Etwa jeder zehnte bayerische Auszubildende in der Pflege ist laut statistischem Bundesamt 40 Jahre alt oder älter. Dabei weckt der späte Ausbildungsbeginn häufig Erstaunen: Ist es nicht schwierig, in dem Alter noch zu lernen? Und ist es nicht körperlich zu anstrengend, da noch einmal in der Pflege anzufangen?
Vier Auszubildende erzählen, weshalb sie sich zu dem Schritt in einen Pflegeberuf entschieden haben und welche Erfahrungen sie in der Ausbildung machen.
1. Natalie Fuhrmann (45): "Mich motiviert, dass ich mich sozial engagiere"
"Ich habe Kommunikationsdesign studiert und lange im graphischen Bereich eines großen Unternehmens gearbeitet. In den letzten Jahren wurde ich dort immer unzufriedener. Aber in meiner Branche in Würzburg etwas Neues zu finden ist schwierig. Eine befreundete Ärztin hat mir dann die Ausbildung zur Pflegefachkraft im Juliusspital vorgeschlagen. Also habe ich meine frühere Tätigkeit beendet und neu angefangen.
Im Alter nochmal zu lernen finde ich gut, da rostet man nicht ein. Und die körperliche Arbeit in der Pflege tut mir gut. Früher hatte ich auch Stress, habe Kopfschmerzen vom Bewegungsmangel im Büro bekommen. Der physische Stress jetzt ist anders und wirkt für mich ausgleichend.
Schwierig ist nur die Arbeit im Schichtdienst. Der Nachtdienst macht mir nichts, aber die ständigen Wechsel auf andere Schichten - das kann anstrengend sein.
Mich motiviert, dass ich mich in der Pflege sozial engagiere. In meinem früheren Beruf ging es immer um Produktkampagnen, um Umsätze und Konsum. Das hat mich nicht mehr erfüllt. Jetzt kann ich mit einem guten Gefühl nach Hause gehen. Ich bin ein offener, hilfsbereiter und zugewandter Mensch. Diese Charaktereigenschaften werden hier wertgeschätzt, das hat mir zuvor gefehlt.
Früher hatte ich Angst, dass mich schwere Lebenssituationen belasten könnten. Heute hilft mir meine Lebenserfahrung in der Arbeit mit Menschen sehr. Nächsten April werde ich die Ausbildung beenden. Danach möchte ich mich im Palliativbereich weiterbilden und darin arbeiten."
2. Magda Popov (41): "Auf der Intensivstation habe ich viele Wunder gesehen"
"Die Entscheidung, mit 40 Jahren noch eine Ausbildung zu beginnen, ist mir nicht leicht gefallen. Ursprünglich habe ich in Polen als Deutschlehrerin gearbeitet, aber das war nichts für mich. Ich hatte dann verschiedene Jobs, habe in der Spedition und in einer Fabrik gearbeitet.
2016 habe ich als Reinigungskraft auf der Intensivstation in der Uniklinik Würzburg angefangen. Ich mochte die Atmosphäre dort, wie die Mitarbeiter miteinander umgegangen sind. Dann haben mir die Pfleger vorgeschlagen, noch die Ausbildung zu machen.
Ich habe lange darüber nachgedacht und gezweifelt: Kann ich in meinem Alter überhaupt noch lernen? Komme ich mit den jungen Leuten in der Schule klar? Aber meine Ängste haben sich als unbegründet herausgestellt. Mit meinen Mitschülern verstehe ich mich gut und in der Schule hatte ich noch nie so gute Noten wie jetzt. Ich brauche mehr Zeit zum Lernen, aber ich weiß ja genau, wofür ich das mache.
Auf der Intensivstation habe ich viele Wunder gesehen. Da lagen Menschen mit niedrigen Überlebenschancen und ein paar Wochen später sind sie doch wieder durch die Tür spaziert. Ich will Teil von diesem Wunder sein."
3. Heike Lorey (45): "Die Ausbildung ist anstrengend, aber es lohnt sich"
"Ich bin gelernte Friseurin, wollte aber eigentlich schon immer Krankenschwester werden. Nach einer Schulter-OP habe ich mich dann doch noch dazu entschieden, mich für die Ausbildung zu bewerben.
Den Beruf finde ich spannend. Ich mag den Umgang mit den Menschen und die verschiedenen Schicksale kennenzulernen. Ein bisschen hatte ich das ja auch als Friseurin.
Die Ausbildung ist anstrengend und verlangt viel von uns ab. Auch in den Praxisphasen müssen wir am Abend noch Hausaufgaben machen oder die Theorie lernen. Wir Älteren sind wahrscheinlich verbissener als unsere jüngeren Mitschüler. Die Angst zu versagen ist größer. In meinem Umfeld unterstützen mich viele, aber es gibt auch Kritiker und Zweifler. Denen möchte ich zeigen, dass ich die Ausbildung schaffe.
Aber die Anstrengung lohnt sich. Die Pflegeschule und die Klinik bemühen sich sehr um uns und der Klassenzusammenhalt ist super. Jeder hilft jedem. Und wenn man dann in die dankbaren Gesichter der Patienten sieht - das ist schön."
4. Katja Grötsch (46): "Ich habe gesehen, dass alte Menschen keine Lobby haben"
"Ich wollte schon als junge Frau Altenpflege lernen. Damals musste man die Ausbildung aber noch selbst finanzieren, das konnte ich zu der Zeit nicht. Also bin ich zunächst Klavierbauerin geworden. Nach 15 Jahren bin ich über Umwege im Patientenfahrdienst gelandet und habe irgendwann gedacht: Ich hätte gerne mehr Kontakt zum Patienten.
Die Ausbildung ist anstrengend. Der Altersdurchschnitt in unserer Klasse ist sehr hoch und die Angst, die Ausbildung nicht zu schaffen, ist bei uns Älteren größer als bei den Jüngeren. Man rutscht ja immer näher an die 50. Aber die Klassengemeinschaft ist toll, es macht einfach Spaß mit gleichaltrigen Gleichgesinnten.
Mir gefällt der enge Kontakt zu den Patienten und, dass wir uns in der Ausbildung die verschiedenen Bereiche anschauen können. Die körperliche Arbeit macht mir überraschenderweise nichts aus, auch nicht die Schichtarbeit. Gerade die Nachtdienste mag ich besonders - da ist weniger los und man kann mehr lernen.
Schon vor der Ausbildung war ich in der Altenbetreuung aktiv. Da habe ich gesehen, dass alte Menschen keine Lobby haben. Ich hoffe, mit meinem persönlichen Einsatz etwas verändern zu können."
Die Aussage, dass in Nachtdiensten weniger los sei, möchte ich aber durch eine andere Perspektive ergänzen:
In der Ausbildung werden lediglich 9 bis 14 Nachtdienste abgeleistet. Als Azubi mag es einem so vorkommen, dass weniger los sei, da die Grundpflege, die tagsüber häufig von Azubis geleistet wird, wegfällt, und sie auch meist nur zusätzlich im Nachtdienst eingesetzt werden.
Als Fachkraft kann das aber anders aussehen. Ich war jahrelang im Nachtdienst beschäftigt, arbeite mittlerweile aber alle Schichten und empfinde die Arbeit am Tag als weniger stressig/ belastend, da eben ein großer Teil der körperlichen Arbeit von Hilfskräften übernommen wird und sich die fachliche Verantwortung auf mehrere Personen verteilt.
Aber so ist wohl jeder anders und die Möglichkeiten in der Pflege so breit gefächert, dass jeder seine Nische finden kann.