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Würzburg
Neue Ermittlungen mehr als ein Jahr nach dem Messerangriff in Würzburg: Haben Ärzte den Täter falsch behandelt?
Die Staatsanwaltschaft geht einer anonymen Anzeige nach, in der von "unterlassener Hilfeleistung" die Rede ist. Doch warum wird das Thema jetzt noch einmal aufgerollt?
Das Zentrum für Seelische Gesundheit in Würzburg: Gegen Ärztinnen und Ärzte richtet sich eine anonyme Anzeige.
Foto: Fabian Gebert | Das Zentrum für Seelische Gesundheit in Würzburg: Gegen Ärztinnen und Ärzte richtet sich eine anonyme Anzeige.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 17:27 Uhr

Wurde der psychisch kranke Messerangreifer von Würzburg vor seiner Tat falsch behandelt? Diese Frage beschäftigt nun die Würzburger Staatsanwaltschaft – mehr als ein Jahr nach der Tat und rund zwei Monate nachdem das Landgericht Abdirahman J. verurteilte und ihn in der geschlossenen Abteilung einer forensischen Klinik unterbringen ließ. Es habe eine "anonyme Anzeige" gegen Ärztinnen und Ärzte des Zentrums für Seelische Gesundheit (ZSG) in Würzburg gegeben, bestätigt Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach Informationen der Redaktion. Die Kriminalpolizei "wurde mit der Durchführung von Ermittlungen beauftragt".

In der Anzeige werde dem Leiter des ZSG, Professor Dominikus Bönsch, und weiteren "namentlich unbekannten Mitarbeitern" der psychiatrischen Klinik unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen – wegen einer "angeblich fehlerhaften Behandlung". Die "konkreten Vorwürfe", würden nun geprüft, so Seebach. Insbesondere gelte es "zu klären, ob der angeblich Geschädigte", also der inzwischen rechtskräftig verurteilte Messerangreifer, "sich überhaupt falsch behandelt sieht".

Pflichtverteidiger: "Werde mich nicht an der Sache beteiligen"

Der damals wohl 31-jährige J. hatte im Juni 2021 in der Würzburger Innenstadt mit einem Küchenmesser drei Frauen getötet und weitere Menschen teils schwer verletzt. Gutachter diagnostizierten bei ihm eine paranoide Schizophrenie, weshalb er als schuldunfähig eingestuft wurde. In den Jahren vor der Tat war er mehrmals in psychiatrischer Behandlung, darunter zwischen Herbst 2019 und der Tat viermal im ZSG.

Blick auf den Tatort: der Barbarossaplatz in der Würzburger Innenstadt am Tag nach der Tat.
Foto: Patty Varasano | Blick auf den Tatort: der Barbarossaplatz in der Würzburger Innenstadt am Tag nach der Tat.

Bislang hat der Messerangreifer gegen seine Ärztinnen und Ärzte "keine Vorwürfe erhoben", betont Seebach. Das bestätigt auf Nachfrage der Pflichtverteidiger von Abdirahman J., der Würzburger Anwalt Hanjo Schrepfer. "Wir haben Ärzte des ZSG im Prozess gehört und ich habe keinen Anlass an deren Aussagen zu zweifeln", wonach es keine Hinweise auf eine Fremd- oder Selbstgefährdung gegeben habe, die eine Einweisung seines Mandanten gegen seinen Willen ermöglicht hätten. Mit Blick auf die neuen Ermittlungen betont Schrepfer: "Ich werde mich juristisch nicht an der Sache beteiligen."

Wurde die Frage nach der Behandlung des Täters nicht längst geklärt?

ZSG-Chef Bönsch reagierte überrascht auf die Ermittlungen, von denen er von der Redaktion erfuhr. Direkt nach dem Messerangriff seien alle Akten im ZSG, die den Täter betreffen, beschlagnahmt worden, sagt er, "ich und meine Mitarbeiter wurden intensiv verhört". Im Verfahren gegen den Messerangreifer "wurde kein Stein auf dem anderen gelassen". Er könne sich daher nur einen Ausgang der aktuellen Ermittlungen vorstellen: deren Einstellung.

'Die Behandlung war korrekt': ZSG-Chef Professor Dominikus Bönsch.
Foto: Thomas Obermeier | "Die Behandlung war korrekt": ZSG-Chef Professor Dominikus Bönsch.

Doch warum wird in der Sache jetzt überhaupt noch einmal ermittelt? Wurde die psychiatrische Behandlung des Täters nicht im Zuge der monatelangen Ermittlungen zum Messerangriff unter die Lupe genommen? Oberstaatsanwalt Seebach verweist hier auf die Generalstaatsanwaltschaft München, die das Verfahren gegen J. geführt hatte. Inwieweit dabei die Frage nach möglichen Behandlungsfehlern geprüft wurde, sei nämlich bei der Staatsanwaltschaft Würzburg "nicht bekannt", so Seebach.

Generalstaatsanwaltschaft München sah "keinen Anfangsverdacht"

Auf Nachfrage dieser Redaktion erklärt ein Sprecher der Münchener Behörde, Ermittlungen dürften nur bei einem Anfangsverdacht eingeleitet werden. Daraus, dass man "kein Ermittlungsverfahren gegen die behandelnden Ärzte" des Messerangreifers eingeleitet habe, ergebe sich, "dass wir keinen Anfangsverdacht gesehen haben".

Entsprechend gelassen blickt Dominikus Bönsch auf die aktuelle Entwicklung. "Wir haben uns ganz intensiv mit dem Fall beschäftigt" und damit, wie die Behandlung des späteren Täters ausgesehen habe, so der Ärztliche Direktor. Auch aus heutiger Sicht könne er "nicht erkennen, was auch nur ansatzweise für unterlassene Hilfeleistung spricht". Bönsch betont: "Die Behandlung war korrekt auch im Sinne des Patienten." Er halte auch "schützend meine Hand über meine Mitarbeiter", die "einen schwierigen Job sehr gut machen".

Bönsch: Manchmal "nicht glücklich, dass wir nicht helfen dürfen"

Schon wenige Tage nach der Tat hatte Bönsch gegenüber der Redaktion erklärt, mehrere Gesetzesänderungen in den vergangenen Jahren hätten für "extrem hohe Hürden" gesorgt, um einen Patienten gegen seinen Willen in der Psychiatrie zu behandeln. Mit dem Patienten J. habe man in der Klinik bei seinem letzten Aufenthalt im Juni 2021 "mehrfach und ausführlich" gesprochen, "um ihn zu einer Fortsetzung der Behandlung zu motivieren", so Bönsch damals. "Der Patient drängte jedoch auf eine Beendigung der Behandlung. Da in diesem Moment keine Eigen- oder Fremdgefährdung mehr erkennbar war, musste damit auch die Behandlung beendet werden." Heute ergänzt Bönsch: "In manchen Fällen sind wir als Psychiater nicht glücklich, dass wir nicht helfen dürfen."

Bönsch plädiert dafür, den Fall des Messerangreifers als Anlass für grundsätzliche Überlegungen zu nehmen. Man solle darüber nachdenken, wie "jemand, der als Flüchtling nach Deutschland kommt, in der Obdachlosigkeit enden" kann und warum es "so wenig Unterstützung" gab. Der Psychiatrie-Chef verweist darauf, dass "viele psychisch Kranke in der Obdachlosigkeit" landen und dann häufig straffällig werden. Er fragt: "Wie können wir die Versorgung solcher Menschen verbessern?"

 
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