Manchmal hilft der Zufall einer zündenden Idee auf die Sprünge: Eigentlich sollte Alfred Herrhammer 1950 nach einem Brand in der Würzburger Kerzenmanufaktur Schenk nur deren Kerzenmaschine reparieren. Doch die Schäden an der Maschine waren so groß, dass Herrhammer stattdessen ein neues, teils automatisches Exemplar entwickelte, das prompt zum Verkaufsschlager wurde. Mit dieser ersten Kerzenmaschine legte der gelernte Flugzeugingenieur den Grundstein für die Ausrichtung und den weiteren Erfolg seiner Firma.
Heute ist der Spezialmaschinenbauer Herrhammer im Ochsenfurter Gewerbegebiet Hohestadt weltweit führender Hersteller für Kerzenmaschinen. Die Konkurrenz wurde nach und nach übernommen. Mit der Herstellung jeglicher Art von Maschinen rund ums Thema Kerze deckt Herrhammer den gesamten Prozess von der Rohstoffaufbereitung bis hin zur Verpackung ab und hat sich so seine Nische im weiten Feld des Maschinenbaus gesichert.
Im Besprechungsraum des Unternehmens liegt ein dezenter Wachsduft in der Luft, an der Wand reihen sich in einem Regal Kerzen aus aller Welt aneinander. Geschäftsführer Ralf Diesslin präsentiert einige auffällige Exemplare: Während man in Mexiko gern im Schein eines nach seiner Form benannten „Limonadenglases“ sitzt, ist das meistverkaufte Produkt in Slowenien ein besonders großes und massives Grablicht. Baum- und Tafelkerzen sowie Teelichter sind die Klassiker in Europa. Eine Besonderheit gibt es in Südafrika: Dort müssen alle Kerzen gerippt sein. In den USA mag man Kerzen im Glas – am liebsten in vielen verschiedenen Farben und Düften.
Auch die Religion spielt eine Rolle, wenn es um Art und Ausmaß des Kerzenverbrauchs geht. Während in christlich orientierten Ländern Kerzen symbolisch für Licht und Erleuchtung stehen, dienen sie in hinduistisch und muslimisch geprägten Ländern eher praktischen Zwecken wie der Beleuchtung. Und: „In der sogenannten ersten Welt sollen Kerzen Stimmung verbreiten, im Rest der Welt dienen sie als Notfall-Licht“, fasst der 43-Jährige zusammen.
Kerzen haben weltweit das ganze Jahr über Saison – die Nachfrage nach Kerzenmaschinen ist dementsprechend konstant. Früher war China der stärkste Markt, heute ist es Europa. „Die größten Kerzenproduzenten sitzen in Polen“, so Diesslin, „einige in Schweden.“ Gibt es weltweit ein Land, in dem noch keine Herrhammer-Maschine steht? Langes Schweigen. „In Somalia“, sagt Diesslin schließlich. „Und in den Irak liefern wir nicht mehr – wir wollen uns nicht die Geschäfte mit den USA verbauen.“
„Unsere Kundschaft sind in der Regel Familienunternehmen wie das unsere“, erzählt Diesslin. Etwa 350 Kunden habe Herrhammer, „wir kennen sie mit Namen, das sind keine bloßen Zahlen für uns.“ Neben Großaufträgen für Kerzenproduzenten, die Drogerien oder den schwedischen Möbelgiganten Ikea beliefern, gibt es auch Einzelpersonen, die eine Herrhammer-Maschine bestellen. So zum Beispiel die Kerzendesignerin Maha Alusi aus Bagdad, die mit ihrer Familie in Berlin lebt und weiße Wachs-Kunstobjekte herstellt, die wenig mit einer gewöhnlichen Kerze gemein haben.
Doch was macht ein Kunde am anderen Ende der Welt, wenn es Probleme mit seiner Maschine gibt? „Die Wartung und Reparatur ist auch von Ochsenfurt aus möglich“, erklärt Diesslin. „Fehler beheben – das können wir innerhalb weniger Minuten ganz einfach am Telefon und per Internet.“ Der Kunde schickt per Handy Fotos von der Maschine, übers Internet verbinden sich Mitarbeiter vom Firmensitz aus mit ihm. Per Ferndiagnose können auf diese Weise Kleinigkeiten programmiert und Schäden repariert werden.
Wie wichtig ist in Zeiten neuer Technologien der Standort eines Unternehmens? „Der Firmensitz in Ochsenfurt hat für uns große Bedeutung“, betont Diesslin. Da im Spezialmaschinenbereich viel Expertenwissen über eine lange Zeitspanne benötigt werde, lege man bei Herrhammer großen Wert auf eine langfristige Mitarbeiterbindung. „Unsere Leute mit dem nötigen Know-How kommen meist aus der Region“, erklärt der Geschäftsführer – und verweist mit gewissem Stolz darauf, dass es in den vergangenen zwei Jahren drei 50-jährige Firmenjubiläen gegeben habe. Die Ausbildung des eigenen Nachwuchses habe einen hohen Stellenwert. Mechatroniker, technische Produktdesigner sowie Feinwerkmechaniker können ihr Handwerk bei Herrhammer erlernen. „Was hier gemacht wird, ist die Königsdisziplin des Maschinenbaus.“
Bei einer Führung durch die helle Fabrikhalle mit großen Deckenfenstern erklärt Diesslin die Hauptprozesse der Kerzenherstellung: pressen, ziehen und abfüllen. Abgefüllt werden beispielsweise Teelichter oder Kerzen im Glas, ein Trend aus den USA, den Ikea vor etwa zehn Jahren aufgegriffen hat. Die Nachfrage nach diesen Produkten ist groß – und gut fürs Geschäft, denn: „Etwa 80 Prozent aller Anlagen, die Kerzen für Ikea produzieren, stammen von uns“, sagt Diesslin. Eine beachtliche Zahl, gilt Ikea doch als der weltweit größte Wiederverkäufer von Kerzenprodukten. Dass es die Großpackung Ikea-Teelichter seit einigen Jahren nicht mehr lose im Sack, sondern komprimiert als Block zu kaufen gibt, geht übrigens auf die Firma Herrhammer zurück.
Bei einem Wettbewerb reichten die Ochsenfurter ihren Vorschlag ein – die bessere Produktpräsentation, die zudem platzsparender ist, überzeugte Ikea. „Zwei Monate später hatten wir Bestellungen für fünf Produktionslinien dieser Verpackung, da alle Ikea-Lieferanten ihre Teelichter von da an als Block verkaufen mussten“, so Diesslin. Inzwischen ist der Block das meistverkaufte Teelicht-Produkt auf dem Weltmarkt.
Die Verkaufsschlager der Ochsenfurter ist dementsprechend eine Maschine zur Herstellung von Teelichtern. „Sie ist das einzige Produkt, das wir fürs Lager produzieren“, sagt Diesslin. 100 000 Teelichter pro Stunde spuckt sie aus. Auch Maschinen für Grablichter sind gefragt, dicht gefolgt von solchen für Kerzen im Glas.
Dennoch: Ein Standardprogramm gibt es bei Herrhammer nicht. „Jede Lieferung ist individuell angepasst“, erläutert Diesslin. Der Kunde komme mit der groben Vorstellung von einem Produkt auf die Firma zu: „Wir möchten 5000 Stück dieser oder jener Kerze pro Stunde produzieren – auf Palette.“ Dann entsteht der Konstruktionsplan. Vom ersten Shake-Hands bis zur Installation dauert es etwa ein halbes Jahr. Konstruktion und Montage finden zwar stets in Ochsenfurt statt, kleinere Baugruppen werden aber auch zugekauft. „Konstruktion und Montage sind die wichtigsten Bereiche mit dem größten Know-how", so Diesslin.
Auch wenn der Kerzenmarkt nicht expandiert – die Zukunftsaussichten sind stabil. Während in den Jahren der Weltwirtschaftskrise 2008 und 2009 viele Unternehmen um ihre Existenz bangten, verbuchte man die Zeit bei Herrhammer als „ganz normal“ – ohne eine einzige Entlassung. „Je schlimmer die Krise, desto mehr Kerzen werden verbrannt.“ Auch die Ölkrise entpuppte sich im Nachhinein als Chance für die Branche: Als das Paraffin zur Kerzenherstellung knapp wurde, kamen alternative Rohstoffe wie Palmöl und Sterine aus tierischen und Pflanzenfetten auf. Um die verwenden zu können, brauchte man allerdings neue Maschinentypen – was wiederum der Firma Herrhammer zahlreiche Aufträge bescherte.
Das Jahr 2016 bringt Herrhammer das bisher größte Projekt seiner Unternehmensgeschichte: Ein Kunde aus den USA expandiert nach Europa und gründet in der tschechischen Republik eine neue Fabrik. Die kompletten fünf Produktionslinien dafür kommen aus Ochsenfurt.