Zum 1. Oktober wird Ivo Knahn Chefredakteur für alle Publikationen der Mediengruppe Main-Post. Der 46-Jährige stammt aus Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart), lebt heute im Landkreis Würzburg und ist Vater von vier Kindern. Er hat bei der Main-Post volontiert, später war er dort unter anderem als Redaktionsleiter, Art Director und Transformationsmanager tätig. Seit 2017 war Knahn Stellvertreter von Chefredakteur Michael Reinhard. Im Interview erläutert er, welchen Herausforderungen sich Journalismus in digitalen Zeiten stellen muss und warum er sich von seiner Redaktion manchmal mehr Widerspruch wünscht.
Ivo Knahn (lacht): Ist die Frage ernst gemeint? Wir kennen uns seit vielen Jahren. Und ich bin kein anderer Mensch, nur weil ich jetzt Chefredakteur bin. Ich hoffe, dass niemand wegen meiner neuen Position sein Verhalten mir gegenüber ändert.
Knahn: Die Veränderung an sich, sie hat mich von Beginn an begleitet. Ich habe in der Redaktion noch Schwarz-Weiß-Filme entwickelt. Dann gab es die erste Digitalkamera. So ging es immer weiter. In all den Funktionen, die ich in den 30 Jahren übernommen habe, musste ich mich immer verändern. Und das macht mir Spaß. Ich bin vom Typ her so, ich verändere mich gerne.
Knahn: Natürlich werden wir uns weiter entwickeln. Mit dem Chefredakteur-Wechsel hat das aber nichts zu tun. Dieser Übergang wird ein sehr ruhiger sein. Michael Reinhard hat mich in seinen 21 Jahren als Chefredakteur immer begleitet. Als er in Würzburg angefangen hat, habe ich hier volontiert. Unser Miteinander ist mit den Jahren immer enger geworden, seit 2017 war ich dann sein Stellvertreter. Er war auch mein persönlicher Coach in dieser Zeit und ich habe unendlich viel von ihm gelernt. Zum einen ist er journalistisch eine Instanz, die der gesamten Redaktion Sicherheit gegeben hat. Zum anderen hat er mit seinem Führungsstil ein Klima in der Redaktion geschaffen, um das uns viele Medienhäuser beneiden. Er hat eine Diskussionskultur geprägt, die auch harte Kritik möglich macht, in der wir aber doch immer wohlwollend und gut miteinander umgehen. Dafür bin ich ihm sehr, sehr dankbar.
Knahn: Ich erinnere mich an Robert Geis, meinen ersten Redaktionsleiter in Marktheidenfeld. Der hat immer gesagt: Ihr müsst raus zu den Leuten. Dieser Satz, der gilt gerade im Lokaljournalismus auch heute noch. Wir müssen uns mit den Menschen vor Ort vernetzen – analog wie digital. Wir wollen sie in ihrem Alltag begleiten und wissen, was sie bewegt. Gleichzeitig ist die Art und Weise, wie wir heute erzählen und veröffentlichen, vielfältiger geworden. Früher gab es einen Kanal, nämlich die Zeitung. Bis zum täglichen Redaktionsschluss konnten wir uns mit viel Ruhe und Zeit genau überlegen, was wir veröffentlichen. Heute gibt es unzählige Kanäle, die wir rund um die Uhr bedienen. Wir haben permanent Redaktionsschluss. Dadurch ist das Geschäft schneller geworden.
Knahn: Nein, überhaupt nicht. Wir reden in der Redaktion unheimlich viel über journalistisches Handwerk. Heute kann ein jeder rund um die Uhr in den sozialen Medien seine Sicht der Dinge ungefiltert veröffentlichen. Aber jeder oder jede, die dort sendet, ist noch lange nicht Journalist oder Journalistin. Um glaubwürdig und relevant zu sein, sind andere Qualitäten gefragt.
Knahn: Das Foto von einer Scheckübergabe an einen Kindergarten oder Verein, das war früher eine Aufgabe, die Lokalredakteure hatten. Das machen wir heute nicht mehr selbst, weil wir sagen, das ist eine Information, für die es keine journalistischen Fertigkeiten wie Recherche oder eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gegenüber braucht. Solche Inhalte veröffentlichen wir weiter gerne. Aber wir lassen sie uns von den Betroffenen liefern, zum Beispiel vom Verein oder Kindergarten.
Knahn: Ja, das ist teilweise so. Aber diese Veränderung ist notwendig, um mehr Ressourcen für journalistische Tätigkeiten wie Recherche zu haben. Das ändert nichts an unserer Wertschätzung für das Ehrenamt. Diese Inhalte finden ja weiterhin in der Zeitung und auf mainpost.de statt. Das ist doch das Wichtigste – für die Vereine und für die Leserschaft.
Knahn: Ich glaube, dieses ständige Feedback von Leserinnen und Lesern im Digitalen macht den Journalismus besser. Wir wissen heute besser, welche Themen die Menschen bewegen. Früher waren wir da oft allein auf unser Bauchgefühl angewiesen. Anhand des Nutzungsverhaltens lässt sich auch erkennen, ob eine Geschichte schon auserzählt ist oder ob sich weitere Recherchen lohnen.
Knahn: Ich finde das Wort Klick ganz furchtbar. Das ist billig. Und der Vorwurf ist Quatsch. Unser Job ist es, Öffentlichkeit herzustellen. Jeder Journalist, der es nicht schafft, mit seinem Inhalt eine relevante Anzahl an Menschen zu erreichen, muss sich fragen, warum das so ist. Und da helfen uns Kennzahlen sehr gut. Das darf allerdings nicht dazu führen, dass wir ausschließlich die Themen machen, die eh gut 'geklickt' werden. Wir müssen uns vielmehr fragen, warum Inhalte, die wir für wichtig halten, nicht gut genutzt werden. Liegt es am Thema? Oder liegt es an unserer Aufarbeitung? Oft liegt es an der Aufarbeitung. Da sind wir als Journalisten mit all unserer Kreativität gefragt.
Knahn: Es gibt Medienhäuser, die schreiben ihren Journalistinnen und Journalisten vor, wie viele Texte sie jeden Tag oder jede Woche zu liefern haben. Davon halte ich gar nichts. Natürlich kann sich keiner ausruhen. Aber wir erreichen Menschen nicht durch viele Inhalte, sondern durch gute. Ich bin überzeugt, dass es auch mal notwendig ist, sich drei, vier Tage oder viel länger mit einem Thema zu beschäftigen. Und es gehört dazu, dass nach tagelanger Recherche auch mal nichts Verwertbares rauskommt. Das macht Journalismus so aufwendig. Aber nur so können wir unserer Kritik- und Kontrollfunktion gerecht werden. Und das tun wir.
Knahn: Wir decken Mietskandale in Würzburg auf, wir bringen Amtsmissbrauch in der Schweinfurter Stadtverwaltung an die Öffentlichkeit, wir bleiben über Jahre an Missbrauchsfällen in der Kirche dran. Ganz aktuell ist der Wassermissbrauch in der Bergtheimer Mulde, der durch unsere Recherchen aufgedeckt wurde. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Missstände aufzuklären, bleibt eine unserer wichtigsten Aufgaben. Wir haben mehr als 70 festangestellte Reporterinnen und Reporter im Einsatz. Dazu kommen Hunderte freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Kolleginnen und Kollegen, die für die Öffentlichkeit unsichtbar, aber genauso professionell die Zeitung produzieren oder sich um das Ausspielen im Internet kümmern. Permanent arbeiten wir mit Experten aus anderen Bereichen zusammen, zum Beispiel Entwicklern, Datenspezialisten oder Mediengestalterinnen. Journalismus ist Teamarbeit, die viel Geld kostet, die aber existenziell ist für eine funktionierende Gesellschaft. Dass wir dabei auch Fehler machen, will ich gar nicht verschweigen. Die korrigieren wir aber immer transparent.
Knahn: Wichtig ist wirtschaftliche Unabhängigkeit. Dafür sind wir als Unternehmen erstmal selbst verantwortlich. Aber wir haben auch das Glück, zur Mediengruppe Pressedruck in Augsburg zu gehören. Die Verantwortlichen dort fordern publizistische Qualität ein und wissen, dass diese Geld kostet. Das zweite Thema ist: Wie sichern wir auch redaktionsintern eine Unabhängigkeit?
Knahn: Wir haben uns nicht nur, wie alle seriösen Verlagshäuser, dem Pressekodex verpflichtet. Wir haben darüber hinaus eigene journalistische Leitlinien erarbeitet, die öffentlich nachzulesen sind. Da sind unter anderem Regeln zum Umgang mit ungesicherten Informationen festgeschrieben, zu diskriminierungsfreier Sprache, aber auch zu Fragen von Compliance. Dieses Regelwerk ist eines der großen Verdienste von Michael Reinhard. Im Entstehungsprozess hat er unzählige Debatten in der Redaktion angestoßen. Auf diese Diskussionskultur baue ich auch künftig. Wir müssen ständig intern über unsere Inhalte und Abläufe diskutieren. Ich würde mir manchmal noch mehr Widerspruch von Kolleginnen und Kollegen wünschen. Wir sind uns oft zu schnell einig. Vielleicht bin ich da auch selbst manchmal zu schnell mit Entscheidungen.
Knahn: Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht Chefredakteur geworden, sondern würde in einer Zaubershow auftreten. Vielleicht hilft der Blick fünf Jahre zurück: Damals war das Team im Schnitt drei Jahre älter als heute, damals hatten wir sieben Prozent Frauen in Führungspositionen, heute sind es 53 Prozent. Vor fünf Jahren haben wir monatlich im Digitalen etwa 30 bis 50 Abonnenten gewonnen, heute gewinnen wir 700 bis 800 Abonnenten. Das stimmt mich hoffnungsvoll, auch wenn es deutlich schwieriger ist, Digital-Abonnenten dauerhaft zu halten als einen Printleser. Wir sind ein Haus, das mit viel Selbstvertrauen und großer Erfahrung ständig neue Herausforderungen angeht. Gleichzeitig wissen wir, dass die Zeiten wirtschaftlich eher noch schwieriger werden. Einerseits verlieren wir in Print Auflage, andererseits ist die Bereitschaft, für digitalen Journalismus zu bezahlen, noch nicht so ausgeprägt, wie sie es sein müsste. Wir erreichen heute zwar so viele Menschen mit unseren Inhalten wie nie zuvor. Aber die Frage lautet: Wie lässt sich Journalismus auch in fünf oder 15 Jahren finanzieren? Die Antwort, die suchen wir noch. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir sie finden.
Das Gespräch führten Julia Back (36) und Michael Czygan (59). Back hat 2013 bei der Main-Post volontiert, seit Juni 2022 ist sie Redaktionsleiterin in der Rhön. Czygan hat 1985 bei der Main-Post volontiert, nach mehreren Stationen in der Rhön und in Würzburg ist er seit April 2012 stellvertretender Leiter der Regionalredaktion.
Widerspruch, bzw. offene Diskussion von Lesern ist anscheinend unerwünscht. Es wird zu sehr auf Schülerzeitungs-Niveau und leider auch manchmal ohne viel Hintergrundwissen zensiert.
Aber ich würde mit auch wünschen, wenn es wieder mehr Wertschätzung gäbe.
Wertschätzung im politschen Stil und Wertschätzung den Menschen gegenüber. Das sind die Politiker ALLER Farben, aber auch die Menschen draußen und in den Vereinen.
Daher bin ich nicht sicher, ob der Weg, sich von den Menschen, von den Vereinen und vom Ehrenamt zu entfernen ein guter Weg ist. Das wird zur Folge habenb, dass sich Leser entfernen werden. Vereine wollen sich sehen, wollen auch Wertschätzung erfahren, Die Leistung eins 75 jährigen mit 50 Jahre in einem Verein muss gewürdigt werden. Wenn erwartet wird, dass das selbst geliefert wird oder werden muss, wird das zum Rohrkrepierer. das hat die Mediengruppe Oberfranken als Beweis geliefert. Die Vereine sind enttäuscht, Das Ehrenamt nicht gewürdigt oder wertgeschätzt. das kann ein Verein nicht selbst machen!
Die MP muss wieder näher zum Menschen statt sich zu entfernen! Sie wird austauschbar!
So ist man abhängig von der Meinung eines Redakteurs und der politischen Ausrichtung eines Unternehmens und ausgeliefert...
Mittlerweile ist sie oft schon zu sehr klein-klein, provinziell und heimat-tümlich-duckmäuserisch. Die "richtigen" Zeitungen, mit Journalisten die einen weiteren Horizont bedienen sind da mutiger.