Verwunderte Nachfragen sind Alexander Möhlenbrock, Liam Gärnter und Evelin Zacharis gewohnt. Mit über 40 noch eine dreijährige Ausbildung? Als 17-jähriger Wirtschaftsschüler einen sozialen Beruf? Aus der Industrie in die Pflege wechseln? Ja, sagen die drei Azubis der Caritas Sozialstation St. Kilian in Mellrichstadt. Weshalb Pflegefachkraft für sie ein Traumberuf ist.
1. Alexander Möhlenbrock aus Ostheim, 47 Jahre, Vater dreier Töchter – 1. Lehrjahr
"Mein Vater hatte 2019 einen Schlaganfall und ist seither ans Bett gefesselt. Hauptsächlich pflegt ihn meine Mutter. Sie ist allerdings fast 70. Vor diesem Hintergrund habe ich letztes Jahr einen Pflegehelferkurs als Abendkurs gemacht. Da dachte ich erstmals: Eigentlich könnte man da beruflich weiter machen. Zumal ich dabei aus nächster Nähe erfahren habe: Es brennt wirklich in der Pflege!
Bis dato hatte ich als Werkzeugmechaniker bei der Firma Binder in Ostheim Segelflugzeuge mitgebaut. Das hat mir auch total Spaß gemacht, ich hatte also keine Umschulungs-Not. Für das Praktikum im Pflegehelferkurs nahm ich bei Binder unbezahlten Urlaub.
Dabei habe ich schnell gemerkt: Zu älteren Menschen habe ich einen Draht. Am Ende war es keine Entscheidung gegen meinen alten Beruf, es war eine Entscheidung für die Pflege. Das Reizvolle für mich: Ich habe fortan mit Menschen zu tun.
Mir war klar: Wenn ich noch mal wechseln möchte, muss ich das jetzt machen. Meine Frau war anfangs nicht so begeistert: Jetzt sind die Kinder aus dem Gröbsten raus, jetzt fängst du an, hat sie gesagt. Inzwischen unterstützt sie mich natürlich. Meine jüngste Tochter, sie ist 14 Jahre alt, hat sich gefreut: Super, dann kommen wir zusammen aus der Schule.
Im Freundeskreis musste ich mich schon erklären. Spricht man dann darüber, sagt so mancher: Mutig, sein Leben noch mal neu auszurichten. So eine Änderung noch einmal, das fände ich auch nicht schlecht. Viele glauben, dass es finanziell gesehen ein Riesen-Rückschritt wäre. Aber dadurch, dass ich den Pflegehelfer schon habe, geht das. Ich falle also nicht zu tief, deshalb konnte ich es wagen.
Als erster Beruf wäre die Pflege nichts für mich gewesen. Für vieles wäre ich in jüngeren Jahren nicht reif gewesen. Inzwischen bin ich Leid und der Endlichkeit des Lebens begegnet. Das wird mich nicht aus dem Tritt bringen. Auch für die körperlichen Herausforderungen fühle ich mich gerüstet. Ich geh' auf die Jagd, bin viel draußen, wandere viel. Da packe ich auch pflegerische Tätigkeiten. Mehr Respekt habe ich davor, im Blockunterricht noch mal stundenlang die Schulbank zu drücken.
Beruflich sehe ich mich nach der Ausbildung im Bereich ambulante Pflege. Dazu beitragen, dass pflegebedürftige Menschen noch eine Zeit lang zu Hause bleiben können, das finde ich schön."
2. Liam Gärtner aus Fladungen, 17 Jahre, Wirtschaftsschule Bad Neustadt – 1. Lehrjahr
"Ich wollte eigentlich schon immer einen sozialen Beruf ergreifen. Wenn ich jemandem helfen konnte, hat mich das glücklich gemacht. Die Wirtschaftsschule, die ich besucht habe, zielt ja eher auf kaufmännische Berufe ab. Doch das hat mir auf Dauer nicht gefallen. Ich kann nicht die nächsten 50 Jahre am Computer jeden Tag dasselbe machen. Ich brauche Menschen um mich herum.
Meine Oma ist ein wichtiger Mensch in meinem Leben. Sie wollte immer, dass ich Arzt werde. Aber ohne finanzielles Polster ist das schwer. Mir persönlich ist es wichtig, früh Geld zu verdienen, damit ich meine Mutter unterstützen könnte, falls das nötig werden würde. Mama ist alleinerziehend, sie hat über Jahre Schicht in der Industrie gearbeitet. Ich bin der Jüngste von fünf Geschwistern. Oma ist quasi meine zweite Mama. Sie hat mich mit aufgezogen. Mit ihren 84 Jahren ist sie heute so fit, weil sie immer mehr gemacht hat als sie eigentlich müsste.
Nach der Schule habe ich zunächst eine Physiotherapie-Schule besucht. Nach einem Jahr habe ich das abgebrochen. Auch wenn mir das Berufsbild an sich gefallen hat, in der Schule ging es mir nicht gut. Über die Physiotherapie bin ich glücklicherweise zur Pflege gekommen. Bei einem Physiotherapie-Praktikum war ich im Altenheim. Seitdem kann ich mir nichts mehr anderes vorstellen als Pflege.
Was mich besonders freut: Mein Gehalt reicht aus, um mir meinen Führerschein zu finanzieren. Den brauche ich, um eines Tages im ambulanten Bereich zu arbeiten. Durch meine Vorerfahrung im medizinischen Bereich könnte ich mir auch vorstellen, im Krankenhaus zu arbeiten. Das Gute ist: Ich muss mich nicht festlegen. Die generalistische Ausbildung zur Pflegefachkraft gibt mir Einblicke in die Krankenpflege, Altenpflege und Kinderkrankenpflege.
Unter meinen Freunden bin ich mit meiner Berufswahl schon die Ausnahme. Ich würde behaupten, es kann nicht jeder in die Pflege. Wer lieber sein Ding durchzieht, für den ist es wahrscheinlich schwierig, sich in einen Patienten hineinzuversetzen. Ich bin schon der mitfühlende Typ. Die Kunst wird sein, nicht alles an sich heranzulassen und sich trotzdem einzufühlen."
3. Evelin Zacharias aus Höchheim, 43 Jahre, Mutter zweier Kinder – 3. Lehrjahr
"Eigentlich wollte ich schon direkt nach der Schule, 1996, Altenpflegerin werden. Ich habe zu dieser Zeit im Osten gelebt. Meine Mutter war Altenpflegerin und hat mich immer wieder mitgenommen in das Heim, in dem sie arbeitete. Das war faszinierend. Menschen helfen eben.
Leider war die Altenpfleger-Ausbildung mit Quali damals nicht möglich. Deshalb habe ich zunächst eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin gemacht. Letztlich arbeitete ich über zehn Jahre in der Industrie in einer Gewürzfirma: drei Schichten, gut verdientes Geld. 2003 kam mein erster Sohn, 2008 mein zweiter.
Da mein Mann auf Montage war, konnte ich mit den Kindern drei Schichten nicht mehr abdecken. Also habe ich ein Jahr lang Pflegefachhelfer gelernt. Dann wäre ich gerne in die verkürzte Ausbildung zur Altenpflege-Fachkraft, aber das wollte das Arbeitsamt damals nicht bezahlen. Entsprechend habe ich fünf Jahre als Helferin in der Pflege gearbeitet. Da den Lohnzettel aufzumachen, war einfach nur traurig. Mein Verdienst: 900 Euro auf die Hand für 30 Stunden.
Auf Dauer ging das nicht. Also, zurück in die Industrie! Zwischenzeitlich war ich mit meinem jetzigen Mann nach Höchheim ins Grabfeld gezogen. Fünf Jahre lang arbeitete ich bei Preh, immer befristet. Dauernd musste ich mich vorsorglich arbeitssuchend melden. Irgendwann habe ich gesagt: Ich mach' das nicht mehr! Diesmal klappte es, mir die Pflegefachkraft-Ausbildung fördern zu lassen.
Inzwischen bin ich im dritten Lehrjahr, Pflege ist nach wie vor mein Traumberuf. Auch, wenn ich in der Corona-Zeit manchmal an meine Grenzen gekommen bin. Immer wieder sind Kollegen ausgefallen, ich musste viel einspringen. Wenn du nur rotierst und kaum freihast, ist das hart. Aber mein Team und meine Chefin sind super, die haben mich immer aufgebaut.
Pflege liegt sicher nicht jedem. Manchmal muss man über seinen Schatten springen. Wenn eine Wunde riecht, beispielsweise. Mich stört das nicht. Es fällt mir auch leicht, die Grenzen meiner Klienten zu erkennen und zu wahren. Vielleicht, weil ich selbst jemand bin, der nicht jeden an sich ranlässt.
Meckert mal einer, nehme ich das nicht persönlich. Einen Tag später ist der Meckerer wieder anders drauf. Überwiegend treffe ich sowieso auf große Dankbarkeit. Und die ist Musik in meinen Ohren."