zurück
Heidingsfeld
Nennung der Staatsangehörigkeit bei Straftaten: Wann die Main-Post die Nationalität von Menschen veröffentlicht
Ist es wichtig zu berichten, woher ein Straftäter stammt? In der Regel nicht, sagt Chefredakteur Ivo Knahn. In den aktuellen Fällen in Lohr und Würzburg ist es dennoch richtig. 
In manchen Fällen nennt die Main-Post bei einer Straftat die Nationalität der Beschuldigten. Leicht macht sich die Redaktion diese Entscheidung allerdings nicht.
Foto: Ivana Biscan | In manchen Fällen nennt die Main-Post bei einer Straftat die Nationalität der Beschuldigten. Leicht macht sich die Redaktion diese Entscheidung allerdings nicht.
Ivo Knahn
Ivo Knahn
 |  aktualisiert: 21.09.2023 02:59 Uhr

In Lohr erschießt am 8. September ein 14-Jähriger Deutscher einen Gleichaltrigen. Neun Tage später tötet ein 22 Jahre alter Spanier in der Würzburger Innenstadt einen 28-Jährigen mit einem Messer. In beiden Fällen nennt die Redaktion die Nationalität der Täter. 

Wenn es um die Frage geht, wann Medien die Herkunft von mutmaßlichen Straftäterinnen und Straftätern nennen sollen und wann nicht, stehen sich zwei Lager gegenüber.

Das eine fordert maximale Transparenz: Informationen über (mutmaßlich) Kriminelle dürften nicht zurückgehalten werden. Oft wird diese Forderung mit dem Vorwurf kombiniert, Medien würden die Herkunft bewusst verschweigen, um die wahre Bedrohung durch Ausländer zu verschleiern. Außerdem könne jeder Bürger und jede Bürgerin die Information zur Herkunft selbst einordnen. Verschweigen sei eine Bevormundung und belaste das Vertrauen in die Medien.    

Wann ist das Interesse der Bürgerinnen und Bürger berechtigt?

Das andere Lager betont, dass bei der konsequenten Nennung ein Zusammenhang zwischen Tat und Herkunft hergestellt würde, den es so meist nicht gebe. Es werde damit kein berechtigtes Interesse der Bürgerinnen und Bürger befriedigt, sondern in vielen Fällen würden Vorurteile und Rassismus geschürt und Ausländerfeindlichkeit gefördert. 

Diese Sichtweise teilt die Redaktion der Main-Post und sie findet sich auch im Pressekodex, in dem der deutsche Presserat 1973  ethische Grundregeln für den Journalismus vorgelegt hat. Der Kodex wird regelmäßig aktualisiert und ist eine Selbstverpflichtung, zu der sich die Redaktion der Main-Post bekennt.

Ivo Knahn ist seit Oktober 2022 Chefredakteur der Main-Post.
Foto: Christoph Weiss | Ivo Knahn ist seit Oktober 2022 Chefredakteur der Main-Post.

In der Leitlinie 12.1 des Pressekodex heißt es: "In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte."

Reine Neugier ist noch kein Grund, die Nationalität eines Straftäters zu nennen

Entscheidend ist die Feststellung, "die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse". Diese Passage findet sich erst seit März 2017 in der Richtlinie, als diese im Zuge der Flüchtlingsdebatte angepasst wurde.

In der Folge diskutierte auch unsere Redaktion immer wieder, wann öffentliches Interesse begründet ist. Der Presserat schreibt dazu:  "Reine Neugier ist kein geeigneter Maßstab für presseethisch verantwortliche Abwägungen." Auch wenn etwa die Polizei die Herkunft veröffentlicht, heißt das nicht, dass wir sie in unseren Medien nennen, wobei dieser Widerspruch selten vorkommt, weil Behörden sich bei diesem Thema oft selbst am Pressekodex orientieren. 

Bei besonders schweren Straftaten sehen wir das begründete öffentliche Interesse als gegeben

In unseren journalistischen Leitlinien machen wir transparent, auf welcher Basis wir uns für die Nennung entscheiden. Bei besonders schweren Straftaten (Mord, Totschlag, Folter, Entführung, Terrorismus, Organisierte Kriminalität) sehen wir das "begründete öffentliche Interesse" grundsätzlich als gegeben.

Menschen kommen wegen unterschiedlicher Delikte ins Gefängnis (im Bild die Justizvollzugsanstalt Würzburg Würzburg). Bei besonders schweren Straftaten nennt die Main-Post auch die Nationalitäten der Straftäter und Straftäterinnen.
Foto: Thomas Obermeier | Menschen kommen wegen unterschiedlicher Delikte ins Gefängnis (im Bild die Justizvollzugsanstalt Würzburg Würzburg).

Das ist der Grund, weshalb wir bei den beiden aktuellen Tötungsdelikten in Lohr und Würzburg die Nationalität des deutschen, beziehungsweise des spanischen Täters nennen.  Und deshalb haben wir zum Beispiel im Fall des Messerangriffs am Würzburger Barbarossaplatz geschrieben, dass der Täter aus Somalia kam.

Als im Februar 2023 in Marktheidenfeld ein Mann seine Frau getötet hat, wäre eine Nennung der Nationalität ebenfalls richtig gewesen, weil die Tat bzw. die polizeiliche Arbeit dazu teilweise in der Öffentlichkeit stattfand. Die Redaktion hat sich dagegen entscheiden, was man zurecht kritisieren kann.  

Auch wenn eine Straftat aus einer Gruppe heraus begangen wird, von der ein wesentlicher Anteil durch Merkmale wie ethnische, religiöse, soziale oder nationale Herkunft verbunden ist, nennen wir diesen Zusammenhang. Das war zum Beispiel bei dem polnischen Einbrechertrio der Fall, das Anfang 2023 vor dem Landgericht in Schweinfurt stand.

Wenn ein Ausländer benannt wird, geraten alle anderen ein Stück weit unter Generalverdacht

Immer wieder befasst sich die Wissenschaft mit der Frage, ob die Einzelfallentscheidung der richtige Weg ist. Das Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung an der Hochschule Hannover hat 2022 eine "Handreichung zur Reflexion" für Redaktionen, Polizei und Justiz veröffentlicht. Die Autorinnen und Autoren zitieren den aktuellen Stand der Medienwirkungsforschung, der keinen Zweifel daran lässt, dass die prinzipielle Nennung der Herkunft Vorurteile schürt.

"Der zentrale Wirkmechanismus besteht darin, dass Zuschauerinnen und Leser die Herkunftsinformation intuitiv, spontan und oftmals unbewusst heranziehen, um sich eine Vorstellung von der Straftat zu machen und diese moralisch zu bewerten. Dabei findet eine Übergeneralisierung statt, die das Urteil über die genannte soziale Gruppe zum Negativen verändert."

Die bloße Nennung verschleiert mehr als sie zu erklären vermag

Die Rechtswissenschaftler Professor Tobias Singelnstein vom Lehrstuhl für Kriminologie an der Goethe-Universität in Frankfurt und Christian Walburg vom Institut für Kriminalwissenschaften an der Uni Münster haben untersucht, wie sich die Nennung der Herkunft in Medienberichten zwischen 2017 und 2019 – also mit der oben erwähnten Aktualisierung des Pressekodex – verändert hat.  Demnach wurden nur in 2,9 Prozent der Zeitungsberichte über Tatverdächtige Deutsche mit ihrer Nationalität benannt, während ihr Anteil an der Kriminalstatistik knapp 70 Prozent betrug. Wenn die Nationalität genannt wurde, waren es in mehr als 93 Prozent Ausländer.

Die Wissenschaftler schreiben in ihrem Papier von 2021: "Die häufigere Berichterstattung über Straftaten mit ausländischen Tatverdächtigen und die häufigere Nennung von deren Herkunft hat zu einem einseitigen Fokus auf ausländische Tatverdächtige geführt, so dass der mediale Blick nicht klarer, sondern verzerrter geworden ist. (...) Die bloße Nennung ohne weitere Einordnung und Erläuterung verschleiert mehr als sie zu erklären vermag. Sie befriedigt nicht legitime Informationsinteressen, sondern stellt falsche Zusammenhänge her." 

Das erklärt, warum unsere Redaktion auch weiterhin nur in begründeten Einzelfällen die Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen oder anderen Minderheit benennen wird. Es ist der kompliziertere Weg. Aber wir nehmen ihn in Kauf, weil wir unseren Leserinnen und Lesern gut erklären können, warum der kompliziertere Weg der bessere ist. 

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Heidingsfeld
Ivo Knahn
Johann Wolfgang Goethe-Universität
Main-Post Würzburg
Mord
Polizei
Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler
Totschlag
Tötungsdelikte und Straftaten gegen das Leben
Wir über uns
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Thomas Müller
    „ Diese Sichtweise teilt die Redaktion der Main-Post und sie findet sich auch im Pressekodex, in dem der deutsche Presserat 1973 ethische Grundregeln für den Journalismus vorgelegt hat. Der Kodex wird regelmäßig aktualisiert und ist eine Selbstverpflichtung, zu der sich die Redaktion der Main-Post bekennt.“

    Offensichtlich wird der Pressekodex von der MainPost anders ausgelegt. Da viele andere Medien oft schon Stunden nach einer solchen Tat Fotos und Namen der mutmaßlichen Täter präsentieren hält sich die MainPost Tage danach immer noch stark zurück „Ross und Reiter“ zu nennen! Scheinbar ist der Pressekodex hier äußerst dehnbar und die MainPost, vergessen wir nicht die Linksgrüne Ausrichtung des Blattes, scheint hier den Weg des nichtinformierens gehen zu wollen! Hier ist der mündige Bürger, der sich sehr wohl seine eigene Meinung bilden kann, dann doch wohl nicht erwünscht?
    Offensichtlich haben schon mehrer Leser das erkannt und wie ich Ihr Abo gekündigt!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hans-Georg Heim
    Genauso ist es.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hans-Georg Heim
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hans-Georg Heim
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hans-Georg Heim
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hans-Georg Heim
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Paul Merklein
    Mir fällt immer wieder in vielen Medien bei der Berichterstattung ein gut ausgebildetes selektives Wahrnehmungsvermögen auf. Mal gibt es Regeln, mal gelten die gerade in diesem Falle nicht. Und da sehe ich auch nicht, warum das bei der Main Post anders sein sollte.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Ivo Knahn
    In der Tat, Herr Merklein: Jeder Fall ist anders, oft kommt es auf Details an. Das abzuwägen, oft auch mit juristischer Hilfe, gehört zu unseren Aufgaben. Seit auf Sozialen Medien alle möglichen und unmöglichen Informationen oft ohne Rücksicht auf irgendwen und irgendetwas geteilt werden, verstehen Menschen unser Vorgehen weniger oder kritisieren uns, bzw. werfen uns vor, wir würden Informationen aus politischen Gründen zurückhalten. Deshalb erklären wir unsere Arbeit häufiger. Mit freundlichen Grüßen, Ivo Knahn
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Rainer Gaiß
    Löst die Nicht-Nennung der Herkunft nicht auch einen Verdacht aus? Das war bestimmt ein ...
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Barbara Fersch
    ich möchte hier nur erinnern, dass in Deutschland lebende "Deutsche"mit Migrationshintergrund von der MP in der Tat keine sind !!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Jochen Behr
    Sehr geehrter Herr Behr, in unseren Berichten ist die Nationalität des mutmaßlichen Messerstechers mehrfach genannt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Roland Albert
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln (Behauptungen ohne Beleg) auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Dominik Temming
    "Bürgerinnen und Bürger" und in der Dachzeile "Straftäter". Stimmt, "Straftäterinnen" gibt es wohl nicht. Ich lese immer noch nahezu täglich "der unbekannte Verursacher" oder "der unbekannte Täter" in der MP obwohl nirgendwo hervorgeht, dass es sich um einen Mann handelt. Wenn es um Straftaten geht, scheinen euch jegliche, selbst auferlegten Genderverpflichtungen egal zu sein. Ausländer packt ihr in euren Artikeln mit Samthandschuhen an aber Männer im Allgemeinen kriegen immer die volle Portion Stereotype ab. Vielleicht solltet ihr da nochmal drüber nachdenken!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Ralf Zimmermann
    Aus Platzgründen steht im Teaser nur die Form "Straftäter", im Text "Straftäterinnen und Straftäter. Näheres dazu finden Sie unter https://www.mainpost.de/10630941.

    Mit freundlichen Grüßen

    Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Ivo Knahn
    Lieber Herr Temming, gerade in Überschriften sind Doppelnennungen nicht praktikabel. Unter mainpost.de/leitlinien können Sie unser Standards dazu im Detail nachlesen. Beste Grüße, Ivo Knahn
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Dominik Temming
    Doppelposting. Auf eigenen Wunsch gelöscht.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Dominik Temming
    ...und wie passt ihre Aussage z.B. zur Überschrift in diesem Artikel?

    https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/stiller-feiertag-was-halten-10-wuerzburgerinnen-und-wuerzburger-vom-tanzverbot-an-karfreitag-art-11095078
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Dominik Temming
    Bei vielen kleineren Meldungen handelt es sich um die Pressemitteilungen der Polizei. Diese werden meist ohne redaktionelle Bearbeitung von uns übernommen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Otto Landratsamt Main-Spessart
    Leider steht Ihnen die Kommentarfunktion auf mainpost.de nicht zur Verfügung. Deshalb werden wir Ihren Kommentar nicht veröffentlichen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten