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Geroldshausen
Neuer DenkOrt Deportation in Geroldshausen: Zentralratspräsident Schuster ist besorgt um die Erinnerungskultur
Im Heimatdorf des KZ-Arztes Wirths erinnert nun ein Koffer an die im Holocaust ermordeten Jüdinnen und Juden aus Geroldshausen. Ein besonderer Tag mit besonderen Gästen.
Ein steinerner Koffer erinnert nun auch in Geroldshausen an Juden und Jüdinnen aus dem Ort, die im Holocaust von Nationalsozialisten ermordert wurden. Unter den Gästen waren auch Christoph Heubner vom Auschwitz-Komitee (Dritter von links) und  Josef Schuster (Vierter von links), Präsident des Zentralrates der Juden. 
Foto: Silvia Gralla | Ein steinerner Koffer erinnert nun auch in Geroldshausen an Juden und Jüdinnen aus dem Ort, die im Holocaust von Nationalsozialisten ermordert wurden.
Thomas Fritz
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:26 Uhr

Abraham Maier, Salomin Bierig, seine Ehefrau Therese (geb. Mayer) und Emma Maier waren Jüdinnen und Juden aus Geroldshausen. Abraham Maier wurde 1940 im Alter von 63 Jahren in die NS-Tötungsanstalt Hartheim bei Linz deportiert - und noch am Ankunftstag ermordet. Emma Maier wollte eigentlich in einem jüdischen Altersheim in Würzburg zur Ruhe kommen, hatte aber nur wenige Monate, bis das NS-Regime sie im September 1942 nach Theresienstadt deportieren ließ, wo sie am 7. November im Alter von 76 Jahren verstarb. 

Auch das Ehepaar Bierig hatte kein Glück. 1942 mussten sie am Bahnhof in Geroldshausen, ihrem Heimatort, in den Zug steigen, der sie über Würzburg nach Polen brachte. 80 Jahre nach ihrer Ermordung steht seit Sonntag nun ein steinerner Koffer schräg gegenüber vom Bahnhof in Geroldshausen - ein neuer DenkOrt der Deportationen 1941 bis 1944.  

Jahrzehntelang stand in Geroldshausen der Name des KZ-Arztes Wirths am Kriegerdenkmal

"Die Koffer, Decken und Taschen - sie berühren. Sie geben das gespenstische Gefühl einer Reise ohne Wiederkehr", sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden bei der Enthüllung des neuen Gepäckstücks, die es mittlerweile in 80 unterfränkischen Gemeinden gibt. "Sie sind Zeugnis für das tiefe Erbe und die Spuren, die Juden hier in Unterfranken hinterlassen haben. Die jüdische Geschichte dieser Orte konnten die Nazis nicht auslöschen, so sehr sie es versucht haben", so Schuster. 

"Dass der Name Wirths so lange auf dem Denkmal stehen konnte, ist schändlich genug."
Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland

"Der Koffer soll eine immerwährende Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus sein und eine Mahnung, dass sich das nicht wiederholen darf", sagte Bürgermeister Gunther Ehrhardt.

Dass im Ort heute offener über die dunkle Zeit des Nationalsozialismus und den Umgang mit den Geroldshäuser Juden gesprochen wird, war nicht immer so. Noch in diesem Jahrhundert wäre es vielen recht gewesen, die Geschehnisse am liebsten unter den Tisch zu kehren.

So fand es auch niemand befremdlich, dass auf dem örtlichen Ehrenmal für die gefallenen und vermissten deutschen Soldaten auch der Name Eduard Wirths eingemeißelt wurde, obwohl viele wussten, dass der Sohn einer bedeutenden Steinmetzfamilie aus Geroldshausen als leitender Standortarzt im Konzentrationslager Auschwitz an der Ermordung hunderttausender Menschen beteiligt oder dafür verantwortlich war. 

Name von NS-Massenmörder Wirths wurde erst 2021 vom Kriegerdenkmal entfernt

Erst 2021 wurde der Name des Massenmörders aus dem Stein entfernt. "Dass er überhaupt so lange auf dem Denkmal stehen konnte, ist schändlich genug", betonte Zentralratspräsident Schuster. Er sieht aber auch die Courage der Verantwortlichen in Geroldshausen, "die Unanständigkeiten aus der unmittelbaren Nachkriegszeit zu korrigieren". 

Das Kriegerdenkmal in Geroldshausen: Der Name von KZ-Arzt Eduard Wirths wurde erst 2021 entfernt.
Foto: Thomas Fritz | Das Kriegerdenkmal in Geroldshausen: Der Name von KZ-Arzt Eduard Wirths wurde erst 2021 entfernt.

"Auschwitz-Überlebende hat bewegt, was in Geroldshausen geschehen ist", sagte Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees. Dass ein Ort den Namen eines Täters vom Ehrenmal entfernt, sei ein Zeichen, dass Fakten geschaffen würden, "in Gerechtigkeit der Geschichte gegenüber". Denn die Demokratie brauche Menschen, "die laut sind, die kritisch hinterfragen", so Heubner. 

Warum sich Zentralratspräsident Schuster um die Erinnerungskultur sorgt

Zuvor hatte Schuster darauf hingewiesen, dass es mittlerweile in Deutschland Kräfte gibt, die "die Last von Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Majdanek, Bergen-Belsen und all dieser Orte des Menscheitsverbrechens Schoa abschütteln wollen". So warnt der Zentralratspräsident davor, dass "geistige Brandstifter", über kurz oder lang in der Erinnerungskultur mitentscheiden und ihre Vorstellungen durchsetzen würden.

"In Gemeinderäten, Kreis- und Landtagen oder im Bundestag sitzt die AfD schon, auch in den Gremien der Gedenkstätten. Hier brauchen sie keine Regierungsbildung, um ihre Vorstellung von einem Deutschland mit einer goldenen Vergangenheit umsetzen zu können", sagte Schuster, der eine jüngste Umfage der Bertelsmann-Stiftung zitiert. Demnach wünschten sich 49 Prozent der Deutschen einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit. "Diese Zahl ist erschreckend."

"Mit Entsetzen nehmen wir wahr, dass gewalttätige Übergriffe auf Jüdinnen und Juden geschehen", sagte Landrat Thomas Eberth. Der Staat und jeder sei gefordert, sich dem entgegenzustellen. Eberth setzt dabei auf die Völkerverständigung, die es seit 1990 durch einen Jugendaustausch zwischen dem Landkreis Würzburg und seinem israelischen Partnerlandkreis Mateh Yehuda gibt. 

In Geroldshausen hat sich eine Gruppe von sechs Frauen für den DenkOrt eingesetzt

"Wir dürfen nicht wegsehen", sagte Michaela Küchler, Diplomatin im Auswärtigen Amt und bis Juli dieses Jahres Sonderbeauftragte für Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitismusfragen. Sie spricht die besondere Verantwortung ihres Berufsstandes an, denn am Leid von Millionen Menschen "tragen auch Beamte des Auswärtigen Amts Schuld, die sich in den Dienst von Verbrechen und Völkermord des Nazi-Regimes gestellt haben." 

Benita Stolz, Vorsitzende des Vereins DenkOrt Deportationen, möchte, dass in allen 109 ehemals jüdischen Gemeinden Unterfrankens ein Koffer an die Deportation von Jüdinnen und Juden erinnert. 29 fehlten noch. In Geroldshausen sei es eine Gruppe von sechs Frauen gewesen, die sich nachdrücklich dafür einsetzten, dass auch in ihrem Dorf ein DenkOrt entsteht.  

 
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