Der Somalier, der am 25. Juni in Würzburg drei Frauen getötet und neun weitere Menschen zum Teil schwer verletzt hat, hat schon Monate zuvor explizit Tötungsabsichten geäußert. Dies belegen Recherchen dieser Redaktion im Umfeld der Klinik für Seelische Gesundheit in Würzburg. Dorthin war der 24-Jährige im Januar 2021 zwangsweise gebracht worden. Zudem hat der Mann, der schwer drogenabhängig sein soll, bei der zweiten erzwungenen Einweisung im Juni 2021 dezidiert auch seinen Frauenhass zum Ausdruck gebracht. Das hat der Leiter des Zentrums, Professor Dominikus Bönsch, auf Anfrage bestätigt. Hat sich also die Gefahr, die von dem Mann ausging, möglicherweise frühzeitig angedeutet?
Der Somalier soll im Januar geäußert haben, dass er "alle umbringen" wolle
Denn schon bei seinem Aufenthalt vom 13. bis zum 21. Januar 2021 im Zentrum für Seelische Gesundheit hat der Somalier erklärt, töten zu wollen. Schriftliche Aufzeichnungen bestätigen dies. Nachdem er am 13. Januar 2021 in die Psychiatrie zwangseingewiesen wurde, weil er Mitarbeiter der Obdachlosenunterkunft, in der er wohnte, mit einem Messer bedroht hatte, soll der 24-jährige Mann bezugnehmend auf Heimmitarbeiter gesagt haben: "Ich wollte sie töten". Weiterhin soll der Mann geäußert haben, dass er "alle umbringen" wolle. Die Tötungsabsicht soll der Mann damit begründet haben, dass der deutsche Geheimdienst ihn seit Jahren quäle und verfolge. Recherchen dieser Redaktion zufolge sind bei dem Mann im Januar 2021 eine "inhaltliche Denkstörung und Verfolgungswahn" festgestellt worden. Berichtet wird, dass der Mann "keine Krankheitseinsicht" gezeigt habe.
Wenn ein Patient Tötungsabsichten äußert, reicht das nicht, um ihn festzuhalten?
Rückblickend stellt sich eine zentrale Frage: Wenn ein Patient Tötungsabsichten äußert, unter Verfolgungswahn leidet und keine Krankheitseinsicht zeigt und wenn dieser Patient vor seiner Aufnahme mehreren Menschen mit einem Messer gedroht hat, reicht das dann nicht, um ihn festzuhalten? Diese Frage hat die Redaktion Professor Dominikus Bönsch gestellt. Er leitet die Bezirksklinik in Lohr mit rund 366 überwiegend stationären Plätzen sowie gleichzeitig das Zentrum für Seelische Gesundheit in Würzburg mit 84 Plätzen. "Unspezifische Todesdrohungen, aggressive Impulse und bedrohliche Äußerungen", schreibt der Psychiatriechef in seiner Antwort, "sind in der Initialphase einer Psychose insbesondere bei betroffenen Männern ein häufiges Symptom in der Psychiatrie".
Dies sei leider Alltag auf den geschützten Stationen der Bezirkskliniken und ein häufiger Einweisungsgrund. Nur wenn diese Symptome dann auch unter Behandlung fortdauerten, der Patient weiterhin gefährlich und nicht einschätzbar wirke, werde er nicht entlassen und gegebenenfalls gegen seinen Willen untergebracht. Bönsch: "Dies war während des Aufenthaltes im Januar sicher nicht gegeben." Denn unter Behandlung habe sich der Zustand des Mannes gebessert. Nur wenn die Gefahr "weiterhin hochakut" sei, könne eine Unterbringung und Zwangsbehandlung erwogen werden; etwas anderes lasse die Rechtslage nicht zu, betont Bönsch.
Eine Anfrage beim Amtsgericht Würzburg stützt diese Aussage des Psychiatriechefs. Es weist darauf hin, dass der somalische Täter am 13. Januar 2021 zwar zwangsweise in das Zentrum für Seelische Gesundheit eingewiesen worden sei, ab dem 14. Januar aber freiwillig dort gewesen sei. Bei einer solchen Konstellation sind laut Amtsgerichtssprecher Jürgen Reiher die Voraussetzungen für die "sofortige vorläufige Unterbringung einer Person hoch". Eine Unterbringung nach Artikel 5 des Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz sei nur möglich bei folgenden Voraussetzungen: Es müsse eine psychische Störung, insbesondere Erkrankung vorliegen, aufgrund derer der Betroffene sich selbst, Rechtsgüter anderer oder das Allgemeinwohl erheblich gefährde. Auch müsse die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sein.
Laut Klinik keine akute Gefährdung
Da laut Klinik keine akute Gefährdung vorlag, sei keine Möglichkeit der zwangsweisen Weiterbehandlung gegeben gewesen, so das Gericht. Aus Sicht des Zentrums für Seelische Gesundheit war die freiwillige Entlassung nach einer zehntägigen Therapie am 21. Januar 2021 aufgrund des Therapieerfolgs folgerichtig: Durch ein Medikament, das dem Somalier bereits in der Vergangenheit verschrieben worden war, sahen die Ärzte Recherchen dieser Redaktion zufolge beim Patienten eine Besserung der Wahnzustände. Die Ärzte rieten dem Mann aber dringend, regelmäßig seine Medikamente zu nehmen, wie Bönsch bestätigt.
Hätten die Würzburger Mediziner zu diesem Zeitpunkt nicht eine ambulante Weiterbehandlung des 24-Jährigen in dessen Wohnsitz im Obdachlosenheim sicherstellen müssen, etwa durch die Flüchtlingsambulanz in Würzburg? Auch diese Frage hat Psychiatriechef Bönsch beantwortet. "Selbstverständlich wurde dem Patienten mehrfach ein weiteres Behandlungsangebot gemacht und in seinem Fall sogar dringend empfohlen", so Bönsch. Dem Mann sei nahegelegt worden, sich beispielsweise in der psychiatrischen Institutsambulanz des Zentrums oder der Uniklinik weiterbehandeln zu lassen. Auch eine Entgiftung sei dringend empfohlen worden. Leider, so Bönsch, habe der Patient die Behandlungsangebote nicht angenommen.
Dass sich der Mann aus Somalia in der Folge keineswegs psychisch stabilisiert hatte, zeigte sich am 14. Juni 2021. Laut Generalstaatsanwaltschaft Bamberg belästigte der Mann an diesem Tag einen Autofahrer in der Würzburger Innenstadt. Der Somalier versuchte, in das fremde Auto einzusteigen, zeigte dabei laut Generalstaatsanwaltschaft "ein verstörtes Verhalten mit psychischen Auffälligkeiten". Am gleichen Tag wurde der Mann erneut zwangsweise im Zentrum für Seelische Gesundheit untergebracht. Unseren Recherchen zufolge soll er sich in einem deutlich schlechteren Zustand als im Januar befunden haben.
Drogenscreening verweigert?
Am 14. Juni sei der 24-Jährige kaum ansprechbar gewesen, so dass ein Anamnesegespräch am Aufnahmetag nicht stattfinden konnte. Weil er nicht einwilligte, konnten weder ein EKG noch Laboruntersuchungen gemacht werden. Auch ein Drogenscreening verweigerte der Mann, dessen jahrelangen, massiven Drogenkonsum – Crystal Meth, Heroin, Cannabis – Psychiatriechef Bönsch bestätigt hat. Nach Recherchen dieser Redaktion soll der Somalier am Aufnahmetag bedrohlich aufs Personal gewirkt haben, Stimmen gehört und den Kontakt mit weiblichem Personal abgelehnt haben. Die Diagnose an jenem 14. Juni soll auf "Drogeninduzierte Psychose", also durch Drogenkonsum ausgelöste Wahnvorstellung, gelautet haben. Eine Beurteilung, ob von dem Mann eine Eigen- oder Fremdgefährdung ausging, soll zu dem Zeitpunkt des Aufnahmegesprächs laut Informationen dieser Redaktion überhaupt nicht möglich gewesen sein.
Gleichwohl wurde der Mann nur einen Tag nach der Aufnahme, am 15. Juni, wieder entlassen.
"Stimmenhören und Drogenmissbrauch" erlauben nicht zwangsweise Weiterbehandlung
Laut Bönsch erfolgte die Entlassung gegen den Rat der Ärzte – aber sie erfolgte. Aber hätte nicht in der Zusammenschau, bei Psychose plus Drogenmissbrauch plus Verweigerung von Untersuchungen plus Verweigerung von Kontakt gegenüber weiblichem Personal plus Hören von Stimmen eine Fortführung der Behandlung auch gegen den Willen des Patienten erfolgen müssen? Auf diese Frage antwortet Psychiatriechef Bönsch: "Stimmenhören und die Einnahme von Drogen sowie die Verweigerung eines Drogentests sind absolut keine Gründe, jemanden gegen seinen Willen in der Psychiatrie zu behalten und gegen seinen Willen zu behandeln, solange keine akute Fremd- oder Eigengefährdung vorliegt." Und genau diese Eigen- oder Fremdgefährdung habe am Entlasstag nicht vorgelegen. Wieder Bönsch: "Am 15. Juni erfolgten zwei sehr ausführliche und gut dokumentierte Gespräche, die zum Ergebnis hatten, dass die Ärzte dem Patienten dringend die Weiterbehandlung empfahlen, aber sicher eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung ausschlossen."
Laut Amtsgericht Würzburg hat das Zentrum für Seelische Gesundheit der Behörde das Nicht-Vorliegen einer Eigen- oder Fremdgefährdung am 16. Juni 2021 mitgeteilt, so dass es daher keiner Entscheidung des Gerichts bedurfte.
Hat Frauenhass bei der Tat eine herausragende Rolle gespielt?
Zehn Tage nach der Entlassung aus der Psychiatrie stach der Somalier in Würzburg mit dem Messer Menschen nieder. Auf die Frage, ob angesichts der Tatsache, dass der Mann überwiegend Frauen angegriffen hat, Frauenhass bei der Tat eine herausragende Rolle gespielt haben könnte, antwortet Psychiatriechef Dominikus Bönsch: "Ja, dies fiel tatsächlich bei Voraufenthalten und auch dem letzten Aufenthalt auf – dass der Patient Kontakt zu weiblichem Personal vermied und mit weiblichen Mitarbeiterinnen möglichst nicht sprach. Allerdings ein Phänomen, das wir bei vielen unserer Patienten aus anderen Kulturkreisen erleben, wenn auch nicht immer so deutlich ausgeprägt."
Völlig egal ob es sich um Psychopaten, klimagerechtes Bauen, Rentenversicherung, tragische Unglücke etc. dreht; Gesetzesänderungen, werden nie die Lösung für alle(!) Probleme/Morde etc. sein. Das ewige rufen danach wird an anderen Stellen zu Vorfällen/Straftaten führen, die man so nicht hat kommen sehen. Und letztendlich hätte in diesem Fall ein menschliches Netzwerk wahrscheinlich mehr verhindern können als eine Gesetzesverschärfung.
Wie allgemein etwas mehr Menschlichkeit, Logig, gesunder Menschenverstand, etc. mehr bringt als Panik und Überreaktion. Irgend wann greift so was auch nicht mehr, egal wo!
Mir scheint, als würde es hier darum gehen das Verbrechen in eine Schublade stecken zu wollen. Bei all der Wichtigkeit von Zeugenaussagen, muss meiner Meinung nach auch bedacht werden, dass alle unter einem Schockzustand waren und sicher nicht jeden einzelnen Ausruf zuordnen konnten. Die Zeugenaussagen müssen so schnell wie möglich geklärt und ggf aufgeklärt werden.
Der Mann war laut Berichten der MP nicht religiös, war jahrelang drogenabhängig und hatte entsprechende Wahnvorstellungen.
In diesem Kopf scheint mir "kein Platz" für geplante Abläufe zu geben.
Umso schrecklicher, was in der Stadt passieren konnte. Mein Beileid an alle betroffenen.
...sowohl für die Verantwortlichen in der Psychiatrie als auch für Judikative und Exekutive immer ein Ritt auf der Rasierklinge!
Die zwei (auch von Mitforisten erwähnten) gegensätzlichen Beispiele "Somalier-Wbg." und "Gustl Mollath" zeigen das derzeitige Dilemma klar auf:
Beim Wbg-Fall ruft man (verständlicher Weise) erst mal nach härteren Gesetzen und Maßnahmen, bei Gustl Mollath versteht die gleiche Menge nicht, warum ein Unschuldiger so lange gegen seinen Willen weggesperrt wurde.
Ich bin kein Jurist aber der Vorschlag von @Nova1 ist sicherlich bedenkenswert.
MfG und...bleiben sie alle gesund
Er erhält ja Medikamente und wird belehrt diese auch zu nehmen.
Dann wird er entlassen. Wohin? Ist für die Mediziner kein Thema mehr.
Wieso muss dieses Verhalten nicht an die Justiz bzw Polizei gemeldet werden?
Ob man da reagiert hätte, steht auf einem anderen Blatt.
Sie müssen bei Ihren Überlegungen davon ausgehen, dass so eine Erkrankung Jeden treffen kann. Da kann es nicht angehen, dass man an die Polizei/Justiz „gemeldet“ wird, wenn man irgendwann mal solche krankheitsinduzierten Phantasien geäußert hat.
Wohin er entlassen wird? Warum sollte das (nur) das Problem der Ärzte sein? Wie gesagt: Man müsste sich ein System überlegen, die gerade solche Leute in sehr schwierigen Lebenssituationen auffängt, damit sie eben nicht mehr durchs Raster fallen und durchdrehen.
Hinter den Opfern sind wohl auch diejenigen Opfer, die nach staatsrechtlichen Grundlagen gehandelt haben.
Andererseits kann man nicht jedem Patienten mit einer psychischen Erkrankung automatisch eine latente Gefährlichkeit für die Öffentlichkeit unterstellen. Da wären wir gleich bei mehreren hunderttausenden Menschen in D. Eine zwangsweise Unterbringung hat zu Recht hohe Hürden: Die heftige Diskussion um die Reform des bayerischen Psychischkrankenhilfegesetzes und der Fall Gustl Mollath dürfte vielen noch in den Ohren liegen.
M.E. müsste man bei Fällen, die gerade noch keine Einweisung rechtfertigen, i-wie sicherstellen, dass der Pat. seine Medikamente nimmt und Arzttermine wahrnimmt. Aber wie? Ein verdammt schwerer Drahtseilakt
Aber von einem initialpsychotischen Patienten ohne Krankheitseinsicht zu erwarten, dass er draußen seine Medikamente weiternimmt, ist schon etwas naiv, oder?
Es hat offenkundig auch niemanden interessiert. Die Art des Verantwortungsgeschiebes hier ist unerträglich.
Zum einen hätte die Staatsanwaltschaft tätig werden müssen, was die Verfolgung der Straftaten angeht - zum anderen die Ärzte, was die medizinischen Voraussetzungen für eine Einweisung angeht.
In Würzburg dreht man sich offfenkundig den Sachverhalt jeweils so, wie man es gerade braucht: entweder wird dramatisiert und unverhältnismäßig überreagiert - oder es wird bagatellisiert, kleingeredet und verdrängt.
Die Folgen tragen die Betroffenen und - im übelsten Fall - die Opfer.
Was ich als langjähriger Polizeibeamter hier in Würzburg seit rund 20 Jahren erlebte, beobachtete und mitbekommen habe, ist längst Anlass für einen Untersuchungsausschuss.