In der Diözese Würzburg gibt es einen Betroffenenbeirat. Er setzt sich zusammen aus Menschen, die sexualisierte Gewalt erleiden mussten. Sie sollen mitwirken bei der unabhängigen Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Einfach scheint es nicht gewesen zu sein, Interessenten zu finden. Betroffene berichten, warum sie sich keinesfalls dafür bewerben wollten und von heftigen Konflikten untereinander.
Öffentlicher Aufruf des Bischofs endete am 10. März
Bis zum 10. März konnten Missbrauchsbetroffene dem Bistum ihr Interesse mitteilen. Der Bischof hatte öffentlich dazu aufgerufen. Doch erst vor einer Woche habe sich der unabhängige Betroffenenbeirat konstituiert. Dies hätten die Mitglieder des neuen Beirats dem Bistum mitgeteilt. So steht es in der Pressemitteilung.
Unterdessen erreichten die Redaktion Informationen, dass es wohl schwierig war, trotz öffentlichen Aufrufs, überhaupt einen Beirat zu bekommen. Und dass es unter den Betroffenen Unstimmigkeiten gebe.
Einige Angaben stammen von Betroffenen, die anonym bleiben möchten. Eine Person berichtet zum Beispiel von einem Anruf am 9. März, in dem ein anderer Betroffener sie aufgefordert habe, sich für den Beirat zu melden. Bislang gebe es nur drei Bewerbungen. Es sei eilig, denn am nächsten Tag laufe die Frist ab. "Ich habe mich jedoch dagegen entschieden – aufgrund der erlebten toxischen Stimmung unter den Betroffenen."
Diese Interventionen scheinen trotzdem erfolgreich gewesen zu sein, denn es gab Mitte April ein erstes Treffen. Und dabei sollen unter anderem zwei Mitglieder für die Aufarbeitungskommission gewählt worden sein. War das keine konstituierende Sitzung des Betroffenenbeirats?
Zwei Betroffene treten nach dem ersten Beiratstreffen wieder aus
Dazu erzählt der Betroffene Bernhard Rasche: Zum ersten Treffen im April seien sechs Personen gekommen, zwei davon seien danach wieder ausgetreten: er selbst und eine weitere Person. So waren es zu diesem Zeitpunkt nur noch vier Betroffene im Beirat. Damit war eigentlich die im Aufruf des Bischofs genannte Mindestzahl von fünf Personen nicht mehr erreicht.
Wie viele Personen dem Beirat nun tatsächlich angehören, dazu macht das Bistum trotz mehrmaliger Nachfrage keine Angaben – und verweist auf den Betroffenenbeirat. Doch dieser hat die Struktur und damit die Mindestanzahl nicht vorgegeben, sondern das Bistum – beziehungsweise eine Rahmenordnung der deutschen Bischöfe.
Zu dieser Struktur gehöre auch, dass zwei Personen aus dem Betroffenenbeirat für die Aufarbeitungskommission gewählt werden. Laut Meinung eines der Betroffenen sei das der einzige Grund, warum die Bischöfe Aufrufe starten. "Sie wollen nur ihre Aufarbeitungskommissionen, die Betroffenenbeiräte selbst stehen bei den Bischöfen nicht im Vordergrund."
Es stellt sich noch eine andere Frage: Warum bewirbt sich ein Betroffener und zieht sich nach dem ersten Treffen wieder zurück?
Bernhard Rasche sagt, er sei zum ersten Treffen im April "mit gemischten Gefühlen" gegangen. Eine Person war laut Rasche neu dabei. Die anderen Betroffenen sollen sich bereits aus der alten Gesprächsgruppe kennen, mit denen sich Bischof Jung seit Juni 2019 regelmäßig ausgetauscht hat, so Rasche.
Zudem habe Rasche jetzt – vor diesem ersten Treffen im April – eine ihn ausgrenzende und sehr unfreundliche E-Mail von einer Betroffenen erhalten. Warum? Rasche erklärt, das Schreiben würde sich auf Probleme in der alten Gesprächsgruppe beziehen. Sie seien noch nicht gelöst.
Betroffene sollen dem Bischof vertrauliche Informationen weitergegeben haben
Laut Rasche entstand der Konflikt, weil Inhalte von vertraulichen Hintergrundgesprächen der Betroffenen im Herbst 2020 direkt an die Bistumsleitung weitergeleitet wurden – schriftlich. "Das ist ein massiver Vertrauensbruch", sagt Rasche. Zudem habe die Bistumsleitung diese Informationen bei einem der Treffen angenommen – dies sei sogar im Protokoll vermerkt worden. Der Bischof habe sich anschließend bei den Überbringern bedankt.
Über diese für Rasche "völlig unmögliche Verhaltensweise" von Mitbetroffenen und Bistumsleitung sei damals nicht weiter diskutiert worden –und somit ist der Konflikt für Bernhard Rasche nicht aus der Welt.
Betroffener spricht von Intransparenz und zweifelt Unabhängigkeit des Beirats an
Bernhard Rasche habe wegen all dieser Dinge überlegt, ob es überhaupt Sinn macht, zum ersten Treffen zu gehen. Er wollte jedoch einen Neustart wagen und nahm teil. Als eine Person einen Tag nach dem Treffen ihren Ausstieg erklärt hatte, entschied sich auch Rasche für diesen Schritt. "Ich habe es den Beiräten schriftlich ausführlich erklärt." Zum Grund möchte er nur so viel sagen: Es fehle ihm die Transparenz, die nötige Distanz einiger Betroffenen zum Bistum – und damit eine tatsächliche Unabhängigkeit des Beirats.
Dies bestätigen auch andere Betroffene. Auch für sie sei dieser Vertrauensbruch nicht aufgearbeitet worden. Und sie wollen laut ihren Aussagen mit den Personen, die interne Informationen "an die Täterinstitution" gegeben haben, keinesfalls zusammenarbeiten.
Wie geht es jetzt weiter? Bernhard Rasche sagt, er will sich mit weiteren Personen zur Sache beraten. "Die vergangenen zwei Jahre haben sehr viel Kraft gekostet." Er wünscht sich, dass auch solche Verhaltensweisen aufgearbeitet werden. Es könne nicht sein, dass Betroffene gegeneinander arbeiten.
Aufarbeitung im Bistum Würzburg - und in anderen Bistümern
Hinweis: Die Informationen zu den Aufarbeitungskommissionen wurden aktualisiert (in Bezug auf das Erzbistum München-Freising).
.. Wie in der Kirche, vor allem auch in unserer Gesellschaft
Wer mit Kirche und Jesus lebt findet Sinn und Versöhnung. Also auf zum Leben mit Fülle.