
Einen nach dem anderen legt Ralf Diesslin die Kerzenrohlinge in die historische Maschine ein. Dann wird es kurz laut – und schon kommen sie angespitzt und mit freigelegtem Docht wieder heraus. "So einfach ist das", sagt er. Die Maschine vor ihm ist die Erste, die Unternehmensgründer Alfred Herrhammer hergestellt hat. Heute ist die Firma Herrhammer GmbH Spezialmaschinen 75 Jahre alt – und der größte Kerzenmaschinen-Hersteller weltweit, wie Diesslin sagt. Seit zwölf Jahren ist er Geschäftsführer des Familienbetriebs.
Eigentlich sollte dessen Gründer nur eine alte, im Zweiten Weltkrieg beschädigte Kerzenmaschine der Würzburger Wachswarenfabrik Schenk reparieren. Stattdessen habe der Ingenieur eine eigene, teilweise automatische Maschine entwickelt – und damit überzeugt, sagt Diesslin. Heute steht diese im Museumsbereich der Firma.

Seit der Entwicklung der ersten Kerzenmaschine in den 50er-Jahren hat sich viel getan. Von Grablichtern über Stumpenkerzen bis hin zu Duftkerzen, von der Wachsaufbereitung bis zur Verpackung decken die Maschinen von Herrhammer den gesamten Prozess der Kerzenherstellung ab.
Der Familienbetrieb liefert in alle Welt
Mittlerweile liefert der Familienbetrieb mit Sitz im Ochsenfurter Gewerbegebiet Hohestadt Kerzenmaschinen in nahezu alle Länder der Welt. Ausnahmen seien etwa der Iran – und zurzeit auch Russland, so Ralf Diesslin. Größter Abnehmer sei Polen.
"Ingvar Kamprad ist Schuld", sagt der Geschäftsführer mit einem Schmunzeln. Aufgrund eines Holzboykotts gegen den Ikea-Gründer in den 60er Jahren habe dieser nach und nach die Produktion seiner Möbel sowie die zugehörige Infrastruktur nach Polen verlagert. "Als der eiserne Vorhang gefallen ist, sind dann viele Kerzenhersteller nachgezogen."
Überhaupt hänge heute so vieles zusammen, sagt er: "Ob in der Ukraine ein Stahlwerk schließt oder ein Schiff den Suez-Kanal blockiert – irgendwo in der Welt passiert etwas und selbst im kleinen Hohestadt sind wir davon betroffen." Ein weiteres Beispiel sei ein Interview der Vogue mit der Sängerin Taylor Swift, das dem Unternehmen vor etwa zehn Jahren einmal einen Auftrag verschafft habe. Der Grund: eine Frage nach ihrer Lieblingskerze, sagt Diesslin. "Kurze Zeit später hat der Hersteller dieser Kerze eine neue Linie bei uns bestellt, weil die Nachfrage so durch die Decke gegangen ist."
Duftkerzen statt Tafelkerzen, Soja-Wachs statt Paraffin
Die Globalisierung sei aber nicht die einzige Veränderung, auch im Bereich der Technik gebe es große Entwicklungen. "Diese Maschinen können mehrere Dochte in dasselbe Glas einsetzen", sagt Diesslin und deutet beim Durchqueren der lichtdurchfluteten Fertigungshallen auf eine Reihe Maschinen. Mit dieser Technik können auch große Kerzen gleichmäßig abbrennen.
Direkt daneben wird gerade eine Kerzenmaschine aus den 60er-Jahren wieder aufgemöbelt. Dieser Oldtimer, wie Diesslin sie nennt, sei eine direkte Weiterentwicklung der allerersten Kerzenmaschine – und soll künftig wieder im Einsatz sein. "Der Kunde kann sich so vielleicht 20.000 oder 30.000 Euro sparen im Vergleich zu einer Neuanschaffung", sagt der Geschäftsführer. Allerdings seien solche Aufträge äußerst selten in ihrem Betrieb.

Schließlich entwickeln sich Trends und Technologie weiter. "Heute gibt es zum Beispiel weniger Tafelkerzen, dafür mehr Duftkerzen im Glas", sagt Diesslin. Auch bei den Materialien gibt es Veränderungen. Soja-Wachs sei heute etwa eine beliebte Alternative zu Paraffin, das aus Erdöl gewonnen wird. "Wir sind eine Nachfrageindustrie", sagt der Geschäftsführer. "Nur wenn unsere Kunden ein Problem haben, können wir darauf reagieren und für sie etwas Neues entwickeln."
Die bekannten Teelichter-Blocks des Möbelgiganten Ikea etwa, gehe auf eine Idee seiner Firma zurück, erklärt Diesslin. "Bis 2003 gab es Teelichter nur in Beuteln. Das war unpraktisch und hat viel Platz weggenommen." Für den Konzern habe der Familienbetrieb daraufhin die neue Verpackungsweise entwickelt.
Diesslin will benötigten Strom selbst herstellen
Im Außenbereich der Firma verdeutlicht der Geschäftsführer den Stellenwert, den das Thema Nachhaltigkeit heute für das Unternehmen habe. Er deutet auf eine große Wiese am Rand des Betriebsgeländes. Bisher habe die ein Landwirt genutzt, sagt er. Jetzt liegt sie brach. Wenn es nach ihm gehe, sollen dort künftig eine Photovoltaik-Anlage und eine Bienenwiese entstehen.
Auf dem Dach des Firmengebäudes gebe es solche Module bereits seit etwa 20 Jahren, sagt Diesslin. Etwa die Hälfte des reinen Strombedarfs des Betriebs lasse sich damit decken. "Mit der neuen Fläche könnten wir dann auch unsere Heizenergie generieren." Überschüssige Energie solle auch den Mitarbeitenden – etwas für ihre Elektroautos – zur Verfügung stehen.

Aber auch das Arbeitsklima sei heute ein anderes als noch vor einigen Jahrzehnten, ist sich der Geschäftsführer sicher. "Ich kenne die Geburtstage aller Mitarbeiter hier", sagt er. 75 Angestellte arbeiten am Hauptsitz des Unternehmens in Ochsenfurt, darunter sind aktuell sechs Azubis. Fachkräftemangel ist aber auch bei Herrhammer ein Thema. "Wenn jemand in Rente geht, brauche ich heute bis zu zwei Jahre Vorlaufzeit, um eine Stelle dann passend besetzen zu können."
Keine Sorgen macht sich Diesslin hingegen, wenn es um die Nachfolge in seinem Unternehmen geht. "Bei sechs Kindern ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass jemand dabei ist, der Lust hat, das zu machen", sagt er. "Und wenn nicht, dann finden wir eine andere Lösung." Es seien aber ja noch 20 Jahre bis dahin – da könne noch viel passieren.