Haus abbruchreif ist? Denken Sie ihre Familie macht das ohne "Aufstand" mit? Usw.
    6 Wochen, träumen Sie weiter.
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  • J. N.
    Ich glaube, eine grundsätzliche Vorsorge jedes einzelnen ist durchaus angebracht. Insofern gebe ich TTT sehr Recht. Dass es nicht für jede Extremsituation ausreichen wird, ist klar.
    Um wirklich für alles Erdenkliche gerüstet zu sein, muss man sich irgendwo einen Bunker bauen und sich Prepper nennen.
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  • J. N.
    ...und gleichzeitig reagieren die Zuständigen gelinde gesagt phlegmatisch, wenn die Bürger von Zell am Main darauf hinweisen, dass Entwässerungsgräben zum Holzlagern benutzt werden und deshalb beim nächsten Starkregen dort der ganze Hang in den Ort rutschen könnte.
    Ich glaube keiner Behörde und keinem Politiker mehr, dass man wirklich ernsthaft um die Sicherheit der Bevölkerung besorgt ist/war...
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  • W. B.
    Was sollen die ewigen Fragen? Ich wurde hier in Würzburg von Nina gewarnt, dass Starkregen ansteht und das mehrmals. Das war auch in den anderen Regionen so. Wer hat sein Haus verlassen oder den Keller ausgeräumt?
    Diese Katastrophe muss man erlebt haben, dann reagiert man auf solche Meldungen. Mit dieser Sensibilisierung werden künftige Warnungen intensiver wahrgenommen!
    Es sollte nicht immer die Schuld bei anderen gesucht werden.
    Was wäre bei einer Meldung in Randersacker, dass am Gieshügel und Umgebung 200 Liter Niederschlag erwartet werden?
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