
Das Kriegerdenkmal in der kleinen Gemeinde Geroldshausen im Landkreis Würzburg ist Anfang der 1950er Jahre zu Ehren der gefallenen und vermissten Soldaten des Ortes errichtet worden. Unter ihnen wird seitdem auch der leitende Standortarzt des Konzentrationslager-Komplexes Auschwitz, Eduard Wirths aufgeführt. Trotz der großen Kritik daran sind sich die Gemeinderäte einig: Der Name bleibt erst einmal auf dem Denkmal. Der Göttinger Historiker Dr. Stefan Hördler gilt als Experte für NS-Verbrechen. Im Gespräch erklärt er, wie stark Wirths in das KZ-System Auschwitz eingebunden war.
Dr. Stefan Hördler: Der ehemalige SS-Arzt Eduard Wirths war in der öffentlichen Auseinandersetzung bisher wenig präsent. Dabei spielt sicher auch sein früher Tod eine Rolle. Er wurde weder angeklagt, noch verurteilt. Mengele war indes lange am Leben, ist untergetaucht, wurde Jahrzehnte gesucht und hat sich durch seine pseudo-medizinischen Experimente einen berüchtigten Ruf erworben. Demgegenüber blieb Wirths, der als Standortarzt des KZ-Komplexes Auschwitz die Gesamtverantwortung trug, für zahlreiche Häftlinge eher im Hintergrund. Anders war es bei Mengele oder auch bei den Block- oder Rapportführern, also eher bei mittleren Diensträngen in der Lagerhierarchie. Sie waren viel präsenter, weil sie tagtäglich im Lager ihren Dienst versehen haben.

Hördler: Mengele konnte trotz signifikanter Handlungsspielräume nicht willkürlich und ohne Rücksprache agieren. Als Standortarzt war Wirths für alle medizinischen Vorgänge verantwortlich. Ihm unterstanden alle Lagerärzte, aber auch alle Truppenärzte. Das macht zugleich nochmal die Rolle von Eduard Wirths deutlich. Er war niemand, der nichts wusste. Ganz im Gegenteil.
Hördler: Er war der leitende SS-Arzt im gesamten KZ-Komplex. Und dieser Standort umfasste sowohl die drei eigenständigen Lager: das Stammlager Auschwitz I, Auschwitz II Birkenau und Auschwitz III Monowitz mit allen Außenlagern. Das heißt, jedes dieser Lager hatte einen eigenen Lagerkommandanten und Lagerarzt, aber der Standortarzt Wirths war übergeordnet für alle SS-Ärzte zuständig. Im Rahmen des "Ungarn-Programms" und der Ermordung von mindestens 325 000 Menschen unmittelbar nach ihrer Ankunft zwischen Mai und Juli 1944 gab es einen enormen Personalwechsel. Zahlreiche Mordexperten wurden nach Auschwitz versetzt, andere verließen das Lager, Standortarzt Wirths blieb vor Ort. Das unterstreicht seine Bedeutung.
Hördler: Er wusste es nicht nur, er hat es auch täglich federführend organisiert. Zugleich "bewährte" er sich in den Augen seiner Vorgesetzten. Denn sonst hätte er sich auf diesem Posten nicht so lange halten können.
Hördler: Diese Entscheidung wurde zentral getroffen. Eduard Wirths war frühzeitig eingebunden und führte schon in den 1930er-Jahren Zwangssterilisationen in der Frauenklinik in Jena durch. Er hat beim Thüringischen Landesamt für Rassewesen in Weimar gearbeitet. Das ist ein frühes Indiz dafür, dass er sehr einvernehmlich mit diesem System gearbeitet hat. Anfang 1942 wurde er aus gesundheitlichen Gründen von der Ostfront abgezogen und als Lagerarzt in Dachau eingesetzt und eingearbeitet. Für seine Vorgesetzten war er offenbar für den KZ-Dienst geeignet und kam schließlich über das KZ Neuengamme nach Auschwitz. Am Ende dieser Radikalisierung stand seine maßgebliche Beteiligung an den Selektionen und am hunderttausendfachen Massenmord in Auschwitz.

Hördler: Für einen Historiker ist es schwierig, das einzuschätzen. Nachweisbar ist hingegen, dass er sich überobligatorisch eingebracht hat und die Karriereleiter schnell nach oben stieg. Und das ist ein deutliches Indiz dafür, dass er sich außerordentlich stark im KZ-System verortete und augenscheinlich kein Problem mit dem täglichen Dienst in diesem Gewaltraum hatte. Denn er hätte sich jederzeit versetzen lassen können.
Hördler: Aus Sicht seiner Vorgesetzten muss Wirths eine "reibungslose" Arbeit in Auschwitz geleistet haben, sonst hätte man seine Auswechslung beantragt. Mit seinem Dienstantritt in Auschwitz zog die Kontinuität ein. Vorher gab es auf seinem Posten eine hohe Fluktuation. Überdies wurde Wirths in Auschwitz befördert. Er erreichte den Dienstrang eines Sturmbannführers, also Majors, und hatte damit 1944 einen höheren Dienstgrad als die Lagerkommandanten in Birkenau und Monowitz.
Hördler: Mehrere. Bis 1944 erhielt er unter anderem das Kriegsverdienstkreuz II. und I. Klasse mit Schwertern. Diese Auszeichnungen wurden im KZ-System sehr häufig für die Beteiligung an Massentötungen verliehen. Vor diesem Hintergrund darf nicht vergessen werden, dass Mitte 1943 die großen Gaskammern und Krematorien in Auschwitz-Birkenau fertig gestellt wurden. Wichtig für die SS war im September 1944 die Fertigstellung des SS-Lazaretts in Birkenau. Seine Auszeichnung ist also im Zusammenhang mit dieser Mordaktion und seinem Engagement für das SS-Personal und deren medizinische Versorgung zu sehen.
Hördler: Viel wichtiger erscheint in diesem Kontext das Selbstbild der SS. Wenn wir beispielsweise Heinrich Himmlers Rede heranziehen, die er 1943 vor SS-Generälen in Posen gehalten hat, dann hilft das vielleicht auch für das Verständnis von Eduard Wirths. Darin sprach Himmler unverhohlen über Tausende von Leichen und den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden, er entwarf den Begriff der Anständigkeit. Sinngemäß sagte er, das größte Verdienst sei es gewesen, bei all diesen Morden, für die also auch Wirths an führender Stelle verantwortlich war, anständig geblieben zu sein. Also sie im Sinne der SS nüchtern, zielorientiert, effizient durchgeführt zu haben, ohne dabei zusammenzubrechen, ohne sadistische Gewaltexzesse, Alkoholismus oder Korruption, ohne Realitätsverlust.

Hördler: Mit Blick auf die Führungsstruktur in Ausschwitz meint dies unter anderem das Zusammenspiel von Dienst und Privatheit. Sie ermordeten tausende Menschen am Tag, gingen dann nach Hause und waren oder inszenierten sich als liebevolle Familienväter, die mit ihren Kindern spielten. Eduard Wirths entsprach diesem Verständnis der SS von "Anständigkeit" und heiler Familienwelt. Und er sah sich selbst auch als anständigen Menschen an, der am Ende noch behauptete: Hätte es mich nicht gegeben, wären noch mehr Menschen ermordet worden. Was im Übrigen auch der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß von sich sagte.
Hördler: Im KZ-System spielten ab 1944 utilitaristische Faktoren eine zunehmende Rolle. Das heißt nicht, dass der Rassismus seine zentrale Bedeutung verlor. Mit Blick auf die Kriegsentwicklung besaßen in der zweiten Kriegshälfte Zwangsarbeit und Rüstungsproduktion ein enormes Gewicht. Selektionskriterien waren nicht mehr ausschließlich rassistisch, sondern orientierten sich ebenso an Nützlichkeitserwägungen der SS. So wurden Menschen am Leben erhalten, die aus Sicht der SS einen Wert für das NS-System hatten. Von "körperlich mangelhaftem Menschenmaterial", wie es ein SS-Hygieniker Ende 1943 menschenfeindlich bezeichnete, trennte man sich. Das subjektive Gefühl, gerettet worden zu sein, muss nicht zwangsläufig im Widerspruch zu diesem Kausalgerüst stehen.
Hördler: Auch das gehörte zum Alltag der SS im KZ Auschwitz. Wirths konnte seinen mörderischen Dienst absolvieren und war danach ein angenehmer Gast in der Gesellschaft. Er saß zusammen mit dem langjährigen Lagerkommandanten Höß am Tisch, das zeigt außerdem, dass die beiden gut miteinander klar kamen.
Hördler: Zwischen 1942 und 1945 sind in Auschwitz Hunderttausende unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet worden. Allein zwischen Mai und Juli 1944 waren es über 325 000 Menschen - und der leitende SS-Arzt, dem jeder Lagerarzt auf der Rampe unterstellt war, war Wirths. Er blieb ohne Auswechselung bis zur Räumung des Lagers, kein anderer SS-Arzt versah länger Dienst in Auschwitz als er.
Ich denke es es wird sicher bald eine Lösung in dieser Angelegenheit (Kriegerdenkmal) gefunden werden. Aber da die ganze Angelegenheit wirklich "monströs" ist, ist es auch sinnig sich vorab über die genaue Vorgehensweise Gedanken zu machen!
In der Sache sind sich die Beteiligten ja einig! Und die Sache wird auch nicht wie viele andere unliebsame Dinge ausgesessen werden - da bin ich mir sicher.
Wenn man Kommentare liest wie z.B. "haben wir keine andere Sorgen???" bleibt mir die Sprache weg. Es ist ja nicht so, dass sich ganz Deutschland nun ausschließlich darüber Gedanken macht wie es nun in Geroldshausen weitergeht.
Es ist die Sache der Gemeinde Geroldshausen zu entscheiden - und hier fällt mir tatsächlich kein dringlicheres, wichtigeres Thema ein was dort vor Ort momentan zu entscheiden wäre!
Und den aktuellen Ratsmitgliedern und dem jetzigen Bürgermeister sei gesagt.
Jeder Tag an dem der Name länger am Denkmal zu lesen ist, ist ein Tag der Feigheit, des Leugnens und des Drückens vor Verantwortung und damit das Verhöhnen der Opfer des Nazi-Terrors.
Sie finden es also normal, dass das Andenken an normale Frontsoldaten durch die gleichzeitige Auflistung mit einem Verbrecher in den Schmutz gezogen wird?
Ich möchte nicht, dass da ein Verwandter zusammen mit einem Verbrecher an einem Gedenkstein erwähnt würde.
Dieser Verbrecher war nie einer persönlichen Gefahr ausgesetzt. Er hat eine Mord- und Vernichtungsfabrik geleitet und Hunderttausende Menschen in den Tod geschickt in der Mitverantwortung einer menschenverachtenden Ideologie. Er hat bewusst mitgewirkt am Holocaust.
Die meisten gefallenen Soldaten jedoch, wie auch zwei meiner Onkel, wurden jedoch als Jugendliche von einer Ideologie indoktriniert und als Kanonenfutter in Materialschlachten verheizt, ohne eine Chance zu haben sich dieser Kriegsmaschinerie zu entziehen. Diese wären mt Sicherheit lieber weiterhin ihren zivilen Berufen nachgegangen als Bauern oder Handwerker oder hätten vielleicht auch erst ihre Ausbildung oder Studium zu Ende gebracht.
Diesen Unterschied muss man doch sehen, auch deshalb um heutigen Rattenfängern nicht auf den Leim zu gehen.
Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob du als Landser verpflichtet eingezogen wirst oder als Zeit- oder Berufssoldat freiwillig hinrennst.
Ich habe zwangsverpflichtet dienen müssen und kenne den Unterschied .
Du anscheinend nicht
Einfach so drauf loszumeiseln wäre dann, nebenbei bemerkt, Sachbeschädigung.
Zu Dr. Ed. Wirths noch ein Satz.
Die Gemeinde hat mit einer Tafel reagiert. Nach Einholung weiterer Informationen wird der Name sicher entfernt und gut ist es. Es gibt noch unbescholtene Nachkommen des Mannes in Geroldshausen. Da muss man sensibel handeln und nicht mit dem Vorschlaghammer aufs Kriegerdenkmal einschlagen.
Viele Kriegsheimkehrer und Die jenigen die in einen gefangenenlager waren zB
Rheinwiesenlager sind teils verhungert oder wurden von den US truppen wilkürlich erschoßen