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Würzburg
Messerangriff von Würzburg: Eine Bluttat mit Vorgeschichte
Psychische Störung, Angst, Drogen: Der Täter vom Barbarossaplatz war seit seiner Ankunft in Deutschland auffällig. Wie sich frühere Mitbewohner erinnern und was bekannt ist.
Gedenken am Barbarossaplatz, Ort der Gewalttat: Am 25. Juni hat ein offenbar psychisch gestörter Mann aus Somalia in Würzburg drei Frauen getötet und neun Menschen teils lebensgefährlich verletzt.
Foto: HMB Media/Julien Becker | Gedenken am Barbarossaplatz, Ort der Gewalttat: Am 25. Juni hat ein offenbar psychisch gestörter Mann aus Somalia in Würzburg drei Frauen getötet und neun Menschen teils lebensgefährlich verletzt.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:38 Uhr

Warum? Warum diese Bluttat? Hätte sie verhindert werden können? Immer noch sind viele Fragen zum Messerangriff von Würzburg offen. Während sich Behörden und Ermittler auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte des Täters zurückziehen, zeigen Recherchen dieser Redaktion: Der 24-jährige Somalier scheint seit seiner Flucht und der Einreise im Mai 2015 nie wirklich in Deutschland angekommen zu sein. Ehemalige Mitbewohner und ehrenamtliche Helfer beschreiben ihn als Außenseiter, von Beginn an auffällig, mit Wutausbrüchen.

Von Beginn an sonderte sich der Somalier ab

Zweite Jahreshälfte 2015: Die Flüchtlingskrise mit einem nicht gekannten Zustrom an Migranten ist auf ihrem Höhepunkt, als der junge Somalier mit fünf Landsleuten in einer sogenannten Gewährswohnung im sächsischen Schwarzenberg untergebracht wird. AfD-Anteil dort bei der letzten Landtagswahl: 33 Prozent.

Dennoch gibt es im Ort einige ehrenamtliche Helfer, die sich um die Flüchtlinge kümmern. Behelfsmäßig lernen sie mit ihnen Deutsch, der damals 18-Jährige ist nicht dabei. Auch als professionelle Unterstützung durch Sozialträger wie die AWO beginnt, sei der Asylbewerber nur unregelmäßig zum Unterricht gekommen. Seine Mitbewohner haben den Eindruck, dass mit ihm etwas nicht stimmt.

"Etwas verrückt", erinnert sich einer, "schwierig". Ein weiterer spricht von "geistiger Behinderung". Während andere um Hilfe suchten, habe er sich auf sein Zimmer zurückgezogen. Und der junge Mann wird immer wieder aggressiv, rastet aus. Mitbewohner hätten ihn dann beruhigt, berichtet eine Flüchtlingshelferin heute. "Er hätte eine psychologische Betreuung gebraucht."

Gab es Angebote? Das zuständige Landratsamt Erzgebirgskreis will dazu keine näheren Auskünfte erteilen. Datenschutz. Außerdem liege die Ausländerakte mittlerweile bei der Stadtverwaltung Würzburg. Aber auch von dort sind keine Angaben zu möglichen Integrationsmaßnahmen zu erhalten.

Wenig bekannt ist bisher über die Vorgeschichte des Täters in Somalia. Offenbar kam er ohne Pass – wie viele Geflüchtete aus Bürgerkriegsländern. Sein Alter wurde wohl aufgrund seiner Angaben geschätzt, darauf deutet das in Deutschland festgelegte Geburtsdatum "1. Januar 1997" hin. Nicht bestätigt sind bisher Hinweise, wonach der Mann eine Frau und zwei Kinder in Somalia haben soll.

In Sachsen: Verlegung nach Messerstreit in Flüchtlings-WG

Ende November 2015 eskaliert in der Küche in Schwarzenberg ein Streit mit einem Mitbewohner,  bei dem er zum Messer greift. Erst ein halbes Jahr später werden die Männer von der Polizei dazu angehört. Inzwischen hatte man den heute 24-Jährigen ins nahe Aue verlegt, in eine Wohnung für Geflüchtete in einem großen städtischen Mietshaus. Zunächst lebt er dort mit drei Männern aus Syrien und dem Irak zusammen, dann wieder mit Somaliern.

Einer von ihnen erinnert sich: Der Zimmergenosse sei ständig aufgewacht, habe Alpträume gehabt und nur bei angeschaltetem Licht schlafen wollen. Hat er von einem Einsatz als Kindersoldat in Somalia berichtet, so wie dies ein späterer Zeuge bei einem Telefonat gehört haben will? Wohl nicht. "Das Problem ist", sagt die Flüchtlingshelferin, "dass diese Leute nicht über ihre Vergangenheit reden, auch nicht gegenüber anderen Somaliern. Da ist zu viel Misstrauen."

Als gläubiger Muslim tritt der Mann nicht in Erscheinung. "Er hat nie gebetet, nie einen Ramadan gemacht", sagt ein Mitbewohner. Einmal taucht der Asylbewerber im Krankenhaus Aue auf, will einen Arzt sprechen. An der Pforte weist man ihn ab – er solle sich an einen Hausarzt wenden. Nachdem im Herbst 2016 das Ermittlungsverfahren wegen des Küchenstreits eingestellt wird, zieht der Mann nach Düsseldorf. Ob er sich dort offiziell gemeldet hat, ist unklar. Die Stadtverwaltung verweigert jede Auskunft: laufende Ermittlungen.

Messerangriff von Würzburg: Eine Bluttat mit Vorgeschichte

Nach nur drei Monaten meldet sich der Asylbewerber im Erzgebirgskreis zurück, ehe er im Juni 2017 in Chemnitz aufschlägt. Im Sozialamt ist er laut städtischer Pressestelle aber nicht aktenkundig, auch wurden keine Leistungen über das Asylbewerberleistungsgesetz bezahlt. Zumindest sporadisch soll er einen Deutsch-Kurs besucht haben.

Mit einem jungen Afghanen zieht der Mann in ein Wohnsilo im Stadtteil Markersdorf. Ein Nachbar berichtet von Alkohol. Wie sich später herausstellt, muss er schon zu dieser Zeit auch Drogen genommen haben.

Dann der 1. September 2018: Nach dem Tod eines Deutschen am Rande des Stadtfestes kommt es in Chemnitz zu rechten Protesten und Übergriffen gegen Ausländer. Reporterin Johanna Rüdiger ist für die Funcke-Mediengruppe vor Ort – und trifft den Somalier und seinen afghanischen Mitbewohner zum Interview. Im Video berichtet der Asylbewerber, wie sie von mutmaßlich rechtsextremen Schlägern gejagt worden seien. Er spricht zwar gebrochen, aber verständlich Deutsch. Und sagt, dass er sich im Osten nicht sicher fühle.

"Er bat mich danach um Hilfe, ich sollte ihm einen Job in Westdeutschland besorgen", schildert  Rüdiger nach der Tat von Würzburg in einem Beitrag der Deutschen Welle. Sie habe den Somalier  als gesprächig erlebt, aber auch verängstigt. In Düsseldorf sei alles besser gewesen, habe er erzählt. "Auf mich wirkte er nicht psychisch gestört, sondern sehr normal", sagt Rüdiger.

Ende Januar 2019 meldet er sich in Chemnitz ab. Wohin er dann zieht, ist im dortigen Rathaus unbekannt. Woher er ein halbes Jahr später für wenige Wochen wieder kommt? Ebenfalls unbekannt. Dokumentiert ist ein erster Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik in Chemnitz. Aber zuständig dafür, den Verbleib des Somaliers zu prüfen, fühlte sich offenbar niemand.

Für ein halbes Jahr, von Februar bis Juli 2019, verliert sich die Spur des späteren Täters zur Gänze. Was ist passiert in den Monaten, bevor der Mann nach Würzburg kam? Keine Behörde will heute Informationen über seinen Aufenthaltsort zu dieser Zeit haben. Auch von den Ermittlern ist keine Information dazu zu bekommen.

Der Weg des Täters bis zur Tat – weitere Klärung und Antworten stehen aus.

 
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