Aus dem Wintergarten im dritten Stock des Marie-Juchacz-Hauses erklingt Lachen. Auf dem Tisch liegen Pappe und Papier, Schere und Klebestift, Stricknadeln und Wollknäuel. Sieben ältere Damen und zwei Herren unterhalten sich dort, stricken, häkeln und basteln. Vor kurzem haben sie mit Geranien Blumentücher bedruckt, jetzt sollen daraus Karten für den Weihnachtsbasar entstehen. Möglich wird die gesellige Runde durch den Einsatz von Heidi Glöggler und Tanja Ressel.
Die beiden Frauen sind zwei von über 40 Ehrenamtlichen, die regelmäßig in der AWO-Senioreneinrichtung in der Würzburger Zellerau vorbeischauen. "Ab und an bringe ich meinen Hund mit, der kriegt dann ganz viele Streicheleinheiten", erzählt Tanja Ressel. Die 53-jährige Frührentnerin ist seit etwas über einem Jahr hier ehrenamtlich aktiv. Das Ehrenamt bringe ihr innere Freude, sagt Ressel. "Die Leute sind so goldig und alles ist so liebevoll. Die Bewohner freuen sich immer, wenn man sich um sie kümmert, selbst wenn man ihnen nur vorliest."
Die Zahl der Ehrenamtlichen in Seniorenheimen hat in den letzten Jahren abgenommen
Doch so gut wie im Würzburger Marie-Juchacz-Haus läuft es nicht in allen Seniorenheimen. Vor allem durch die Einschränkungen während der Corona-Pandemie ist die Arbeit der Ehrenamtlichen in vielen Einrichtungen eingebrochen und läuft nur langsam wieder an. Martina Mirus, Sozialdienstleiterin im Caritas-Wohnheim St. Thekla in Würzburg, berichtet, dass sich die Zahl der Ehrenamtlichen in ihrem Haus seit 2020 halbiert hat, von etwa 40 auf etwa 20 Engagierte.
Es sei heute schwierig, Menschen zu finden, die sich auf ein verbindliches und dauerhaftes Engagement einlassen. Viele suchten eher nach projektbasierten, zeitlich begrenzten Möglichkeiten wie die Organisation eines bunten Nachmittags. In Seniorenheimen aber brauche es Kontinuität. "Gerade Menschen mit Demenz brauchen viel Zeit, um sich auf jemanden neu einzulassen, das kann auch mal ein Dreivierteljahr dauern", sagt Mirus.
Oft fehlen Kapazitäten, um Ehrenamtliche zu begleiten
Dazu kommt der Fachkräftemangel in der Pflege: In vielen Einrichtungen fehlen Kapazitäten, um ehrenamtliche Besuchsdienste aufzubauen und zu begleiten. "In der Corona-Zeit sind viele weggefallen. Wir müssen das neu aufbauen, aber die Zeit dafür fehlt, auch durch den Fachkräftemangel", sagt Eva von Vietinghoff-Scheel, Geschäftsführerin der kommunalen Senioreneinrichtungen im Landkreis Würzburg. Auch Alexander Schraml, der dem Bundesverband der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen vorsitzt, betont: "Um die Ehrenamtlichen zu begleiten braucht es eine spezielle Betreuungskraft, da geht es ja nicht um pflegerische Tätigkeiten."
Im Marie-Juchacz-Haus zeigt sich, wie wichtig die hauptamtliche Betreuung der Ehrenamtlichen ist. Eva Bauer, gelernte Altenpflegerin, leitet seit der Eröffnung des Hauses 2019 den Sozialdienst. Einen großen Teil ihrer Arbeit nimmt die Koordination der Ehrenamtlichen ein. Sie berät Interessierte, klärt Erwartungen, vermittelt zwischen Ehrenamtlichen und Pflegekräften - und wenn jemand krank wird, dann springt sie auch mal kurzfristig ein.
Die Einbindung von Ehrenamtlichen erfordert viel Zeit
"Wichtig ist, dass das Ehrenamt von der Leitung her gewollt ist", sagt Bauer. Einrichtungsleiter Raimund Binder unterstützt die Besuchsdienste. "Da geht es um Lebensqualität." Um Ehrenamtliche verlässlich und beständig in die Abläufe des Hauses einzubinden, brauche es viele Ressourcen, meint Binder. Dann aber zahle es sich aus: "Ich habe immer gesagt: Wenn wir etwas mit Ehrenamtlichen machen wollen, dann brauchen wir Zeit. Aber am Ende verzehnfacht sich, was wir gegeben haben - und jetzt hat es sich gar verhundertfacht."
Für die Pflegenden bedeuten die Ehrenamtlichen eine Erleichterung - zumindest, wenn das Ehrenamt gut organisiert ist. "Wenn sie neu kommen, ist es immer erstmal schwierig, die Kommunikation mit den Pflegern muss sich noch einpendeln", sagt Thomas Schöppe, der seit seit vier Jahren im Marie-Juchacz-Haus arbeitet. "Aber als Pfleger blutet einem das Herz, wenn man die Leute nur so dasitzen sieht und wir können uns nicht bei allen dazusetzen. Wenn die Ehrenamtlichen kommen, haben wir die Zeit bei denen zu sein, die nicht mehr zum Bastelnachmittag gehen können", sagt Schöppe.
Die Bewohnerinnen und Bewohner schätzen die Besuche der Ehrenamtlichen
Zeit ist das Geschenk der Ehrenamtlichen an die Bewohnerinnen und Bewohner. Im Wintergarten des Marie-Juchacz-Hauses wird das spürbar. Seit dem frühen Nachmittag sitzt die Strick- und Bastelgruppe beisammen. Brigitte Silbermann kommt am liebsten für den gemeinsamen Kaffee vorbei. Dem Basteln kann sie nur noch zuschauen, aber die Gespräche am Tisch genießt die 72-Jährige: "Den ganzen Tag im Zimmer sitzen - da wird man ja blöd!"
Auch Ursula Nierhaus ist dankbar für die Ehrenamtlichen. "Ein Hoch auf das Ehrenamt", sagt sie und die ganze Runde lacht. Die 89-Jährige war früher selbst ehrenamtlich in Seniorenheimen tätig. "Da hat man die Freude und Dankbarkeit gespürt. Ich hoffe, dass die Ehrenamtlichen hier das auch spüren."
Ob Zeitung lesen, Karten spielen oder gemeinsames Musizieren - der Einsatz der Ehrenamtlichen ist vielfältig und nicht immer sichtbar. "Viele sind auch in der Einzelbegleitung aktiv. Die gehen mit den Leuten in den Gottesdienst oder kaufen für sie ein", sagt Sozialdienst-Leiterin Eva Bauer. Unter ihnen finden sich Schülerinnen ebenso wie Studenten, Berufstätige oder Rentnerinnen.
Die Ehrenamtlichen bringen Alltag und Normalität
"Die Ehrenamtlichen sind ein wichtiger Kontakt zur Gesellschaft. Ohne sie kommt ein Pflegeheim nicht aus", sagt Alexander Schraml. Die Besuche würden den Bewohnerinnen und Bewohnern ein Stück Alltag und Normalität bringen.
Im Marie-Juchacz-Haus packt Heidi Glöggler gegen 17 Uhr Karten und Stifte, Stricknadeln und Wollreste zusammenzupacken. "Es ist ja schön, dass ihr das immer macht", sagt Brigitte Silbermann, bevor sie sich in ihrem Rollstuhl auf den Weg zum Abendessen macht. Zehn Stunden engagiert sich Glöggler jede Woche. "Ich habe schon immer gern gebastelt und gestrickt, das kann ich jetzt mit den Bewohnern", sagt die 67-Jährige. "Und die Freude kommt als Dankbarkeit direkt zurück."